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Marco Simoncelli: Teenie-Schwarm, Rebell, Draufgänger

Von Günther Wiesinger
Marco Simoncelli ist unvergessen

Marco Simoncelli ist unvergessen

Am 20. Januar 2023 wäre Marco Simoncelli 36 Jahre alt geworden. Der charismatische Italiener, der in seiner kurzen Karriere 14 GP-Siege und 17 weitere Podestplätze errang, ist unvergessen.

Der Tod von Marco Simoncelli hat die Motorradwelt im Oktober 2011 tief bewegt. Seit dem Verlust von Ayrton Senna 1994 hatte kein so charismatischer und populärer Motorsportler auf der Rennstrecke sein Leben verloren.

Deshalb ging der Tod von Super-SIC vielen Menschen so nahe. Die Betroffenheit nahm ungeahnte Ausmaße an – und sie ist heute im Fahrerlager noch an allen Ecken und Enden spürbar. Täglich läuft man 20 Mal an einem Truck vorbei, auf dem die Nr. 58 klebt, Journalisten haben ihre Notebooks mit der 58 dekoriert, auch die Buttons sind überall zu sehen.

Die GP-Piste an der Adria wurde in «Misano World Circuit Marco Simoncelli» umbenannt, es wurde eine «Fondazione Marco Simoncelli 58» gegründet, es gibt den «SIC Supermoto Day», bei dem 2013 leider Doriano Romboni ums Leben kam. In der Unglückskurve in Sepang steht eine SIC58-Gedenktafel; im Heimatort Coriano ist ein sehr sehenswertes SIC-Museum (mit seiner Honda RC213V) entstanden und dazu ein Kunstwerk mit Strahlkraft.

Papa Paolo kehrte 2017 mit dem Moto3-Team «SIC58 Squadra» in die Weltmeisterschaft zurück. «Ich habe mir nach Marcos Tod vorgenommen, irgendwann wieder mit einem Teamtruck durch das Tor zum Fahrerlager zu fahren», erklärte er. Inzwischen hat sein Team GP-Siege gefeiert.

Die Startnummer 58 wird in der MotoGP-Kategorie nicht mehr vergeben. Nur die Familie Simoncelli kann diese Entscheidung rückgängig machen.

SIC: Eine Abkürzung für Simoncelli? Weit gefehlt.

Marco Simoncelli hat sich den nicht sehr gebräuchlichen italienischen Ausdruck «sbatti i coglioni» zum Lebensmotto gemacht, das bedeutet so viel wie «fuck it» oder «das ist mir scheißegal».

Der furchtlose Italiener war ein Nonkonformist, ein Rebell, ein Draufgänger, ein Kämpfer, sein Charisma reichte an jenes von Valentino Rossi heran. Deshalb lebt er in den Herzen von Tausenden Fans weiter. Sie nannten ihn bald Super-SIC.

Es ist eine merkwürdige Ironie des Schicksals, dass auch die GP-Strecke in Malaysia SIC heißt – das steht für Sepang International Circuit. Ausgerechnet dort verunglückte Marco.

Respektlos und grenzenlos begabt

Marco Simoncelli, auf Gilera 2008 Weltmeister in der 250-ccm-Klasse, war ein Popstar, seine Jimi-Hendrix-Frisur machte ihn zum Teenie-Schwarm, seine respektlose Fahrweise, seine grenzenlose Begabung, sein unbekümmertes Auftreten, seine Fehden in der 250er-Ära gegen die Spanier – Marco war ein junger Mann mit Ecken und Kanten.

Die Nummer 58 ließ sich nicht verbiegen. Als die Dorna den Japan-GP 2011 nach der Atomkatastrophe von Fukushima einfach von April auf Oktober verlegte und viele im GP-Tross Angst vor den Strahlen hatten, ließ sich SIC in der Boxengasse provokativ mit einem Geigerzähler fotografieren.

Ausgerechnet Valentino Rossi hatte den in Runde 2 gestürzten Simoncelli überfahren und ihm dabei vielleicht die tödlichen Verletzungen zugefügt. Valentino rumpelte über Marcos Oberarm und riss ihm dabei mit der Vordergabel den Helm vom Kopf.

Natürlich wurde die Frage erörtert, warum der AGV-Helm davongeflogen sei. Lag es daran, dass Simoncelli wegen seines Wuschelkopfs einen zwei Nummern größeren Helm trug als seine Kopfgröße verlangt hätte?

AGV-Entwickler Vittorio Cafaggi: «Der Helm musste davonfliegen. Jeder Kinnriemen muss einer gewissen Belastung standhalten. Dann muss er reißen. Die Halterung am Kinn wurde rausgerissen. Wäre der Helm nicht davongeflogen, wäre Marcos Kopf abgerissen worden...»

«Es war sehr hart, ein wirklich dramatischer Moment», erinnerte sich Valentino Rossi. «Der Tag in Sepang, der Moment nach dem Rennen, war einer der schlimmsten meines Lebens. Ein Moment, in dem man sich fragt: Wie sollen wir weitermachen, verdammt? Ich war verzweifelt, als ich mit Uccio und Max in meinem Office war, dieses Gefühl werde ich leider nie mehr vergessen. Danach wurde es sogar noch schlimmer, weil wir einen großartigen Fahrer verloren, der sich mit den modernen Fahrern großartige Kämpfe hätte liefern können. Ich verlor aber auch einen guten Freund. Ich verbrachte in den Jahren viel Zeit mit Marco, vor allem seit 2006. Er hinterließ eine große Lücke.»

«Ich sage auch immer, dass Marco der erste Fahrer aus der Academy war, obwohl es die Academy zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gab», ergänzte der neunfache Weltmeister. «Wir fingen aber mit Marco an, er war der erste Fahrer, den wir im Training und mit meiner Erfahrung unterstützten. Wenn ich die Fahrer aus der Academy jetzt sehe, erinnere ich mich immer an Marco. Es ist immer schön, an Sic zu denken, mir kommt immer ein Lächeln. Und ich habe das Gefühl, als hätte ich ihn erst vor wenigen Monaten zum letzten Mal gesehen.»

Tollpatschige Rettungsaktion

Die Rettungsaktion der malaysischen Streckenposten wurde von Zuschauervideos sofort als tollpatschig enttarnt. Sie luden den leblosen Simoncelli auf eine Trage und liefen Richtung Dreifach-Leitplanke, hinter der ein Rettungsauto wartete. In der Eile stolperte ein Helfer, danach entglitt den aufgeregten Rettern vorübergehend die Trage. Sie plumpste mitsamt Simoncelli in die Wiese.

Aber der Honda-Werksfahrer war bereits tot. «Marcos Herz hat wegen der schweren Brustkorb-Verletzungen bereits auf der Strecke aufgehört zu schlagen », berichtete Race-Director Paul Butler.

Das bestätigte auch Papa Paolo Simoncelli. «Ich war an der Unfallstelle. Marco war bereits tot. Ich nahm seine Hand, ich sprach ihn an. Aber er war bereits gestorben.»

Für den geschockten Paolo Simoncelli brach die Welt zusammen. «Ein Zufall», seufzte er. «Zehn Zentimeter Unterschied hätten gereicht, um die Schulter zu verletzen anstelle des Genicks. Leider ist Marco genau zwischen Nacken und Kopf getroffen worden. Sogar im Tod war er so schön. Ich liebe ihn zutiefst...»

Papa Paolo hatte seine Eisdiele verkauft, um Marcos Rennkarriere mitfinanzieren und ihn zu allen Rennen begleiten zu können.

«Marco war etwas Besonderes. Das haben die Leute erahnt und gespürt. Er war froh, ein einfaches Leben führen zu können, mit seinem Hund, im Grünen. Alles Unkomplizierte hat ihm gefallen. Nur selten ist ihm ein böses Wort über die Lippen gekommen, nur wenn er sich dazu gezwungen fühlte. Er war immer ehrlich und offen. Vielleicht war das der Grund für seinen frühen Tod, Man sagt, der liebe Gott holt die Besten zu sich. Ich weiß nicht, ob es stimmt. Aber ich hoffe, dass es so ist», sinnierte Paolo.

Er habe sich von Marco vor jedem Rennen mit einer Umarmung verabschiedet, erzählte der Senior. «Auch an diesem Sonntag in Sepang. Es hat nichts geholfen. Am Tag zuvor hat er zu mir gesagt: ‹Ich bin müde. Ich will heim.›»

«Ich habe Marco gelehrt, ein Krieger zu sein und nie aufzugeben... Ich weiß nicht, ob ich das Richtige getan habe», grübelte Paolo nach dem Unglück. «Wenn er den Motorradsport verlassen hätte, wäre er noch am Leben. Vor dem Unglücksrennen in Malaysia hat Marco wegen der Hitze in einem Pool mit Eiswürfeln gebadet. Er wollte unbedingt gewinnen. Er war in Bestform und überzeugt, früher oder später MotoGP-Weltmeister zu werden.»

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