Ein Hoffnungsschimmer bei der KTM AG

Kauft Pierer Mobility AG die Nobelmarke MV Agusta?

Von Günther Wiesinger
Der KTM-Firmenchef Stefan Pierer bemühte sich jahrelang um den Kauf von Ducati. Im August 2022 offenbarte er sein Interesse an MV Agusta. Jetzt bahnt sich ein Deal mit MV Agusta an.

Stefan Pierer hat 1992 die Motorradmarke KTM nach einem Konkurs gekauft und aus dem Offroad-Nischenhersteller mit damals 150 Mitarbeitern und 6000 verkauften Motorrädern einen global erfolgreichen Konzern gemacht. Die heutige Pierer Mobility AG hat 2012 von BMW auch die Husqvarna Motorcycles gekauft und im Frühjahr 2020 auch noch den spanischem Hersteller GASGAS zu 100 Prozent übernommen.

Dazu bemühte sich Stefan Pierer jahrelang um den Kauf von Ducati. Am 7. Dezember 2017 hatte der KTM-Vorstandsvorsitzende Stefan Pierer in einem Exklusiv-Interview mit SPEEDWEEK.com weltweit für Schlagzeilen gesorgt, als er erstmals ankündigte, er sei an der Übernahme des italienischen Motorradherstellers Ducati interessiert, der fünf Jahre vorher von der VW Gruppe unter Ferdinand Piëch gekauft worden war – für ca. 730 Millionen Euro.

Innerhalb der VW-Gruppe wurde Ducati damals als Sportmotorradhersteller der Audi Group zugeteilt, zu der auch Lamborghini gehört.

Stefan Pierer hat immer wieder versichert, er werde mit seinen Marken KTM, Husqvarna und GASGAS keine Motorräder mit mehr als zwei Zylindern bauen. «Um einen Dreizylinder anbieten zu können, müsste Triumph zu unserer Gruppe kommen, was ich ausschließe, so sehr sich mein indischer Partner Bajaj darum bemüht», betonte er regelmäßig. 

Pierer ließ immer wieder durchblicken, Vierzylinder-Bikes könnten für das österreichische Werk eines Tages durch einen Kauf von Ducati ein Thema werden. Er betonte: «Ducati wird unter Druck kommen. Die ganzen neuen Herausforderungen wie Digitalisierung und E-Mobilität, neue Abgasnormen, das kann ein so kleiner Hersteller wie Ducati allein auf Dauer nicht bewältigen.»

Deshalb nahm Pierer mit seinem Zweirad-Konzern Pierer Mobility AG immer wieder Ducati ins Visier für eine Übernahme. Die Pierer-Gruppe hat sich längst zum größten Motorradhersteller Europas gemausert – mit 270.000 verkauften Einheiten im Jahr. 2021 wurde beim Absatz das zehnte Rekordjahr in Folge gemeldet. Der Umsatz kletterte auf 1530 Millionen Euro. 

Die Pierer-Gruppe expandiert auch in der Fahrradsparte und hat die deutsche Firma R-Raymon als Spezialist für E-Bicycles und dazu 2022 die US-Kultmarke FELT Bicycles gekauft. 

Kauf von Ducati gescheitert

Mehrmals wurde in den letzten Jahren kolportiert, die Pierer Mobility AG stehe kurz vor der Übernahme der Ducati Motor Holding und der Rennabteilung Ducati Corse.

Doch Stefan Pierer dementierte damals alle diesbezüglichen Meldungen im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. Er bestätigte aber die Verhandlungsgespräche. «Sie sind zuletzt im November und Dezember 2020 über die Bühne gegangen. Doch die Familien Piëch und Porsche verkaufen nicht, auch die dritte Generation nicht. Da spielt vielleicht auch die Eitelkeit eine Rolle.»

Doch Stefan Pierer nahm danach ein anderes italienisches Fabrikat ins Visier – die Nobelmarke MV Agusta.

Sie würde perfekt ins Portfolio und auch zum KTM-Slogan «Ready to Race» passen. Während KTM bisher über alle Disziplinen hinweg (Road Racing, Cross, Supercross, Rallye, Enduro und so weiter) 227 Weltmeistertitel gewonnen hat, hat MV Agusta in seiner ruhmreichen Ära mit Stars wie Carlo Ubbiali, John Surtees, Mike Hailwood, Gary Hocking, Tarquinio Provini, Cecil Sandord, Giacomo Agostini und Phil Read nicht weniger als 38 Fahrer- und 37 Konstrukteurs-Weltmeistertitel erobert.

KTM und MV Agusta kooperieren seit 21. September 2022 in Nordamerika. Schon damals konnte man sich ausmalen, dass diese Zusammenarbeit nur der Anfang sei. Denn die KTM AG, eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der Pierer Mobility AG, übernahm Vertrieb, Vermarktung und Kundenbetreuung der MV Agusta Motorradpalette für die Märkte USA, Kanada und Mexiko über ausgewählte KTM-Händler sowie bestehende und neue MV Agusta Stores.

KTM brachte in diese Partnerschaft ihre starke Marktpräsenz in Nordamerika ein, wo das Unternehmen für das Geschäftsjahr 2022 mit den Motorradmarken KTM, Husqvarna und GASGAS mehr als 100.000 Einheiten verkaufen wird. Die Übernahme des Vertriebs der Marke MV Agusta ergänzte dieses umfangreiche Angebot an Premium-Motorrädern der Pierer Mobility-Gruppe um sportliche Strassenmotorräder und verschaffte der MV Agusta einen wettbewerbsfähigen Zugang zum nordamerikanischen Markt.

Stefan Pierer: «MV Agusta hat gute Konzepte»

Zu Beginn dieser Woche sind in Italien Meldungen kolportiert worden, wonach bei MV Agusta in Schiranna nach 15 turbulenten Jahren mit mehreren Eigentümerwechseln und teilweisen Betriebsstillegungen ein neuer Eigentümer oder Großaktionär vor der Tür stehen könnte – die Pierer Mobility AG.

Schon einmal gab es eine geschäftliche Verbindung zwischen MV Agusta und einem renommierten Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum, als sich Mercedes AMG im Oktober 2014 mit 25 Prozent an der MV Holding beteiligte, die Anteile aber im Dezember 2017 wieder an die Italiener zurückverkaufte.

Mit dem Rückkauf dieser Minderheitsbeteiligung von Mercedes AMG wurden Giovanni Castiglioni, Sohn und Erbe des Firmengründers Claudio Castiglioni, und der Russe Timur Sardarov die Teilhaber der MV Agusta Motor S.p.A.

Sardarov erwarb im Juli 2017 über seine Firma Black Ocean Group und deren Investmentfonds «Comsar Invest» eine Beteiligung an MV Agusta, die bei knapp 50 Prozent lag.

Der Russe Timur Sardarov ist der Sohn des Industriellen Rashid  Sardarov, der mit seiner Firma Comstar Energy Group durch Öl- und Gasförderung zu den 500 reichsten Personen Russlands gehört.

Timur Sardarov investierte schon Ende 2016 in MV Agusta und übernahm im Juni 2017 mit einer Investition von weiteren 50 Millionen Euro die Mehrheit bei MV Agusta. Er bekleidet seither den Posten des CEO und Vorstandsvorsitzenden, für Giovanni Castiglioni wurde der Posten des Präsidenten geschaffen. Im Klartext hieß das: Castiglioni bringt seine Design-Visionen ein, Sardarov kontrollierte das operative Business und wachte über die Finanzen.

Sardarov kündigte im Juni 2021 an, er sei auf dem besten Weg, MV in eine sichere Zukunft zu führen. «Eines meiner ersten Ziele war es, die finanzielle Stresssituation des Unternehmens zu lösen und die industriellen und kommerziellen Grundlagen für das Wachstum zu schaffen. Inzwischen haben wir diese Ziele erreicht; wir können mit zuversichtlich in die Zukunft blicken, dank dem Erfolg unserer neuen Modelle.»

Sardarov wollte 2021 erstmals in der MV-Geschichte die 100-Millionen-Euro-Umsatzgrenze überschreiten und diesen Wert innerhalb der nächsten drei Jahre verdreifachen.

Von der Pierer Mobility AG in Österreich werden die jüngsten Übernahmeabsichten im Zusammenhang mit MV Agusta nicht bestätigt. Am kommenden Donnerstag wird es dazu rechtzeitig vor der Mailänder Motorradmesse EICMA (8. bis 13. November) eine Pressemitteilung geben. 

Auf Anfrage von SPEEDWEEK.com erklärte Firmenchef Stefan Pierer heute: «Nein, wir haben MV Agusta nicht gekauft. Aber wir haben vor einem Monat den Generalvertrieb für die Marke in Nordamerika übernommen und verhandeln derzeit über eine Ausweitung des Vertriebsgebiets», erklärte der Vorstandsvorsitzende der Pierer-Gruppe. 

Übrigens: Stefan Pierer hat schon einmal eine Motorradfirma gekauft, die zwischendurch im Besitz der Cagiva-Gründerfamilie Castiglioni war – nämlich Husqvarna. Die Italiener hatten die ursprünglich schwedische Marke in Cassinetta di Biandronno in der Provinz Varese stationiert, in der jetzt auch MV Agusta zuhause ist. 

Stefan Pierer räumte beim Gespräch mit SPEEDWEEK.com bereits vor einigen Wochen sein Interesse an MV Agusta ein.

Auf die Frage, ob die Entscheidung für Serienmotoren mit maximal zwei Zylindern weiter Bestand habe, erklärte der 65-jährige Steirer im August: «In der Eigenentwicklung wird es bei uns keinen Drei- oder Vierzylinder geben. Aber es kann ja sein, dass solche Triebwerke irgendwo runterfallen...»

Das Interesse an Triumph und deren Dreizylinder-Konzepten war bei Pierer zu diesem Zeitpunkt längst erlahmt. «Denn die Engländer sind aus der EU ausgetreten, also ist das kein Thema mehr. Es bleiben deshalb in Europa für uns nur noch zwei italienische Marken übrig. Die eine ist Ducati, die andere MV Agusta», hielt Pierer fest.

Die reiche, russische Oligarchen-Famile Sardarov leidet seit Beginn des Ukraine-Kriegs unter der schlechten Stimmung, die den Russen seither entgegenschlägt. «Doch Timurs Vater Rashid Sardarov hat sich von Anfang an klar deklariert und sich gegen den Krieg ausgesprochen», weiß Stefan Pierer.

Pierer will sich zur Frage, ob die Vereinbarung für den Generalvertrieb von MV Agusta in Nordamerika und anderen wichtigen Märkten der erste Schritt zu einer Beteiligung an der Edelmarke MV Agusta sei, momentan nicht eindeutig äussern. «Das wird noch eine Zeitlang dauern», versicherte er heute gegenüber SPEEDWEEK.com. 

Der Österreicher verfolgt aber durchaus ernste Absichten mit der MV Agusta Motor S.p.A. «Offroad-Marken haben wir bereits genug. Das funktioniert ja ausgezeichnet», hält Pierer fest. «MV Agusta ist sicher eine renommierte, bewährte Marke mit guten Konzepten. Aber wegen des Ukraine-Kriegs tut mir Sardarov echt leid. Das ist nicht einfach für dieses Unternehmen.»

Dabei hat sich auch Timur Sardarov schon im März in einem offenen Brief gehen den russischen Einmarsch in der Ukraine ausgesprochen. 

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