MotoGP-Kolumne: Marquez ins Ducati-Werksteam

Marc Márquez: Auf Ducati wäre er nicht zu bremsen

Kolumne von Günther Wiesinger
Streckenbesichtigung in Indien: Alex und Marc Márquez

Streckenbesichtigung in Indien: Alex und Marc Márquez

Trotz der Lichtblicke beim Indien-GP deutet alles darauf hin, dass Marc Márquez bei Honda keine Zukunft sieht. Er stellte schon am Freitag fest, seine Ergebnisse in Indien seien seinem Talent geschuldet, nicht dem Bike.

Es lässt sich nicht genau abschätzen, ob Marc Márquez und sein Manager Jaime «Jimmy» Martínez bluffen und die Welt zum Narren halten oder ob sie selbst manchmal noch unschlüssig sind. Auf jeden Fall deuten unzählige Aussagen von Marc Márquez darauf hin, dass er bei der Honda Racing Corporation momentan keine Zukunft mehr sieht und zu Gresini Ducati wechseln wird.

Denn beim Misano-GP stellte der sechsfache MotoGP-Weltmeister bereits am Donnerstag unmissverständlich fest, er habe sich für 2024 bereits entschieden, der Montag-Test mit dem 2024-Prototyp von Honda werde seine Pläne nicht mehr beeinflussen. Doch in der Mittagspause beim Misano-Test führte Marc seine Aussagen vom Donnerstag ad absurdum. Er behauptete plötzlich: «Ich habe zwei Pläne und werde mich in Indien oder Japan entscheiden.»

Was war zwischen Donnerstag und Montag passiert? Beim San Marino-GP erschien Ducati-Motor-CEO Claudio Domenicali, und Marc Márquez merkte, dass bei den Roten in Borgo Panigale nicht alle Topmanager von der Idee begeistert sind, ihn 2024 bei Gresini Racing unter Vertrag zu sehen.

«Wir haben in der Fahrer-WM drei Ducati-Fahrer auf den ersten drei Plätzen. Wir sind nicht verzweifelt auf der Suche nach weiteren Toppiloten», lautete der Tenor bei Ducati Corse.

Doch Gigi Dall’Igna, General Manager bei Ducati Corse und wegen seiner unfassbaren Erfolge (Ducati gewinnt 2023 die MotoGP-, die Superbike- und die Supersport-WM, dazu die MotoE-WM mit den Einheits-Motorrädern) mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, will sich die Chance auf die Verpflichtung des grandiosen Superstars nicht entgehen lassen. Dall’Igna hat in seiner Zeit als Piaggio-Group-Rennchef (mit den Marken Aprilia, Gilera und Derbi) die 125-ccm-Weltmeisterschaft 2010 auf Derbi mit Marc Márquez gewonnen. Seither begegnen sich die beiden Ausnahmekönner mit viel Respekt.

Tatsächlich darf man sich fragen, in welcher Form Ducati von einer Verpflichtung der Startnummer 93 profitieren könnte, in einer Phase, in der sechs Desmosedici-Piloten in der Fahrer-WM auf den Top-9 liegen, sieben der acht Ducati-MotoGP-Piloten Chancen auf Podestplätze haben und 2023 schon wieder neun von zwölf Sonntag-Rennen gewonnen wurden. Zum Vergleich: 2022 räumte Ducati 12 von 20 Siegen ab. Diese hinreissende Bilanz kann in diesem Jahr deutlich verbessert werden.

Marc Márquez hingegen weiß: Selbst mit einer Gebraucht-Ducati GP23 kann er 2024 bei jedem Rennen um die Top-3 mitmischen. Denn sogar Enea Bastianini hat in seiner zweiten MotoGP-Saison 2022 bei Gresini mit einer Vorjahres-Maschine vier MotoGP-Siege und den dritten WM-Rang sichergestellt.

So eine Performance sollte Marc Márquez im Halbschlaf gelingen, wenn er mit der Honda-Schnecke, die ihm 2023 bisher nur den 19. WM-Rang beschert hat, in Indien am Freitag die Plätze 2 und 4 und im Sprint den starken 3. Platz sicherstellen kann.

Marc Márquez muss keinen Gegner fürchten

Ich kann in den Kopf von Marc Márquez nicht hineinschauen. Aber ich habe seine GP-Karriere von der ersten Minute an bei KTM in der 125er-WM aus nächster Nähe verfolgt und kann mich in seine Lage versetzen.

Ich habe zwar Mike Hailwood nie fahren gesehen, aber ich habe Ausnahmekönner wie Agostini, Read, Sheene, Cecotto, Roberts, Spencer, Lawson, Doohan, Rossi, Stoner und Lorenzo hautnah erlebt. Doch ich habe noch nie einen so besessenen, talentierten, trainingseifrigen, siegeshungrigen, ehrgeizigen und kampfstarken Motorradrennfahrer wie #MM93 beobachten dürfen.

Hailwood wird nachgesagt, er habe auch mit nicht konkurrenzfähigem Material Wunderdinge vollbracht, er hat sich diesen Ruf zurecht erworben. Andere Stars hatten teilweise überlegene Motorräder, auch Rossi zumindest bei Aprilia (125 und 250) und dann bei Honda (500 und 990 ccm).

Klar, Marc Márquez hat keine makellose Karriere hingelegt. 2011 hat er wegen seiner beispiellosen Risikobereitschaft den Moto2-WM-Titel an Stefan Bradl verloren. Auch die schwarze Flagge 2013 auf Phillip Island (Pflichtstopp zum Reifenwechsel missachtet) und der Auftritt beim Sepang-Clash 2015 waren kein Ruhmesblatt, als er den Sieg an Pedrosa verschenkte, um an Rossi Rache zu nehmen. In Termas de Río Hondo 2018 (mit vier Strafen in 40 Minuten) wurde der Hitzkopf ebenfalls von allen guten Geistern verlassen.

Aber die umfangreiche Liste seiner triumphalen Erfolge überstrahlt diese Eskapaden, dazu wäre der dritte Platz im Sprint von Indien heute gar nicht nötig gewesen. Und auch im Motorsport werden Genie und Wahnsinn manchmal nur durch einen schmalen Grat getrennt.

Auf jeden Fall habe ich vor zwei Wochen in Misano die riskante Prognose gewagt: Marc Márquez wird 2024 bei Gresini Ducati fahren. Dabei bleibe ich. 

Die Honda-Topmanager beschwören seit der Dutch-TT in Assen Ende Juni, dass sie keinen unglücklichen Fahrer in ihren Reihen haben wollen und Marc nicht zwingen werden, auch 2024 mit der lahmen Honda RC213V um die Wette zu fahren.

Die jüngsten Aussagen des 59-maligen MotoGP-Siegers deuten nicht darauf hin, dass die Repsol-Honda-Karriere von Marc Márquez 2024 eine Fortsetzung findet.

Und die Performance von Marc Márquez auf dem Buddh Circuit wird wohl genau so ein einsames Highlight bleiben wie der Sieg von Alex Rins 2023 in Texas und der zweite Platz von Marc 2022 auf Phillip Island. 

Der letzte GP-Sieg von Marc liegt zwei Jahre zurück, der letzte GP-Podestplatz an einem Sonntag bald ein Jahr. Er weiß jedoch, dass ihm Ducati-Fahrer wie Luca Marini (und auch Bruder Alex Márquez) auf identischen Bikes nicht das Wasser reichen können.

Deshalb bin ich überzeugt, er wird sich keine weitere Saison mit Honda antun, die ihm neben zahlreichen Stürzen und Verletzungen bei den Sprints schon deprimierende Ergebnisse wie einen 17. Platz beschert hat.

Marc Márquez ist 30 Jahre alt, er hat seine Haut für Honda lang genug zu Markte getragen und bitter dafür bezahlt. Aber wenn er Rossis neun WM-Titelgewinne erreichen oder übertreffen will, darf er nicht mehr auf ein Honda-Wunder hoffen.

Beim Barcelona-GP verlor Márquez im zweiten Qualifying 1,062 Sekunden auf die Bestzeit. Nicht einmal der größte Dummkopf kann daran glauben, dass sich dieser Rückstand für 2024 aufholen lässt.

Schon gar nicht mit Gestalten wie Kuwata und Kokubo, denen die Ratlosigkeit seit fast vier Jahren ins Gesicht geschrieben steht. Sie haben das Kunststück geschafft, den MotoGP-Karren in diesem Jahr noch ein Stück tiefer im Dreck zu versenken.

Hailwood, Agostini, Read, Lawson, Rossi, Stoner – sie alle sind auf unterschiedlichen Marken in der Königsklasse Weltmeister geworden.

Marc Márquez kann 2024 bei Gresini Ducati um Siege und Podestplätze fighten. Gigi Dall’Igna wird ihm die bestmögliche Ducati GP23 in die Box stellen. Heute wurde von Ducati in Indien betont, der Weg für Marc zu Gresini sei geebnet. Und es gibt gar keinen anderen Kandidaten mehr, seit Franco Morbidelli als Pramac-Neuzugang für 2024 vorgestellt worden ist.

«Mit den HRC-Managern rede ich seit Mugello», berichtete Marc Márquez heute in Indien. «Wir haben damals ein sehr nettes Meeting gehabt. Auch in Österreich haben wir wieder ein wichtiges Gespräch geführt, in guter Atmosphäre. Wir bemühen uns, die beste Lösung für das Projekt und für die Zukunft zu finden. Für die Zukunft von Honda und von mir. Das ist das Hauptziel.»

Marc Márquez ist intelligent und weitsichtig. Deshalb ist ihm bewusst: Auch wenn es jetzt in Indien ein paar Lichtblicke gab, bei Honda ist er auch 2024 dem Untergang geweiht.

Heute rutschte ihm in Indien ein klarer Hinweis heraus. «Ich bin sehr clever und weiß, was ich brauche und was ich will. Ich suche die beste Lösung für alle Beteiligten. Nicht nur für mich. Denn ich bin nicht allein, wir sind ein Team. Ich muss an alle denken, nicht nur an meine Crew, auch an Honda, was wir gemeinsam geleistet haben, wo wir jetzt stehen und wo wir hinwollen. In meinem Kopf steht fest, was ich denke. Aber so eine weitreichende Entscheidung muss gut überlegt sein, du kannst sie nicht von einem Tag auf den nächsten treffen. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht.»

Was er mit 30 Jahren nicht mehr braucht: Das ist ein Motorrad, das nur alle zwei Jahre ein Rennen gewinnt.

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