KTM: Im Werk gingen die Lichter aus

Massimo Rivola: «Bei Aprilia hat sich viel verändert»

Von Günther Wiesinger
Aprilia-Renndirektor Massimo Rivola hat das Aprilia-Hinterbänkler-Team innerhalb von drei Jahren zum Titelanwärter geformt. Im Interview beschreibt er den mühsamen Weg an die Weltspitze.

Als Massimo Rivola im Januar 2019 seinen Job als neuer Aprilia-Renndirektor antrat, konnte es mit dem MotoGP-Projekt des italienischen Herstellers nur bergauf gehen. Denn Aleix Espargaró war in den letzten zwei Jahren in der MotoGP-WM nur auf dem Gesamträngen 15 und 17 gelandet. Die RS-GP hatte den Ruf, nicht nur zu langsam, sondern auch unzuverlässig zu sein. Und der kampfstarke Spanier stürzte oft beim Versuch, die mangelnde Konkurrenzfähigkeit der Werksmaschine durch erhöhtes Risiko wettzumachen.

Aleix Espargaró dachte damals offen über seinen Rücktritt nach, er wirkte zermürbt und sparte auch nicht an Kritik an den fehlenden Fortschritten.

In Silverstone 2021 gelang Espargaró mir Rang 3 der erste Podestplatz von Aprilia, er beendete die WM mit immerhin 120 Punkten an achter Position, und im September 2021 kündigte Rivola an: «Aleix kann 2023 um den Titel kämpfen.»

Diese Ankündigung, die damals wie die Illusion eines hoffnungslosen Optimisten wirkte, ist aber bereits 2022 eingetroffen. Aleix Espargaró liegt nach 11 von 20 Rennen in der Fahrer-WM nur 21 Punkte hinter Weltmeister und WM-Leader Fabio Quartararo an zweiter Stelle.

SPEEDWEEK.com hat sich mit Massimo Rivola (50) über den rasanten Aufstieg unterhalten, der sich bereits im Frühjahr 2021 abzeichnete, als Andrea Dovizioso als Testfahrer engagiert werden konnte und dann im August weiter Fahrt aufnahm, als der neunfache MotoGP-Siege Maverick Viñales den hoffnungslosen Lorenzo Savadori im Werksteam ersetzte.

Unter Rivola, der aus der Formel 1 kam, wurde das Rennbudget immer deutlicher erhöht, die Manpower wurde verstärkt, der 2020 entwickelte neue V90-Grad-Motor wurde immer schlagkräftiger, bis Aleix Espargaró im April 2022 in Termas de Río Hondo der erste große Befreiungsschlag gelang – GP-Sieg für Aprilia. Dabei waren die Italiener in der Marken-WM nach 2017 sogar jedes Jahr hinter Neueinsteiger KTM an sechster und letzter Position gelandet.

Heute liegt Aprilia in der Marken-WM vor KTM, Suzuki und Honda an dritter Stelle, in der Team-Weltmeisterschaft ist Aprilia Racing Spitzenreiter.

Rivola hat auch sportpolitische Erfolge vorzuweisen. Er hat das Joint Venture mit Gresini nach sieben Jahren beendet und von der Dorna zwei eigene «Slots» erhalten, außerdem wurde mit dem WithU-RNF-Team für 2023 erstmals ein MotoGP-Kundenteam gefunden, Yamaha hat es verloren.

Eigentlich weist die Bilanz von Rivola bei Aprilia nach dreieinhalb Jahren nur einen wunden Punkt auf: Die Einsprache gegen die eineinhalbjährige Doping-Sperre von Andrea Iannone missglückte jämmerlich, die Sperre wurde auf vier Jahre verlängert.

Massimo, in den letzten ein, zwei Jahren hat sich bei Aprilia Racing viel verändert. Dein erster Arbeitstag hat gleich mit dem Abgang des Motoren-Designers Mario Manganelli begonnen, der am selben Tag seinen Abschied nahm. Und Aleix Espargaró sprach damals dauernd vom Aufhören.

Ja, ja, das ist wahr. Der Anfang ist harzig verlaufen.

Was war der Wendepunkt für dich?

Ich glaube nicht, dass man einen exakten Wendepunkt festnageln kann. Ich denke, dass wir von 2019 an in der Firma permanent Veränderungen vorgenommen haben.

Zuerst ist der Zylinderwinkel von 70 auf 90 Grad geändert worden. Danach gab es weitere Verbesserungen am Motor und an der Aerodynamik.

Dazu haben wir uns bei Aprilia Racing in jedem Jahr personell verstärkt. Es ist uns gelungen, sehr gute Techniker zu finden.

Vor deiner Ära hat Aprilia viele Spitzentechniker verloren. Ich habe nachgeschaut: Du hast dann für 2020 zum Beispiel Paolo Biasio, Elena De Cia, Stefano Romeo und Marco de Luca zu Aprilia geholt. Sie kamen von Suzuki, in der Mehrzahl aber aus der Formel 1, von Ferrari, McLaren und so weiter.

Richtig. Ja, es kam auch Stefano Romeo, er war eine weitere Schlüsselfigur. In der Elektronikabteilung hat uns Michele Fantini verstärkt. In der Motoren-Entwicklung haben wir auch Zuwachs bekommen. So konnten wir viel Kompetenz aufbauen. Für dieses Jahr haben wir noch einen Experten von Suzuki abgeworben.

Wir sind jetzt ein besseres Team; daran besteht kein Zweifel. Unsere Strukturen sind besser geworden.

Die Formel-1-Techniker haben sich in der MotoGP von Anfang an bewährt? Das ist doch ein ganz anderes Geschäft mit unterschiedlichen Erfordernissen.

Ja, das war vielleicht etwas herausfordernd. Aber die Herangehensweise war gut, die Integration ist einwandfrei vonstatten gegangen. Sie haben einen Zusatznutzen bewirkt. Sie sind unvoreingenommen an die Arbeit gegangen und haben uns mit ihren Visionen geholfen.

Die größte Schwierigkeit für Techniker, die aus der Formel 1 kommen: Dort bestehen die Teams aus mindestens 500 Personen, manche haben mehr als 1000. Auch bei Ferrari. Wenn du also von einem Team mit 1000 Mitarbeitenden in die MotoGP kommst, wo 100 Personen beschäftigt sind, dann musst du total anders denken und anders arbeiten.

Dieser Lernprozess ist im Gange, er ist Bestandteil unserer täglichen Arbeit.

Aprilia wird 2023 erstmals ein Kundenteam beliefern. Miguel Oliveira gilt als Fixstarter, Raúl Fernández könnte der zweite Fahrer werden?

Ja, ich kann nur bestätigen, dass wir einen jungen Fahrer wollen, der aber schon einige MotoGP-Erfolge hat und Erfahrung in dieser Klasse hat. Dazu möchten wir einen Rookie und einfach einen jungen Fahrer mit wenig MotoGP-Erfahrung.

Wir schauen uns auf dem Fahrermarkt um und haben keine Eile. Wir müssen auch den Businessplan im Auge behalten und das Budget, das wir für das Satellitenteam haben.

Die Fahrerwahl stellt uns nicht vor Probleme. Deswegen habe ich keine schlaflosen Nächte. Was mich beschäftigt: Wir müssen gute Strukturen für das Kundenteam aufzubauen. Daran arbeiten wir.

Aprilia zahlt auch die Gagen für die Fahrer im Kundenteam?

Ja, ja, und da alles neu ist und wir mit dem Kundenteam keinen schlechten Eindruck hinterlassen möchten, ist das eine delikate Angelegenheit. Wir wollen das Budget nicht überstrapazieren.
Für uns ist das Kundenteam eine Möglichkeit, die Firma zu stärken. Wir können neue Arbeitskräfte beschäftigen und mehr Motorräder ins Startfeld bringen. Wir werden mehr Daten bekommen und mehr Ingenieure haben, die die Daten analysieren.

Alle MotoGP-Werksteams, die ein Kundenteam betreiben, bekommen auch deutlich mehr Geld von der Dorna. Der Unterschied dürfte bei Aprilia ca. 2 Millionen Euro ausmachen – im Vergleich zu früher.

Ja, das ist ein guter Punkt. Aber wenn wir beim Businessplan mit dem Kundenteam mit einem «break even» austeigen, ist das perfekt für uns.

Denn das bedeutet: Ohne zusätzliche Investitionen haben wir doppelte so viele Motorräder am Start, wir geben ein besseres Gesamtbild ab.

Und Aprilia kann mit vier Bikes Punkte für die Konstrukteurs-WM sammeln.

Das wäre eine interessante Angelegenheit, wenn diese Meisterschaft Geld einbringen würde… Da die Marken-WM kein Geld einbringt, spielte dieser Wettbewerb für mich keine Rolle.
Von allen drei Meisterschaften ist der Konstrukteurs-Titel der unnötigste.

Und wenn acht Ducati gegen zwei Aprilia und zwei Suzuki fahren wie im Moment, ist diese Meisterschaft nicht sehr aussagekräftig.

Die Team-WM ist wertvoller. Denn diese Meisterschaft spiegelt die Performance jener zwei Fahrer wider, die du im Werksteam einsetzt.

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