Formel 1: Aus für Perez bei Red Bull Racing

Marc Márquez: Bisher kein Ausweg aus dem HRC-Dilemma

Von Günther Wiesinger
Seit 2017 hat im Repsol-Team kein anderer Honda-Fahrer außer Marc Márquez gewonnen. Die vielen Versäumnisse fallen dem ruhmreichen Team jetzt auf den Kopf.

Die Honda Racing Corporation hat sich in den letzten zehn Jahren in der MotoGP-WM vorrangig auf die Fahrkünste von Marc Márquez verlassen. Seit dem Einstieg des Moto2-Weltmeisters von 2012 in die Königsklasse siegt der Spanier bei 59 Rennen, seine Teamgefährten taten sich schwer. Selbst der grandiose Dani Pedrosa, MotoGP-Vizeweltmeister 2007, 2010 und 2012, tat sich schwer. Er gewann in Marquez’ Rookie-Jahr 2013 noch dreimal, 2014 und 2016 nur je einmal, 2015 und 2017 je zweimal, 2018 ging er erstmals in seiner MotoGP-Laufbahn leer aus.

2019 wurde Jorge Lorenzo an die Seite von Marc Márquez geholt, aber das geplante «Dream Team» funktionierte nicht, der Mallorquiner, immerhin dreifacher MotoGP-Weltmeister auf Yamaha, kam mit der Honda RC213V nicht zurecht. Er brachte kein einziges Top-Ten-Ergebnis zustande, Platz 11 beim Le-Mans-GP blieb sein Saison-Highlight. Auch seine Nachfolger Alex Márquez (2020) und Pol Espargaró (2021 und 2022) blieben sieglos.

Bradl: «Marc Márquez – das ist Fluch und Segen zugleich»

«Einen Ausnahmekönner wie Marc Márquez im Team zu haben, ist Fluch und Segen zugleich», meint Honda-Testfahrer und ServusTV-Experte Stefan Bradl im Gespräch mit SPEEDWEEK.com. «Das ist für den Teammanager und für die anderen Honda-Verantwortlichen nicht leicht. Bei SPEEDWEEK habe ich einmal gelesen, KTM-Firmenchef Stefan Pierer möchte Márquez gar nicht engagieren. ‘Wenn er gewinnt, ist der Fahrer schuld. Und wenn er verliert, war es mein Motorrad’, war seine Begründung. So eine Situation ist nicht einfach zu handhaben. In der Formel 1 ist es das Gleiche. Da hast du bei Red Bull Racing einen Nummer-1-Fahrer wie Max Verstappen, Sergio Perez muss sich dahinter anstellen. Das ist bei Repsol-Honda auch so gewesen. Der zweite Fahrer muss zuerst einmal seine Position unter Beweis stellen, und wenn die Resultate nicht gleich so ausfallen, wo sie ihn haben wollen, das heißt permanent auf dem Podium, dann wächst der Druck. Denn so ein Werksteam mit so einer erfolgreichen Vergangenheit, da schauen die Japaner auch direkt auf die Ergebnisse. Der Faktor Zeit und die Geduld sind dann bei Marcs Teamkollegen vielleicht etwas zu kurz gekommen. Manchmal muss man den Fahrern etwas Zeit geben.»

Fabio Quartararo und Pecco Bagnaia wurden von Yamaha und Ducati in den Kundenteams Petronas und Pramac zwei Jahre lang ohne großen Druck aufgebaut und an das Werksmaterial gewöhnt.

Stefan Bradl kennt den Leistungsdruck von Honda aus eigener Erfahrung. Vor seinem dritten LCR-Jahr 2014 machten ihm die Japaner klar, man erwarte ab jetzt bei jedem Grand Prix ein Top-3-Ergebnis, so müsse er sich für das Repsol-Team empfehlen. Bradl stürzte beim Auftakt in Doha in Führung liegend. Nach vierten Plätzen wie in Texas oder fünften wie in Catalunya machten das Team und HRC aus ihrer Enttäuschung kein Hehl.

Der Bayer wechselte 2015 zu Yamaha und ab dem Indy-GP im August ins Aprilia-Werksteam.

Die Öffentlichkeit bekam in letzter Zeit den Eindruck, bei den Honda-Technikern herrsche Ratlosigkeit vor. Dieser Eindruck wurde bereits beim Katar-Test im März 2020 in Doha offenkundig, als Márquez und Crutchlow vor dem dritten und letzten Testabend die LCR-Box plünderten und dort 2019-Material zusammensuchten, weil sich die 2020-Werks-Honda zwei Abende lang als grober Reinfall erwiesen hatte.

Seither hat Honda in der Konstrukteurs-WM dreimal den letzten Platz errungen. Deshalb musste der 2016 installierte Technical Director Takeo Yokoyama gehen. Seine Entlassung war bereits beim Silverstone-GP durchgesickert. Honda dementierte sie auch vier Wochen später noch.

Auch die Customized-Bikes-Idee erlitt Schiffbruch

Honda erlebte natürlich auch in den vergangenen 15 oder 20 Jahren immer wieder Schwächephasen. So war die neue 800-ccm-Maschine RC212V im Jahr 2007 anfangs gegen Ducati unterlegen.

Es gab Jahre mit Fehlschlägen wegen eines extremen Leichtbaus, wegen erfolglosen Motor-Spezifikationen oder dem verpatzten Einstieg ins Einheits-ECU-Zeitalter 2016 mit Magneti Marelli.

Aber im Paddock machte sich in diesen Phasen bei der Konkurrenz nie Schadenfreude breit. Denn alle Beteiligten wussten: «Wenn jemand das Problem in Kürze lösen kann, dann Honda.»

Diese Fähigkeit ist bei HRC abhanden gekommen. Vielleicht auch, weil Marc Márquez die Mängel der MotoGP-Honda jahrelang mit seinem einmaligen Fahrkönnen und seiner Risikobereitschaft übertüncht hat.

Weil offenbar nur Marc Márquez mit der RC213V zurechtkam, entscheid sich HRC für 2021, für alle vier Fahrer «customized bikes» zu entwickeln, also maßgeschneiderte Modelle, zugeschnitten auf die Wünsch der einzelnen Piloten.

Auch diese merkwürdige und aufwändige Strategie hat Schiffbruch erlitten. Marc Márquez gewann trotz eines krummen Oberarms drei Rennen, die anderen Honda-Fahrer gingen unter.

Und in den letzten drei Jahren, in denen Marc Márquez immer wieder verletzungsbedingt fehlte, 2020 bestritt er sogar nur ein Rennen, konnte der Superstar auch nie mehr die Entwicklung maßgeblich beeinflussen.

Deshalb fürchtet er seit dem missglückten Valencia-Test im November: «Mit dem bisher gezeigten 2023-Prototyp werden wir nicht um den Titel fahren können.»

Jetzt büßen die Honda-Manager für ihre jahrelang Unfähigkeit, bei Gresini, LCR oder Marc VDS ein Talent für Repsol-aufgebaut zu haben.

Der Mallorquiner Joan Mir wollte nach seinem Moto2-WM-Jahr 2018 für die folgende Saison zu Honda in die MotoGP, er war damals 21 Jahre alt. Sein Manager wollte ihn aber nicht im LCR-Privatteam sehen, sondern im Repsol-Werksteam.

Die Honda-Manager lehnten ab.

Der Rest ist bekannt. Joan Mir unterschrieb für das Suzuki Ecstar-Team – und gewann die MotoGP-WM 2020 mit 23 Jahren als krasser Außenseiter.

HRC vertraute 2019 lieber auf einen älteren Mallorquiner Jorge Lorenzo – mit dem bekannten Ergebnis.

Honda fehlt also der Mut zum Risiko nicht nur im Bereich der technischen Innovationen.

Deshalb darf jetzt der Japaner Taka Nakagami mit 31 Jahren eine sechste Saison bei Honda-MotoGP fahren. Bei europäischen Piloten ist die Geduld oft nach ein oder zwei Jahren zu Ende.

Der 21-jährige Moto2-Vizeweltmeister Ai Ogura muss bei Honda womöglich noch lange auf seine MotoGP-Chance warten.

Anscheinend muss er zuerst Weltmeister werden. Bei Nakagami haben schon zwei Moto2-Siege in sechs Jahren gereicht.

Dovizioso, Iannone, Stoner, Viñales, Mir, Rins, Martin, Miller, Binder, Oliveira, Quartararo und Aleix Espargaró waren nie Weltmeister in der Mittelgewichtsklasse.

Trotzdem sind aus ihnen recht anständige MotoGP-Rennfahrer geworden.

Valencia-Test, MotoGP (8. November):

1. Marini, Ducati, 1:30,032 min
2. Viñales, Aprilia, + 0,225 sec
3. Bezzecchi, Ducati, + 0,230
4. Oliveira, Aprilia, + 0,335
5. Aleix Espargaró, Aprilia, + 0,366
6. Di Giannantonio, Ducati, + 0,451
7. Brad Binder, KTM, + 0,464
8. Martin, Ducati, + 0,544
9. Quartararo, Yamaha, + 0,546
10. Bastianini, Ducati, + 0,560
11. Zarco, Ducati, + 0,594
12. Bagnaia, Ducati, + 0,623
13. Marc Márquez, Honda, + 0,644
14. Morbidelli, Yamaha, + 0,659
15. Álex Márquez, Ducati, + 0,680
16. Pol Espargaró, GASGAS, + 0,725
17. Miller, KTM, + 0,755
18. Mir, Honda, +0,882
19. Nakagami, Honda, + 1,049
20. Rins, Honda, +1,196
21. Raúl Fernández, Aprilia, +1,308
22. Augusto Fernández, GASGAS, + 1,698
23. Pirro, Ducati, + 2,773

Die Erfolge von Repsol Honda in der «premier class»

15 Weltmeistertitel
6 Marc Márquez: 2013, 2014, 2016, 2017, 2018, 2019
4 Mick Doohan: 1995, 1996, 1997, 1998
2 Valentino Rossi: 2002, 2003
1 Casey Stoner: 2011
1 Nicky Hayden: 2006
1 Alex Crivillé: 1999

183 GP-Siege
Marc Márquez: 59
Mick Doohan: 35
Dani Pedrosa: 31
Valentino Rossi: 20
Casey Stoner: 15
Alex Crivillé: 14
Tadayuki Okada: 4
Nicky Hayden: 3
Andrea Dovizioso: 1
Tohru Ukawa: 1

454 Podestplätze

Dani Pedrosa: 112
Marc Márquez: 100
Mick Doohan: 48
Alex Crivillé: 44
Valentino Rossi: 31
Casey Stoner: 26
Nicky Hayden: 25
Tadayuki Okada: 21
Andrea Dovizioso: 15
Tohru Ukawa: 10
Sete Gibernau: 5
Max Biaggi: 4
Alex Barros: 4
Takuma Aoki: 3
Shinichi Itoh: 2
Alex Márquez: 2
Pol Espargaró: 2

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