Sachsenring Kurve 11: Warum die Kritik verstummt ist
Turn 11 im MotoGP-Rennen 2022: Jetzt keine neuralgische Stelle mehr
In der Vergangenheit wurde auf dem Sachsenring oft über eine Entschärfung der ominösen Kurve 11 diskutiert. Aber 2022 war das kein Thema mehr. Stefan Bradl liefert die Erklärung dafür. Wolfgang Streubel, bis zum schwer defizitären Deutschland-Grand Prix 2017 Geschäftsführer der Sachsenring Rennstrecken Management GmbH (SRM), wollte den ehemaligen Ex-500-ccm-Weltmeister Franco Uncini, Safety Officer im GP-Sport, bereits vor Jahren überzeugen, dass ein Umbau des Turn 11 nicht zwingend nötig wäre.
Streubel rechnete vor, dass es beim Grand Prix 2017 in Turn 11 nur zu fünf Stürzen gekommen sei. «Drei am Freitag, zwei am Samstagvormittag, keiner im Qualifying, im Warm-up und im Rennen. Seit 2008 gab es in der Kurve 11 nur einen Sturz im Warm-up, keinen Sturz im Rennen», lautet die Bilanz.
Doch Uncini blieb hartnäckig. Denn er pochte damals auf die Unterstützung jener Fahrer, die an dieser neuralgischen Stelle 2017 im Training gestürzt waren.
Nach dem MotoGP-Training am Freitag sagte Johann Zarco beim Deutschland-GP 2017: «Ich passe an dieser heiklen Stelle immer doppelt auf.»
Im nächsten Training Samstagfrüh (im FP3) flog er trotzdem runter. Auch Bautista, Redding und Co. erwischte es. Bei Bautista wären beinahe die Streckenposten vom Motorrad getroffen worden.
Deshalb wurde ein Umbau gefordert. Bei einem Treffen der Verantwortlichen der Sachsenring Rennstrecken Management GmbH mit Safety Officer Franco Uncini beim Saisonfinale in Valencia 2017 kam der Umbau der Kurve 11 erneut zur Sprache. «Wir haben signalisiert, dass dazu erstens inzwischen die Zeit zu knapp ist. Zweitens stehen keine finanziellen Mittel für eine derartige Maßnahme bereit», erklärten die Sachsen.
Safety-Officer Franco Uncini beharrte trotzdem weiter auf einen Umbau, auf Druck der Teams und Fahrer. «Wir arbeiten an einer Lösung», sagte er zu SPEEDWEEK.com
Uncini hat Ende August 2017 sogar den Nürburgring inspiziert, weil damals nicht feststand, ob die SRM GmbH nach einem finanziellen Verlust von rund 900.000 Euro beim Grand Prix 2017 noch einmal als GP-Promoter auftreten werde.
ADAC und Dorna überlegten deshalb ernsthaft, den Schauplatz des deutschen Motorrad-GP nach 20 Jahren wieder in die Eifel zu verlegen.
«Ich habe die Piste besichtigt und überlegt, unter welchen Voraussetzungen der Nürburgring eine Grade-A-Homologation der FIM für einen Grand Prix erhalten kann», erklärte Franco Uncini damals im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «ADAC und Dorna wollten von mir wissen, was gemacht werden müsse, damit der Nürburgring die Grade-A-Homologation bekommt.»
Doch im September wurde der Sachsenring wieder als GP-Schauplatz für 2018 bestätigt.
Uncini hatte nach dem WM-Lauf 2017 noch klare Vorstellungen über die Zukunft der umstrittenen Kurve 11. «Turn 11 muss entschärft werden», betonte er. «Ich denke, wir können dieses Problem lösen. Eine Schikane kommt für mich nicht in Frage; wir wollen die Kurve 11 nicht zerstören. Wir schlagen vor, die Kurve dort außen zu erhöhen. Momentan können wir nur schätzen, um wie viel höher wir den Asphaltbelag dort machen müssen, um mehr Sicherheit für die Fahrer zu erzielen. Vielleicht um 20, 30 Zentimeter, vielleicht sogar um einen Meter. Das müssen wir von Spezialisten berechnen lassen.»
Uncini kannte als Ex-Rennfahrer die Problematik der Kurve 11. Vor dieser Rechtskurve sind die Fahrer 31 Sekunden lang auf der linken Reifenkante unterwegs, trotz der asymmetrischen Reifen passierten dort besonders in der MotoGP-Klasse immer noch zahleiche Stürze.
Uncini brachte im Gespräch mit SPEEDWEEK.com auf seinem iPad die Streckenskizze vom Sachsenring zum Vorschein. Er legte seinen Kugelschreiber quer über das Omega, das nur aus Linkskurven besteht. «Schau', wir haben ausgerechnet, dass die Fahrer 420 Grad links im Kreis fahren, also mehr als einen kompletten Kreis», rechnete Uncini vor. «Dann sind sie immer noch ein schönes Stück von Kurve 11 entfernt. Also sind die Reifen auf der rechten Seite vor der Kurve 11 richtig kalt. Vielleicht müssen die Reifenmischungen rechts noch weicher gemacht werden. Denn an den vielen Linkskurven vor der Kurve 11, daran lässt sich nichts ändern...»
Der inzwischen verstorbene Ralf Waldmann, der 20-fache GP-Sieger, sprach sich heftig gegen einen Umbau aus. «Es gibt nun einmal Kurven, in denen man stürzt. Im Turn 11 gibt es ausreichende Sturzzonen. Wenn man eine Rennstrecke haben möchte, auf der keiner stürzt, ist das am Ende eine Gerade. Ich kenne viele ehemalige sowie alle aktuellen Grand-Prix-Strecken, da gibt es einige Stellen, die gefährlicher sind», meinte der 250-ccm-Vizeweltmeister von 1996 und spätere Eurosport-TV-Experte.
LCR-Honda-Pilot Cal Crutchlow gehörte zu den großen Kritikern der Kurve 11. «Muss sich zuerst jemand schwer verletzen, bevor die Turn 11 auf dem Sachsenring umgebaut wird?», fragte er im Juli 2017.
Wie erklärt sich Repsol-Honda-Werksfahrer Stefan Bradl die verstummte Kritik an der Kurve 11. «Erstens hat Michelin in den Jahren seit 2016 auch dazu gelernt. Aber die hohen Temperaturen beim Grand Prix 2022 sind der größte Faktor gewesen», stellte der Bayer auf Anfrage von SPEEDWEEK.com fest. «Es war heiß genug… Dazu kommt, dass Michelin bei den Vorderreifen auf der rechten Seite die weichste vorhandene Mischung verwendet und teilweise fast die härteste auf der linken Seite. Nur vorne. Die Hinterreifen sind dort auch asymmetrisch, aber das ist ja inzwischen fast auf allen Strecken der Fall. Vorn sind sie zum Beispiel nur auf dem Sachsenring, auf Phillip Island und Valencia asymmetrisch. Denn in Valencia ist es im November kühl, und dort ist in der Kurve 4 immer der Reifen kalt.»
«In der Vergangenheit bestand bei asymmetrischen Vorderreifen immer das Problem, dass das Verbindungsstück zwischen der harten und der weichen Mischung zu deutlich spürbar war. Diesen Übergang haben wir immer bemängelt, denn er hat ein komplettes Scheissgefühl vermittelt. Das war oft ein Grund für Stürze, auch im Turn 11, denn in diesem Bereich konntest du schwer abschätzen, bis du jetzt bei der Schräglage im weichen oder im harten Bereich. Diesen Übergang hat Michelin jetzt deutlich verbessert. Die unterschiedlichen Mischungen hart und weich werden jetzt auf einem Reifen besser aufgebracht.»
Ist die Kurve 11 also jetzt keine Gefahrenstelle mehr, vor der man als MotoGP-Fahrer besonders im FP1 und FP3 an kühlen Vormittagen den Atem anhalten muss? Bradl: «Es ist schon ein Unterschied, ob es 12 oder 15 Grad Aussentemperatur hat oder ob die Asphalttemperatur bei 15, bei 30 Grad oder gar 50 liegt. Die sommerlichen Temperaturen sind schon eine Riesenerleichterung.»