Yamaha steht vor Einigung mit neuem Kundenteam

Honda 2023: Was kann man von Marc Márquez erwarten?

Von Günther Wiesinger
Mit bangem Erwarten blickt die HRC-Mannschaft dem Auftritt von Marc Márquez beim Sepang-Test entgegen. Nach dem diskreten Shakedown-Test sind von Honda keine Wunderdinge zu erwarten.

«Es tut sich was», erklärte Stefan Bradl Ende Oktober nach zwei privaten HRC-Tests in Jerez, wo er neue Entwicklungsteile an der Honda RC213V für 2023 ausprobiert hatte. Doch Marc Márquez zeigte sich dann vom 2023-Prototyop beim Dienstag-Test nach dem Valencia-GP am 8. November enttäuscht.

Der sechsfache MotoGP-Weltmeister hat bereits nach dem zehnten Platz in Mugello 2022 von Honda mit Nachdruck den Bau eines Sieger-Motorrads für 2023 gefordert. Nach seiner vierten Oberarm-OP kam er im August als Zuschauer zum Spielberg-GP. Dort verlangte er von HRC eine neue Herangehensweise, mehr Risiko bei technischen Experimenten und mehr Speed bei der Entwicklung.

Denn die konservative Vorgehensweise der Japaner führte zu einer katastrophalen MotoGP-Bilanz 2022: Nur zwei Podestplätze mit vier Piloten (Ducati 32), zum dritten Mal in Serie letzter und sechster Platz in der Konstrukteurs-WM. In der Team-WM die Ränge 9 und 11 für Repsol und LCR, in der Fahrer-WM reihten sich die vier Honda-Asse auf den Rängen 13 bis 18 ein!

Marc Márquez sprach auch im Herbst 2022 mehrmals Klartext. «Mit der Ducati sind alle Fahrer schnell. Wir brauchen mehr als einen Schritt. Uns läuft die Zeit davon. Mit diesem Bike können wir 2023 nicht Weltmeister werden», stellte er bei unterschiedlichen Gelegenheiten fest. 

Während Honda jahrelang das Geschehen dominierte, haben jetzt die Europäer das Kommando übernommen, die 2022 mit Ducati, KTM und Aprilia 15 der 20 Rennen gewonnen haben.

Honda hingegen lebt weiter in der Vergangenheit. Beim Misano-Test im November wurde unter strengster Geheimhaltung eine Aluschwinge von Kalex ausprobiert und ist immer noch Bestandteil des 2023-Pakets, obwohl die Konkurrenz mit Karbonschwingen gewinnt.

Auch der neue Vertrag mit Akrapovič wird über Nacht keinen drastischen Aufwärtstrend bewirken, denn die Firma aus Slowenien rüstet die Mehrheit der MotoGP-Werksteams aus. Nur Aprilia vertraut auf SC Project-Anlagen. Übrigens: Suzuki hat 2022 mit einer elektronische Auspuffanlage von Akrapovič experimentiert.

Bei Bradl waren in Sepang längere Ausruffendrohre zu sehen, wodurch wohl eine Verbesserung des Ansprechverhaltens beim V4-Motor erzielt werden soll. Ein Weg, den KTM schon 2022 beschritten hat.

Der Austausch von Technical Director Takeo Yokoyama durch den bisherigen Suzuki-Techniker Ken Kawauchi wird kurzfristig nicht viel bewirken. Denn die «engine specification» muss am Donnerstag vor dem ersten Training in Portugal Ende März homologiert werden, der erste «Aero Body» ebenfalls.

Bisher waren bei den Wintertests an der neuen Honda keine technischen Revolutionen zu beobachten. Auch die Rundenzeiten vom Shakedown in Sepang geben bei HRC keinen Anlass für euphorische Erwartungen.

Die bisherigen Leistungen lassen eher vermuten, dass Marc Márquez auch in der kommenden Saison gegen Ducati, Aprilia, Yamaha und KTM sowie GASGAS (mit Ex-Honda-Pilot Pol Espargaró) einen schweren Stand haben wird.

Dann könnte dem 29-jährigen Honda-Superstar endgültig der Kragen platzen.

Der Spanier wollte schon 2022 bis zum ersten Europa-GP in der WM so positioniert sein, dass er um den Titel fighten kann.

Doch der erste und einzige Podestplatz gelang ihm erst Mitte Oktober in Australien.

Honda-Testfahrer Stefan Bradl drehte an den drei Testtagen in Sepang 57, 27 und 77 Runden und landete nach den dritten Tag an sechster Stelle mit einem Rückstand von 1,326 Sekunden.

Er nützte den Dienstag bis zur letzten Sekunde aus, trotzdem sieht es nicht so aus, als sei die MotoGP-Honda ein Volltreffer. Denn auch am verregneten Montag kam der Bayer  mit 1,3 sec Rückstand nicht nicht über Rang 9 hinaus.

Die vier Honda-Fahrer klagten schon 2021 über die Schwäche des Bikes auf einer einzelnen Runde. Während die Gegner meist 100 Prozent aus den neuen, weichen Michelin-Reifen herausquetschten, schöpften die Honda-Fahrer das Grip-Potenzial nur zu 80 Prozent aus, lauteten die Aussagen übereinstimmend. Dieses Manko sorgte für triste Startplätze, und die Rennpace ließ 2022 ebenfalls arg zu wünschen übrig. 

Auch 2022 gelang Honda trotz vielfältiger Versuche kein Chassis, das auf der Mehrheit der Strecken zu den Michelin-Reifen passt. Marc Márquez stürzte allein in Mandalika in 48 Stunden viermal!

Und beim Sachsenring-GP erlebte Honda den Tiefpunkt: Erstmals seit 40 Jahren kein einziger Punkt in der «premier class».

Tiefer kann Honda nicht sinken: Der weltgrößte Motorrad-Hersteller hat auch 2022 mit dem teuersten Fahrer und dem größten Budget die kleinsten Erfolge errungen.

Inzwischen ist bei HRC viel Verunsicherung zu spüren. Nach drei mageren Jahren will keiner mehr die Beteuerungen hören, man habe die WM von 2013 bis 2019 sechsmal dominiert.

Offenbar ist auch bei Stefan Bradl in den letzten vier Monaten Ernüchterung eingekehrt. Er will sich vorläufig nicht mehr zum Stand der Dinge äußern und ist gespannt auf das Sepang-Ergebnis nach drei Tagen am kommenden Sonntagabend. Im vergangenen Januar wirkte er noch zuversichtlicher: Damals traute er Marc Márquez noch zu, 2023 um den Titel zu fighten.

Honda: In letzter Zeit viel nachgeahmt

Traurig: Während Honda zu Beginn der MotoGP-Viertakt-Ära die Konkurrenz mit der unschlagbaren 990-ccm-Fünfzylinder RC211V demütigte und auch 2011 mit der Seamless-Gearbox noch innovativer Vorreiter war, reicht es jetzt nur noch zum einfallslosen Nachahmen der Ideen von Ducati-Konstrukteur Gigi Dall’Igna: Es begann 2019 mit dem umstrittenen Hinterradflügel und setzte sich nachher fort, bei der Aerodynamik wurde auch Aprilia kopiert, und im September 2022 kopierte HRC innerhalb kürzester Zeit den Pokémon-Flügel am Heck, von dem viele Experten meinen, es sei nur ein PR-Gag von Ducati gewesen.

Stefan Bradl fuhr beim Shakedown-Test nur noch kärgliche Überreste dieser Dinosaurier-Flügel spazieren.

Während früher beim Sepang-Test Dutzende Ingenieure vor der HRC-Box lauerten, kauern die Spione inzwischen nur noch vor den Garagen von Ducati, Aprilia und KTM.

Die Ingenieure der Honda-Konkurrenz schauen sich höchstens noch Testbilder von Bradl auf den Internet-Plattformen an. «Es sieht so aus, als würden Honda im Moment diverse modulare Update-Pakete testen, wahrscheinlich um die Richtung zu finden. Das ist in dieser Phase vielleicht sinnvoller als ein komplettes Redesign, bei dem eine falsche Entscheidung das ganze Paket zum Scheitern verurteilen kann», meinte ein MotoGP-Entwickler auf Anfrage von SPEEDWEEK.com.

Yamaha hat 2015 (mit Lorenzo) und 2021 (mit Quartararo) die MotoGP-WM gewonnen und offenbar die Zeichen der Zeit rechtzeitig erkannt. Der Formel-1-Motorenexperte Ing. Luca Marmorini kümmert sich seit einem Jahr mit sechs Mitarbeitern in Italien um den M1-Motor. Dazu hat sich Yamaha jetzt mit Tom O’Kane einen der schlauesten Köpfe im Paddock gesichert; Er wurde von Suzuki ins Werksteam zurückgeholt. O'Kane war Leiter des Testteams bei Suzuki Ecstar und hat viel zur Entwicklung der GSX-RR beigetragen. Der Ire hat schon in der 500-ccm-Ära für Yamaha gearbeitet, danach für das Team Roberts, in dem er 2005 auch die 990-ccm-V4-Motoren von KTM eingesetzt hat.

Marc Márquez hat bisher bei Honda viel Geduld gezeigt. Aber die HRC-Manager wissen: Sobald ihm sein kleiner Buder auf der Ducati GP22 im Gresini-Team um die Ohren fährt, werden in der Repsol-Honda-Box die Wände wackeln.

Und es ist nicht ausgeschlossen, dass dies bereits am Freitag, Samstag oder Sonntag passieren wird.

Für die Honda RC213V reicht keine Evolution, es muss dringend eine Revolution stattfinden. Auch die Suzuki-Überläufer Alex Rins (LCR) und Joan Mir (Repsol) verlangen ein Sieger-Motorrad.

Sonst bleibt sogar die Pierer-Mobility-Gruppe mit KTM und GASGAS unerreichbar, wo 2021 mit Francesco Guidotti (von Pramac Ducati) ein neuer Teammanager installiert wurde und mit Fabiano Sterlacchini (von Ducati) ein umsichtiger, neuer Technical Director.

Gigi Dall‘Igna hat sich mit dem Gewinn der MotoGP-Fahrer-WM 2022 einen Lebenstraum erfüllt. Er hat es in den neun Jahren nach seinem Amtsantritt im Oktober 2013 verstanden, die richtigen Techniker, Manager, Fahrer und Teammitglieder um sich zu scharen. Denn nur ein weitgehend diktatorisch geführtes Werksteam kann heute Erfolg haben.

Bei HRC entscheiden vier oder fünf Japaner, der «decision making process» dauert viel zu lang. Und auch wenn etwas drei Jahre lang schiefgeht, will keiner schuld sein.

Jetzt können sich die HRC-Manager nicht einmal mehr mit Erfolgen in der Moto3-WM (die Pierer-Marken KTM und GASGAS gewannen sie dreimal in Serie) oder bei der Rallye Dakar trösten.

Ergebnisse Shakedown-Test Sepang, Tag 3 (7.2.):

1. Pirro (Ducati Bike 1), 1:59,803 min
2. Pirro (Ducati Bike 2), 2:00,118 min, + 0,315 sec
3. Crutchlow (Yamaha Test 3), 2:00,353, + 0,550
4. Augusto Fernández (GASGAS Bike 1), 2:00,482, + 0,679
5. Savadori (Aprilia Bike C), 2:00,723, + 0,920
6. Bradl (Honda Bike 2), 2:01,129, + 1,326
7. Augusto Fernández (GASGAS Bike 2), 2:01,139, + 1,336
8. Crutchlow (Yamaha Test 1), 2:01,248, + 1,445
9. Savadori (Aprilia Bike D), 2:01,818, + 2,015
10. Crutchlow (Yamaha Test 2), 2:02,111, + 2,308
11. Folger (KTM Bike 2), 2:03,623, + 3,820

Ergebnisse Shakedown-Test Sepang, Tag 2 (6.2.):

1. Crutchlow (Yamaha Test 3), 2:02,079 min
2. Pirro (Ducati Bike 1), 2:02,598 min, + 0,519 sec
3. Augusto Fernández (GASGAS Bike 1), 2:02,770, + 0,691
4. Savadori (Aprilia Bike C), 2:02,948, + 0,869
5. Folger (KTM Bike 2), 2:04,125, + 2,046
6. Pirro (Ducati Bike 3), 2:06,884, + 4,805
7. Savadori (Aprilia Bike A), 2:07,457, + 5,378
8. Augusto Fernández (GASGAS Bike 2), 2:12,255, + 10,176
9. Bradl (Honda Bike 1), 2:13,419, + 11,340
10. Crutchlow (Yamaha Test 2), 2:13,745, + 11,666
11. Crutchlow (Yamaha Test 1), 2:14,017, + 11,938
12. Savadori (Aprilia Bike B), 2:19,951, + 17,872
13. Folger (KTM Bike 1), 2:26,188, + 24,188

Ergebnisse Shakedown-Test Sepang, Tag 1 (5.2.):

1. Crutchlow (Yamaha Test 2), 2:01,146 min
2. Augusto Fernández (GASGAS), + 0,185 sec
3. Crutchlow (Yamaha Test 1), + 0,427
4. Bradl (Honda Bike 2), + 0,459
5. Savadori (Aprilia Bike D), + 0,500
6. Crutchlow (Yamaha Test 3), + 0,801
7. Pirro (Ducati), + 0,969
8. Bradl (Honda Bike 1), + 1,069
9. Augusto Fernández (GASGAS Bike 2), + 1,331
10. Savadori (Aprilia Bike C), + 1,700
11. Savadori (Aprilia Bike G), + 1,793
12. Folger (KTM, Bike 2), + 2,540
13. Folger (KTM Bike 1), + 3,509

Ohne Zeitnahme-Transponder:
Dani Pedrosa (KTM), inoffiziell gestoppt: 2:00,4 min

Valencia-Test, MotoGP (8. November):

1. Marini, Ducati, 1:30,032 min
2. Viñales, Aprilia, + 0,225 sec
3. Bezzecchi, Ducati, + 0,230
4. Oliveira, Aprilia, + 0,335
5. Aleix Espargaró, Aprilia, + 0,366
6. Di Giannantonio, Ducati, + 0,451
7. Brad Binder, KTM, + 0,464
8. Martin, Ducati, + 0,544
9. Quartararo, Yamaha, + 0,546
10. Bastianini, Ducati, + 0,560
11. Zarco, Ducati, + 0,594
12. Bagnaia, Ducati, + 0,623
13. Marc Márquez, Honda, + 0,644
14. Morbidelli, Yamaha, + 0,659
15. Álex Márquez, Ducati, + 0,680
16. Pol Espargaró, GASGAS, + 0,725
17. Miller, KTM, + 0,755
18. Mir, Honda, +0,882
19. Nakagami, Honda, + 1,049
20. Rins, Honda, +1,196
21. Raúl Fernández, Aprilia, +1,308
22. Augusto Fernández, GASGAS, + 1,698
23. Pirro, Ducati, + 2,773

 

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