Stefan Bradl: Mit einer Wildcard beim Misano-GP
Seit mehr als zehn Jahren ist kein deutscher Nachwuchsfahrer mehr als langjähriger Stammpilot in die Motorrad-Weltmeisterschaft gekommen. Die letzten beiden waren die beiden Moto3-Piloten Phillip Öttl und Florian Alt nach ihren Red Bull Rookies-Cup-Erfolgen 2013. Lukas Tulovic bestritt zwar 2019 eine Moto2-Saison bei Kiefer und fährt 2023 bei Liqui Moly Intact, aber wenn kein Wunder passiert, wird seine GP-Karriere nach dieser Saison beendet sein.
Die daumendrehenden Funktionäre des deutschen Motorradverbands DMSB und die Verantwortlichen bei seinen Trägerverbänden ADAC und DMV haben bekanntlich jahrelang die Hände in den Schoss gelegt und entweder gar keine oder nur dilettantische Konzepte zur Nachwuchsförderung entwickelt. Obwohl die Dorna als WM-Promoter großes Interesse hatte und jahrelang auch Geld in die Förderung nordeuropäischer Talente steckte, zum Beispiel mit dem Northern Talent Cup, der übrigens 2024 wieder mit Honda NSF-250R-Proction Bikes statt mit KTM ausgetragen wird, weil die Honda-Bikes näher an der Moto3-Klasse dran sind als die 250-ccm-Maschinen aus Österreich.
2021: Stefan Bradl startete die Rookies- Days
2021 gründete dann Stefan Bradl die «Stefan Bradl Rookies Days» mit fast einem Dutzend junger Talente aus Deutschland. Der Moto2-Weltmeister von 2011 holte Firmen und Partner wie Honda Deutschland, Red Bull, Liqui Moly, SPEEDWEEK.com, 2D Datarecording, MRA und die Hockenheimring GmbH an Bord. Der Bayer kümmerte sich tagelang um Streckenmieten und Gespräche mit den Geldgebern, wurde aber vom DMSB, ADAC und DMV weitgehend im Stich gelassen – oder sogar argwöhnisch und eifersüchtig beäugt.
«Ich werde dem ADAC nicht nachlaufen», stellte der Honda-MotoGP-Testfahrer bereits im Juni 2021 gegenüber SPEEDWEEK.com fest.
Da die Kosten für das Rookies-Projekt bis zu 200.000 Euro im Jahr verschlangen und Stefan Bradl gegen der vielen Verletzungen von Marc Márquez jedes Jahr eine stattliche Anzahl von Grand Prix bestreiten musste und dazu ca. 20 Testtage, führte er seit eineinhalb Jahren unzählige Gespräche mit ADAC-Funktionären, die jedoch an der Fortsetzung des «Stefan Bradl Rookies Days»-Konzepts und seiner Entlastung bei der Abwiclung der Events nicht ernsthaft interessiert waren.
In der ADAC Stiftung Sport haben jetzt der ehemalige Audi-Vorstand Wolfgang Dürheimer (Vorstandsvorsitzender ADAC Stiftung Sport) und Wolfgang Schattling (Direktor Kommunikationsstrategie, Partnerschaften und Sponsoring) das Sagen. Beide haben zeitlebens in der Autobranche gearbeitet und von den grundlegenenden Problemen des deutschen Motorradsports nicht viel Ahnung.
Damit ist zumindest die jahrelange Kontinuität bei der gescheiterten deutschen Motorradnachwuchs-Förderung gesichert.
Und die vielen Fans werden beim deutschen Grand Prix auch in den nächsten Jahren nie mehr einen Lokalmatador erleben wie einst mit Bradl, Folger, Cortese oder zumindest Schrötter.
Jedenfalls wird jetzt im Beisein der ADAC Stiftung Sport am 14. September über die Förderung deutscher Talente beim Förderkader-Training in der Motorsport Arena Oschersleben diskutiert. Bei der Premiere des neuen Nachwuchs-Förderprogramms wird auch Stefan Bradl dabei sein, das Projekt läuft aber künftig unter dem Banner des «Motorsport Team Germany».
Am Förderkader-Lehrgang in Oschersleben nehmen Talente im Alter von 13 bis 17 Jahren teil, die bereits erfolgreich in den Klassen MiniGP bis Supersport 300 starten. Die jungen Motorradsportler inklusive der talentierten Anina Urlass erhalten während eines intensiven Fahrtrainings Tipps und Anleitungen vom Stefan Bradl, teilte der ADAC mit.
In Analysen und Beurteilungen erfahren die Teilnehmer, wie sie ihren Fahrstil weiter perfektionieren und zu bestmöglichen Ergebnissen in der angestrebten Profikarriere gelangen können.
Stefan Bradl hat in drei Jahren erlebt, wie sich mühsam das Nachwuchs-Tagesgeschäft gestaltet. Er wollte zum Beispiel bereits 2022 einen Fahrer in den Red Bull Rookies-Cup einschleusen, aber es klappte auch für 2023 nicht – das Können der Teenager reichte nicht aus. Auch der geplante Einsatz von Valentino Herrlich im British Talent Cup im September 2022 kam nie zustande.
Künftig sollen die von Stefan Bradl entdeckten und geförderten Talente im Northern Talent Cup antreten.
Bei den «Bradl Rookies Days» in Hockenheim 2023 waren folgende Fahrer dabei:
• Richard Irmscher
• Philip Tonn
• Ben Wiegner
• Thias Wenzel
• Anina Urlass
Auch Jason Rudolph war eingeladen, musste jedoch seine Teilnahme absagen.
Stefan Bradl wird also sein Rookies-Projekt mangels professioneller Unterstützung beerdigen. Seine neue Aufgabe beim ADAC: Coach im Straßenrennsport.
Bradl geht übrigens davon aus, dass er am kommenden Wochenende in Misano wie geplant mit dem Honda HRC Test Team als Wildcard-Fahrer antreten und Alex Rins seinen Platz bei LCR-Honda wieder beanspruchen wird.
Der siebenfache GP-Sieger aus Zahling hat in diesem Jahr für Repsol-Honda und Marc Márquez bereits den Texas-GP bestritten, dann den Jerez-GP mit einer Wildcard. Zuletzt nahm der 33-jährige Bayer Ende Juni für LCR Castrol-Honda an der Dutch-TT in Assen teil und sicherte sich dort den 13. Platz.