KTM: Im Werk gingen die Lichter aus

Stefan Bradl: «Fahrer macht nur noch 60 Prozent aus»

Von Günther Wiesinger
«Marc Márquez gibt nie auf, er ist extrem risikobereit», sagt Stefan Bradl. «Er will den Erfolg um jeden Preis. Aber seine Gesundheit hat darunter gelitten.»

Zu Beginn der MotoGP-Saison 2023 wird auch aufmerksam beobachtet werden, wie sich Repsol-Honda-Star Marc Márquez mit 30 Jahren von Beginn an gegen die junge Generation mit den Weltmeistern Fabio Quartararo und Pecco Bagnaia sowie die Ducati-Hoffnungen Enea Bastianini und Jorge Martin und die Hoffnungsträger von Aprilia und KTM durchsetzt.

Marc Márquez wollte schon 2022 auf Titeljagd gehen, doch er kam beim Auftakt in Doha über Platz 5 nicht hinaus, dann fehlte er wegen der Doppelsichtigkeit in den Rennen von Mandalika und Termas de Río Hondo – damit war der WM-Zug abgefahren. Daran änderten auch die zwei sechsten Plätze in Texas und Portimão nichts. Vor dem Jerez-GP lag Marc bereits mit 31 zu 69 Punkten gegenüber WM-Leader Quartararo im Rückstand.

Marc Márquez stürzte beim Indonesien-GP in 48 Stunden inklusive Warm-up viermal, weil er nicht wahrhaben wollte, dass die Honda RC213V mit der weichen Reifenkarkasse von Michelin überhaupt nicht harmonierte.

«In solchen Situationen kann Marc halt nicht akzeptieren, dass es nicht funktioniert, deshalb probiert er es immer wieder», weiß Stefan Bradl, der 2022 siebenmal für den Spanier bei Repsol-Honda einsprang. «Der Kerl gibt einfach nicht auf und ist so extrem risikobereit. Er will den Erfolg, koste es, was es wolle. Aber die Gesundheit hat bei ihm in den letzten zweieinhalb Jahren mit den vier Oberarm-Operationen mit der zweimaligen Doppelsichtigkeit arg gelitten. Die behandelnden Ärzte haben ihm das schon klargemacht, und er merkt es ja auch selber. Vor allem: Die jungen Fahrer drücken nach.»

Gleichzeitig wurde die Konkurrenz deutlich stärker – von Ducati über Aprilia bis zu KTM. Sogar Suzuki gewann trotz des Ausstiegs noch zwei der letzten drei Rennen. Honda siegte in den letzten drei Jahren nur dreimal – 2021 mit Marc Márquez.

«Marc fordert von Honda jetzt mehr und mehr, weil er sieht, dass bei Ducati alle Fahrer mit den unterschiedlichsten Fahrstilen und unterschiedlichsten Qualitäten auf der Desmosedici auf eine einzelne Runde extrem schnell sind», sagt Bradl. «Daraus schlussfolgert Marc, dass es für die Fahrer nicht sooo schwer sein kann, auf der Ducati eine Pole-Position zu fahren.»

Und jetzt hat Marc seinen Bruder schon einmal als Vorhut zu Gresini-Ducati geschickt, um in Erfahrung zu bringen, wie der nächste Neuling auf der GP22 zurechtkommt. Gleichzeitig fordert er von Honda ein kompromissloses Sieger-Motorrad. 

«Die Meisterschaft entwickelt sich inzwischen so, dass du als Fahrer nicht mehr so klar den Unterschied ausmachen kannst wie vor ein paar Jahren», ist Stefan Bradl überzeugt. «Als es noch keine Devices und keine aerodynamischen Hilfsmittel gegeben hat, konntest du als Fahrer einen größeren Unterschied herstellen. Früher war es 80 Prozent Fahrer, 20 Prozent Material. Mittlerweile würde ich sagen: 60 Prozent macht der Fahrer aus, 40 Prozent das Material. Diese Gewichtung hat sich definitiv verschoben.»

Die Honda-Manager wie Alberto Puig beschwören immer wieder die Vergangenheit und blenden auf die Jahre 2013 bis 2019 zurück, als Repsol-Honda mit Márquez sechs von sieben Fahrer-Weltmeisterschaften gewann.

Doch im Rennsport gilt das eiserne Gesetz: Nichts ist so alt wie der Erfolg von gestern.

Stefan Bradl, der in seine sechste Saison als Honda-Testfahrer geht, bemängelt zwar die mangelnde Risikobereitschaft der Honda-Ingenieure. Doch der Moto2-Weltmeister von 2011 erinnert sich auch an die mageren Jahre von Ducati. «Die haben jetzt auch 15 Jahre gebraucht, bis sie wieder Weltmeister geworden sind», dämpft der 33-jährige Bayer die Euphorie um die Roten aus Borgo Panigale.

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