Jan Ullrich in Misano: Fachsimpeln mit MotoGP-Stars

Von Günther Wiesinger
Die meisten Motorrad-GP-Asse trainieren auch mit dem Rennrad oder Mountainbike. Deshalb wurde dem deutschen Radstar Jan Ullrich in Misano viel Respekt entgegen gebracht.

Beim Misano-GP trafen wir wie üblich eine Reihe Prominenter im Fahrerlager, von Aprilia-Pilot Andrea Iannone (4 Jahre gesperrt) bis zu Formel-1-Legende Jacky Ickx, Ex-Radstar Mario Cippolini und ehemalige Motorrad-GP-Stars und Ex-Weltmeister wie Carlos Lavado und Eugenio Lazzarini sowie der neunfache Motocross-Weltmeister Tony Cairoli, der unbedingt noch ein neues Bild mit seinem MX-Kumpel Andrea Dovizioso haben wollte. 

Erstmals seit dem Sachsenring-GP 1999 erlebte auch der ehemalige deutsche Radprofi Jan Ullrich (48) live einen Motorrad-GP mit. 1999 war der ehemalige Telekom- und T-Mobile-Profi mit Mike Baldinger (er fuhr in der 125er-WM wie Zwillingsbruder Frank für Ditter Plastic und in der 250er-WM für Yamaha Kurz) zum GP von Deutschland gereist, weil er nach einem Sturz bei der Deutschland-Tour und einer Knieverletzung auf die Tour de France verzichten musste. Der aus Rostock in Mecklenburg-Vorpommern stammende Tour de France-Sieger von 1997 und Goldmedaillen-Gewinner von Olympia in Sydney hatte sich 1999 geschickt im Arbeitszelt und Teambus von Mike Baldinger vor den Medien versteckt, weil er keinen Rummel wollte.

Letzte Woche reiste Jan Ullrich mit Mike Baldinger nach Italien, weil er auf Einladung der «Gazzetta dello Sport» das Museum seines einstigen Rivalen Marco Pantani besuchte, der die Tour de France 1998 gewann und dann 1999 als Giro d’Italia-Leader eine positive Dopingprobe ablieferte. Der Bergspezialist litt danach an Depressionen und starb im Februar 2004 in einem Hotel in Rimini in seiner Heimat – an einer Überdosis. Er hatte sich von Freunden und Familie isoliert.

Jan Ullrich, der seine Karriere 2006 unmittelbar vor dem Tour-Start im Juli wegen einer Doping-Affäre frühzeitig beenden musste, bekam für den San-Marino-GP von der Dorna VIP-Tickets und traf sich mit Pit Beirer und Heinz Kinigadner von KTM am Freitag zum Abendessen.

«Ich hatte in Merdingen immer eine Motocross-Trainingspiste, die die Baldinger-Brüder gebaut und in Schuss gehalten haben», erklärte Pit Beirer, der 250-ccm-Motocross-Vizeweltmeister von 1999.

Jan Ullrich war aus Rostock nach Merdingen übersiedelt, weil ihn sein Telekom-Teamkollege Dirk Baldinger (ein Cousin von Mike und Frank) dazu überredet hatte – nicht zuletzt wegen der besseren Trainingsmöglichkeiten, des milden Klimas und der recht bergigen Umgebung.

Jan Ullrich wurde im Misano-Paddock natürlich auf Schritt und Tritt erkannt. Er bekam eine Führung in der Red Bull-KTM-Box und bei Repsol-Honda, er unterhielt sich mit dem leidenschaftlichen Rennradfahrer Brad Binder, er traf nach dem Warm-up am Sonntag auch Andrea Dovizioso und Aleix Espargaró, dazu die Teambesitzer Lucio Cecchinello (LCR-Honda) und dessen radbegeisterten Mechaniker Chris Richardson sowie Razlan Razali, Besitzer des WithU-Yamaha-Teams und ebenfalls fanatischer Rennradfahrer und Triathlet. Auch mit Stefan Bradl gab es beim Mittagessen in der Red Bull-Hospitality am Sonntag einen kurzen Schwatz. «Ich bin in diesem Jahr auch schon 150 km Rennrad gefahren», lachte der Honda-Testfahrer.

Aleix Espargaró hätte nach dem Warm-up am Sonntag am liebsten stundenlang mit Jan Ullrich gefachsimpelt. «Ich bin in diesem Jahr schon 12.000 km gefahren, 20.000 km sind mein Plansoll», verriet der in Andorra lebende Spanier, der regelmäßig mit Radprofis trainiert und auch schon das legendäre «Cape Epic»-Etappenrennen in Südafrika bestritten hat.

«Als ich vor einem Jahr nicht sicher war, ob ich noch einmal bei Aprilia unterschrieben soll, habe ich sogar überlegt. Radprofi zu werden», verriet Aleix. «Ich habe mit den Top-Teams von Bora und Movistar verhandelt.»

Übrigens: Jan Ullrich legte in den besten Jahren mit dem Rennrad jedes Jahr 40.000 km zurück.

Die düstere Vergangenheit mit Alkohol-Exzessen hat Jan Ullrich mit der Unterstützung seiner Freunde Dirk und Mike Baldinger erfolgreich hinter sich gelassen. Sie haben ihn von Mallorca und vom Bodensee zurück nach Merdingen in den Hochschwarzwald geholt, wo Jan Ullrich wieder regelmäßig mit dem Rennrad trainiert. «Letztes Jahr bin ich ein 340-km-Rennen gefahren», schilderte Jan, der in Italien auch seinen langjährigen Radhersteller Fausto Pinarello besuchte.

Übrigens: Auf dem Misano-Circuit findet jetzt von 9. bis 11. September eine dreitägige Radsport-Fachmesse statt, zu der 100.000 Besucher erwartet werden. Unzählige Trucks und Klein- Transporter von Firmen wie Pinarello und Orbea parkten gestern nach dem MotoGP-Test bereits vor dem Eingangstor zum Paddock.

Die Pläne, im Gewerbegebiet von Merdingen (es gibt im Ortszentrum auch eine Jan Ullrich-Straße) ein neues, modernes «Bike Zentrum» samt Jan-Ullrich-Museum zu eröffnen, sind auf Eis gelegt worden. Der Bürgermeister Martin Rupp hat das Projekt «Bike Zentrum Merdingen by Jan Ullrich» (mit Fanshop, Gastronomie, Radverkauf, Fahrradwerkstatt und Übernachtungsmöglichkeiten für Radtouristen) zwar in den Medien angekündigt, aber bisher wenig Unterstützung gezeigt.

Lokale Investoren hatten überlegt, bis zu 4,5 Millionen Euro zu investieren, die Gemeinde sollte auch ihr Scherflein dazu beitragen.

Denn die Umsätze in den Bereichen Tourismus und Gastronomie sind in Merdingen stark rückläufig. «Ein Publikumsmagnet wie Jan Ullrich hätte hier sicher eine Zugkraft», meint Mike Baldinger. «Wir haben den Verantwortlichen gesagt, sie sollen sich wieder melden, wenn sie für das Projekt brennen.»

«Wir überlegen jetzt, ob wir das Projekt in einer anderen Gemeinde verwirklichen können», erzählte Jan Ullrich.


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