Pit Beirer: Hat KTM die Aero-Entwicklung verschlafen?
Nach zwei Podestplätzen bei den letzten beiden Grand Prix (Binder auf Platz 2 in Motegi, Sieg von Oliveira in Buriram) macht sich bei KTM für die restlichen Wettkämpfe 2022 Zuversicht breit. Obwohl Brad Binder in seiner dritten MotoGP-Saison auf keiner Strecke in Asien und auch in Australien bisher kein MotoGP-Rennen absolviert hat. Denn wegen der Pandemie wurden in den letzten zwei Jahren nur die Übersee-GP in Doha (in Losail 2020 ohne MotoGP-Klasse) und Texas ausgetragen.
«Die MotoGP-Fahrer erleben jetzt bei den vier Übersee-GP in fünf Wochen schwere Belastungen auf allen Teams und Fahrern. Das ist dann wirklich Motorsport vom Allerfeinsten», weiß KTM-Motorsport-Direktor Pit Beirer. «Fünf Tage nach dem Aragón-GP wurde in Motegi schon wieder trainiert, es gab vor dem Sonntag nur das trockene FP1-Training am Freitag, am Samstag hat es geregnet. Du musst dich also in zwei freien Trainings mit der Strecke anfreunden, die Reifenwahl für Rennen finden und dich am besten noch direkt fürs Q2 qualifizieren und ein Renn-Set-up austüfteln. Dass unser Team unter diesen schwierigen Voraussetzungen so gute Ergebnisse abgeliefert hat, hat mich unheimlich gefreut, denn wir waren im Trockenen mit beiden Fahrern zwei Zehntel weg vom ersten Platz und haben uns für das Qualifying-2 qualifiziert, das war die Grundlage für das starke Quali-Ergebnis am Samstag mit den Startlätzen 3 von Brad und 8 von Miguel. Es war wirklich eine Herausforderung, jeweils im richtigen Moment die vorhandenen Ressourcen ideal auszuschöpfen.»
Die europäischen Hersteller haben 2022 bisher 14 von 17 MotoGP-Rennen gewonnen. Ducati 11, KTM 2, Aprilia 1, dazu kommen die drei Yamaha-Siege von WM-Leader Fabio Quartartaro, Honda und Suzuki sind bisher leer ausgegangen.
Trotz der jüngsten Fortschritte ist klar, dass KTM (wie Honda) die Aerodynamik-Entwicklung im Gegensatz zu Ducati und Aprilia ziemlich verschlafen hat.
Diesem Vorwurf widersetzt sich auch Pit Beirer nicht. «Schaut so aus», seufzte er auf Anfrage von SPEEDWEEK.com nach einer kurzen Nachdenkpause.
Deshalb haben Pit Beirer und KTM-Berater Heinz Kinigadner am Freitag des Silverstone-GP das Formel-1-Hauptquartier von Red Bull Racing und Red Bull Technology im benachbarten Milton Keynes besucht und eine Zusammenarbeit mit dem Rennstall des Hauptsponsors aus Österreich vereinbart.
«Bei Red Bull Racing sind allein 230 Aerodynamiker beschäftigt», verriet KTM-Firmenchef Stefan Pierer nachher beim Österreich-GP in Spielberg.
Wie ist das passiert? Warum ist KTM beim «Aero Body» so deutlich ins Hintertreffen geraten?
«Ducati und Aprilia haben die Aufgabe einfach gut gelöst. Das ging los, als Flügel auf die Bikes gebaut wurden», blickt KTM-Rennchef Beirer zurück. «Man hat sich gefreut und gesagt: 'Das ist ja cool, du kriegst mehr Downforce, mehr Abtrieb, du kannst besser beschleunigen.' Das war der Anfang. Mittlerweile bist du in der MotoGP bei einer sehr komplexen Aero-Entwicklung. Sie muss dir beim Beschleunigen helfen, damit das Motorrad besser auf die Fahrbahn gedrückt wird, sie muss dir beim Anbremsen helfen, um das Hinterrad früher wieder auf den Boden zu bringen, sie muss dich beim Turning unterstützen. Die Aerodynamik darf dann bei Tempo 300 nicht so im Wind stehen, dass dein Top-Speed beeinträchtigt wird. Es geht also bei weitem um mehr, als zwei, drei Flügel auf das Bike zu bauen. Das ist die brutalste und hochwertigste Aero-Entwicklung.»
Offenbar haben Honda und KTM bei der Aero-Entwicklung nicht ausreichend Rücksicht auf die Fahrdynamik genommen.
«Und natürlich wird der extrem starke Motor, den wir haben, gewaltig über die Aerodynamik beeinflusst», ist sich Pit Beirer bewusst. «Das ist halt widersprüchlich, wenn du Turning, Downforce und Top-Speed auf einen Nenner bringen musst. Darum stoßen wir jetzt in der MotoGP eine neue Dimension auf. Ob sie für diese Klasse richtig ist, werden irgendwann die Zuschauer und Fahrer beurteilen. Aber ich möchte mir jetzt nicht den Kopf über die Sinnhaftigkeit der MotoGP-Aerodynamik zerbrechen. Sondern wir werden jetzt unsere Hausaufgaben machen und schauen, dass wir in der nächsten Saison konkurrenzfähig sind.»
MotoGP-Ergebnis, Buriram (2.10.):
1. Oliveira, KTM, 25 Rdn in 41:44,503 min
2. Miller, Ducati, + 0,730 sec
3. Bagnaia, Ducati, + 1,968
4. Zarco, Ducati, + 2,490
5. Marc Márquez, Honda, + 2,958
6. Bastianini, Ducati, + 13,257
7. Viñales, Aprilia, + 14,566
8. Alex Márquez, Honda, + 14,861
9. Martin, Ducati, + 15,365
10. Brad Binder, KTM, + 18,097
11. Aleix Espargaró, Aprilia, + 19,041
12. Rins, Suzuki, + 19,659
13. Morbidelli*, Yamaha, + 22,439
14. Pol Espargaró, Honda, + 23,646
15. Raúl Fernández, KTM, + 30,483
16. Bezzecchi, Ducati, + 33,466
17. Quartararo, Yamaha, + 34,072
18. Di Giannantonio, Ducati, + 36,203
19. Crutchlow, Yamaha, + 36,532
20. Petrucci, Suzuki, + 42,508
21. Darryn Binder, Yamaha, + 49,992
22. Nagashima, Honda, + 51,346
23. Marini, Ducati, 2 Runden zurück
– Remy Gardner, KTM, 14 Runden zurück
*= 3-Sekunden-Penalty (wegen «track limits»)
MotoGP-WM-Stand (nach 17 von 20 Rennen):
1.Quartararo 219 Punkte. 2. Bagnaia 217. 3. Aleix Espargaró 199. 4. Bastianini 180. 5. Miller 179. 6. Brad Binder 154. 7. Zarco 151. 8. Oliveira 131. 9. Martin 127. 10. Viñales 122. 11. Rins 112. 12. Marini 101. 13. Marc Márquez 84. 14. Bezzecchi 80. 15. Mir 77. 16. Alex Márquez 50. 17. Pol Espargaró 49. 18. Nakagami 46. 19. Morbidelli 31. 20. Di Giannantonio 23. 21. Dovizioso 15. 22. Darryn Binder 10. 23. Gardner 9. 24. Raúl Fernández 9. 25. Crutchlow 3. 26. Bradl 2.
Konstrukteurs-WM:
1. Ducati 391 Punkte (Titelgewinner). 2. Aprilia 235. 3. Yamaha 224. 4. KTM 206. 5. Suzuki 138. 6. Honda 124.
Team-WM:
1. Ducati Lenovo Team 396 Punkte. 2. Aprilia Racing 321. 3. Red Bull KTM Factory 285. 4. Prima Pramac Racing 278. 5. Monster Energy Yamaha 250. 6. Gresini Racing 203. 7. Suzuki Ecstar 189. 8. Mooney VR46 Racing 181. 9. Repsol Honda 135. 10. LCR Honda 96. 11. WithU Yamaha RNF 28. 12. Tech3 KTM Factory 18.