Dr. Helmut Marko: «Wir schreiben den Titel nicht ab»

Helmut Marko und Max Verstappen
In Belgien wird bei Red Bull Racing und bei den Racing Bulls ein neues Kapitel beginnen – mit Laurent Mekies als Teamchef bei RBR und mit Alan Permane als Teamchef bei den Racing Bulls.
Alan war als vorheriger Sportchef der Racing Bulls für uns die logische Wahl, denn wir wollten niemanden von ausserhalb holen. Im Grunde haben wir seine bisherige Aufgabe einfach erweitert.
Auch Laurent drängte sich für den neuen Job aus den gleichen Gründen auf: als interne Lösung und ebenfalls als Mann mit gewaltiger Erfahrung. Laurent bringt aufgrund seiner vielseitigen Tätigkeiten, auch später bei der FIA und bei Ferrari, alles mit, um ein Spitzenteam mit kundiger Hand zu führen.
Blicken wir auf das Geschehen in Grossbritannien zurück: Eine fabelhafte Pole-Position von Max Verstappen in Silverstone, dies auch dank eines mutigen Set-ups mit windschlüpfigem Heckflügel.
Natürlich wurde ausgiebig darüber diskutiert, ob das auch fürs Rennen die beste Wahl sei. Wir fanden damals: ja – denn unser Wetterbericht sagte voraus, dass es am Renntag-Morgen zwar regnen würde, dass der Regen aber zum Mittag nachlassen und es dann einen Grand Prix auf trockener Bahn geben würde.
Wir wussten, dass dieses Set-up riskant ist, aber aufgrund der Überlegenheit der McLaren war das für uns der einzige Weg, um ihnen Paroli zu bieten.
Unsere Überlegung war: Mit einer hohen Topspeed dank dieses Flügels wird es für die McLaren schwierig werden, Max zu überholen.
Leider kam alles ein wenig anders in Sachen Wetter, und damit war klar, dass wir uns mit dieser ganz besonderen Abstimmung auf nasser Strecke sehr schwertun würden, Max dann mit einem seltenen Dreher.
Wir glauben: Ohne dieses Missgeschick hätte der Niederländer auf Platz 3 landen können. Wir haben nach dem Rennen erkannt, dass wir auch auf trockener Bahn gegen die McLaren keine Chance gehabt hätten, aber ein Podestplatz hätte drinliegen müssen.
Nach dem Wechsel auf Slicks sind Piastri und Norris sofort ganz starke Rundenzeiten gefahren, Max hat vier Runden gebraucht, bis die Reifen im besten Arbeitsfenster waren. Dann konnte er so schnell fahren wie die McLaren, aber in diesen vier Runden hat er fast zehn Sekunden eingebüsst.
Ein Aufreger in Silverstone: die 10-Sekunden-Strafe für Piastri. Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir eine solch haarige Szene hinter dem Safety-Car sehen. Vom Rahmen her finde ich die Strafe okay, nur wünschten wir uns halt etwas mehr Kontinuität beim Urteil der Rennkommissare.
Die Fans sagen: Eine vergleichbare Situation von Russell in Kanada nicht strafwürdig, jene von Piastri in England schon. Das verstehen sie nicht, und ganz ehrlich – wir auch nicht.
Rang 5 also letztlich für Max in Silverstone, eine Woche vorher der frühe Ausfall in Österreich durch den Rammstoss von Antonelli. Das macht die Titelverteidigung von Verstappen nicht leichter, aber wir schreiben den Titel noch lange nicht ab.
Wir haben noch zwölf Grands Prix und vier Sprints vor uns, das ergibt 300 WM-Punkte aus den GP und 32 aus den Sprintrennen. Vor diesem Hintergrund und auch aufgrund weiterer Verbesserungen für Belgien, die uns näher an McLaren heranbringen sollten, sehen wir den WM-Kampf durchaus nicht als gelaufen.
Yuki Tsunoda hat sich an manchem GP-Wochenende schwergetan, aber schon in England haben wir einen Aufwärtstrend erlebt: Der Abstand zu Max war in den meisten freien Trainings kleiner als zuvor, er konnte in England vom elften Startplatz losfahren.
Wir haben mit Yuki intensive Gespräche geführt, er arbeitet auch mit Sport-Psychologen. Leider war er im Rennen so wie Max mit diesem Flügel chancenlos. Aber wir spüren eine Leistungssteigerung, und wir sind optimistisch, dass sich diese bald auch in Punkten zeigen wird.
Reden wir von den Racing Bulls: Lawson in Österreich mit hervorragendem P6, dann Kollision mit Ocon in England; Hadjar mit beschädigtem Boden auf dem Red Bull Ring, dann mit Auffahrunfall gegen Antonelli out.
Das Mittelfeld der heutigen Formel 1 liegt unglaublich eng beisammen, und die Leute vergessen bisweilen, dass Liam und Isack das jüngste Fahrerduo in der Königsklasse bilden. Lawson und Hadjar sind stark genug, um sich zu behaupten, und es liegt dann an der Tagesform, wie das Team abschneidet, auch in Sachen Strategie. Wenn alles optimal umgesetzt wird, können Isack und Liam am vorderen Ende des Mittelfelds mitmischen, und wir gehen davon aus, dass dies auch so bleibt.
Formel-2-Pilot Arvid Lindblad war in Silverstone erstmals im freien Training für Red Bull Racing unterwegs, der Teenager hat sich aus unserer Sicht prima geschlagen – sein Speed stimmte, seine Aussagen waren profund, die Techniker sind mit seiner Leistung sehr zufrieden.
Lindblad sass in der Woche nach dem Silverstone-GP erneut im Auto, hat mehr als 100 Runden zurückgelegt und dabei eine hervorragende körperliche Verfassung und konkurrenzfähige Rundenzeiten gezeigt.
Wir haben bald das GP-Wochenende im Sprintformat in Belgien und dann den Ungarn-GP vor uns: Die Rennstrecke von Spa-Francorchamps sollte unserem Auto besser liegen, vor allem auch unter den normalerweise sehr wechselhaften Wetterbedingungen. Da sind wir optimistisch.
Ungarn dürfte für uns ein wenig kniffliger werden, wegen des Pisten-Layouts und aufgrund der üblicherweise hohen Temperaturen. Aber wir werden für beide Wochenenden neue Teile am Wagen haben und hoffen, das zeigt positive Wirkung.