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Lusail Circuit: Umbau kostete ca. 500 Mio. US-Dollar

Kolumne von Günther Wiesinger
Der aufwändig renovierte Schauplatz des Katar-GP machte die Teams und Fahrer sprachlos. Wer eine Reise nach Doha unternimmt, hat aber auch sonst allerhand zu erzählen.

Den Mitgliedern des Motorrad-GP-Zirkus' blieb buchstäblich die Spucke weg, als sie in der vergangenen Woche am Mittwoch oder Donnerstag erstmals die neue Infrastruktur der Boxenanlage, des neuen Fahrerlagers, der Hospitality Area, des Media Centres und der neuen Tribünen rund um den 5,3 km langen Lusail International Circuit erblickten, der im Oktober 2004 erstmals Schauplatz eines MotoGP-Events war, 2007 gab es erstmals in der Wüste den Saisonauftakt, und im März 2008 haben die Katari den ersten Flutlicht-GP der Geschichte durchgeführt. Selbst die Formel 1 hinkte hier hinter den Zweirädern her – denn in Singapur wurde erst im September 2008 der erste Formel-1-Nacht-GP abgewickelt.

Auf dem mit einem riesigen Aufwand umgebauten Lusail International Circuit in Doha/Katar fand am 7./8. Oktober 2023 der zweite Formel-1-GP nach 2021 statt. 

Seit 24. September sind die Umbauten in Lusail (die Katari sagten in den ersten Jahren Losail) abgeschlossen, das gab die Behörde für öffentliche Arbeiten «Ashgal» bekannt. Die Weiterentwicklung der Rennstrecke und die Konstruktion der Hauptgebäude, der Tribünen und der Infrastruktur wurden vollendet. Die Anlage wurde am 24. September den lokalen Medien vorgestellt. Der Formel 1-GP war damals bereits ausverkauft. 

Die Dorna meldete für den Sonntag 26.822 Zuschauer. Ob diese Anzahl ganz ernst zu nehmen ist, lässt sich schwer einschätzen. In der Vergangenheit verloren sich in der MotoGP oft nur 2000 Zuschauer auf den Rängen.

Die Piste erstreckt sich wie bisher auf 5,38 km und weist 16 Kurven auf und ist die einzige Piste im Nahen Osten, die die Formel 1 und die MotoGP beherbergt. Die Formel 1 trat erstmals im November 2021 am Persischen Golf in Doha an, als die Corona-Pandemie viele andere Events (besonders in Asien) unmöglich machte. Aber die Infrastruktur der MotoGP reichte dem F1-Promoter Liberty Media bei weitem nicht aus. Erst als millionenschwere Upgrades vereinbart wurden, unterzeichnete die Liberty Media einen 10-Jahres-Formel-1-Vertrag von 2023 bis 2032.

Ing. Youssef Al Emadi, Projects Affairs Director von Ashgal: «Wir sind stolz, dass Ashgal wieder einmal eingebunden war, als es darum ging, den Weg für einen der prominentesten Sportevents der ganzen Welt nach Katar zu bringen.»

Ing. Al Emdai fügte an, die gesamten Umbauten seien innerhalb von sieben Monaten fertiggestellt worden. Sie würden den höchsten internationalen Ansprüchen und den präzisen Anforderungen der Formel 1 entsprechen und auch der MotoGP zugutekommen, ergänzte er.

Die Infrastruktur der 2003 errichteten Rennstrecke wurde modernisiert, neue Service-Einrichtungen und Zufahrtsstrassen wurden angelegt.

Abdulrahman bin Abdullatif Al Mannai, President of Qatar Motor and Motorcycle Federation und Präsident des Losail International Circuits, erklärte: «Durch die umfassende Renovierung der Rennstrecke haben wir jetzt die Homolgation für die wichtigsten lokalen und internationalen Wettkämpfe. Wir haben jedoch das Original-Design der Piste beibehalten, da es auf der ganzen Welt populär geworden ist. Aber wir haben die ganze Betriebsstätte neu aufgebaut, damit wir den Motorsportfans ein hohes Niveau an Effektivität bieten können.»

Weil die Formel 1 viel Platz für das neue VIP-Village beanspruchte, wurde das alte Fahrerlager für diese Zwecke Richtung Turn 1 vergrößert. Das Boxengebäude und die darüber befindlichen Räumlichkeiten auf der rechten Fahrbahnseite der Start-Zielgeraden wurden für die Bedürfnisse der Formel 1 angepasst – inklusive Neubau des Media Centres.

Insgesamt wurden Zufahrtsstrassen nach Norden, Osten und Westen mit einer Gesamtlänge von 21 km neu gebaut, die zum Knotenpunkt Umm Ebairioya/Al Sakhama führen. Die Hauptstrassen Richtung der Al Majd Road werden jetzt noch fertiggestellt.

Die neuen Gebäude und Einrichtungen nehmen neu ca. 100.000 Quadratmeter in Anspruch. Es gibt eine größere Fanzone und 5-Stern-VIP-Areale, auch die Anzahl der Tribünenplätze und der Parkplätze wurde erhöht. Dazu existieren jetzt nicht weniger als 50 extrem geräumige Boxen. 

Die 5,38 km lange Rennstrecke wurde komplett neu asphaltiert und neu bemalt.

Es wurden neue Gehwege errichtet, neue Streckenbegrenzungen, neue Sicherheitsvorkehrungen, eine verbesserte Lichtanlage, dazu 85 externe elektronische Bildschirme und Lichtpanele. Auch drei neue Tunnels im Norden und Süden der Strecke wurden gegraben, dazu eine Fußgänger-Unterführung. Damit wurden alle Forderungen für eine Homologation der FIA und FIM erfüllt.

Insgesamt existieren jetzt ca. 15.000 Indoor- und Outdoor-Parkplätze, außerdem können bis zu 40.000 Zuschauer untergebracht werden – auf der Tribüne bei Start/Ziel und auf temporär errichteten Tribünen in den Kurven 1, 2 und 16.

Im Zuge der Umbauten musste auch der Baldachin mit einem Durchmesser von 60 Metern und einem Gewicht von 330 Tonnen umgesiedelt werden. Er musste deshalb zerlegt und neu zusammengebaut werden. Für dieses Manöver wurde ein 400-Tonnen-Kran benötigt.

Der Lusail Circuit wurde vor mehr als 20 Jahren in etwas mehr als einem Jahr fertiggestellt und kostete der «Qatar Motor and Motorcycle Federation» (QMMF) damals ca. 58 Millionen US-Dollar. Die Umbaukosten haben fast das Zehnfaches dieser Summe verschlungen. Die Katari haben weder Kosten noch Mühen gescheut, um weltweit neue Standards zu setzen.

«Die ganze Anlage befindet sich jetzt auf einem neuen Level», staunte Geoff Dixon, Paddock Manager der MotoGP, bei einem Zwischenstopp in Doha auf dem Weg zum Indien-GP im vergangenen September.

Während 2008 kein Geheimnis aus dem Baukosten der Rennstrecke gemacht wurde, schweigen die Katari inzwischen zu den Kosten des aufwändigen Umbaus. Aber die einheimischen Experten beziffern den Aufwand mit durchaus glaubwürdigen 500 Millionen US-Dollar!

Unfassbar: Nur acht bis neun Monate Bauzeit

Wer sich im Paddock bei den IRTA-Funktionären umhörte, spürte viel Bewunderung für die grossteils gelungenen Baumaßnahmen. Vor allem die pünktliche Fertigstellung verwunderte, wobei wir ja wissen, dass auch im Hinblick auf die Fußball-WM viel von Sklavenarbeit die Rede war und außerdem in Doha 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr geschuftet werden kann – wegen der klimatischen Bedingungen, wegen fehlender Arbeitsgesetze und geringer Rücksicht auf den CO2-Ausstoss.

Die Katari bewältigten den ganzen Umbau in unfassbaren acht bis neun Monaten. Unglaublich, wenn man dieses Projekt mit dem neuen Berliner Flughafen vergleicht oder mit dem Bahnhofprojekt Stuttgart 21.

Wer ganz oben auf der Start-Ziel-Tribüne sitzt, geniesst den Blick auf die weltweitgrössten LCD-Screens, er sieht quasi die ganze Strecke auf einen Blick, es sind die größten Bildschirme, die auf der ganzen Welt existieren. Und wer sich die Mühe machte, ans Ende der Boxengasse Richtung Turn 1 zu marschieren und dort im letzten Gebäude mit dem Lift in den obersten Stock zu fahren, konnte die komplette Strecke überblicken.

Trotzdem kam es zu gewissen Unzulänglichkeiten, die aber bis zum nächsten Grand Prix behoben sein werden. Im Media Centre ließ sich zum Beispiel die Klimaanlage zwei Tage lang weder ausschalten noch ein paar Grad wärmer einstellen. Offenbar wusste niemand, wo die entsprechenden Schalter verborgen sind. Die Berichterstatter froren bei 16 Grad und wähnten sich beim Besuch eines Eisspeedway-Rennens.

An der Rezeption wurden deshalb sogar weiße Wolldecken ausgehändigt!

In der Nacht auf Samstag fand irgendein pfiffiger Ingenieur aus Indien den richtigen Schalter, dann konnte die Zimmertemperatur plötzlich reguliert werden.

Katar: Das Geld spielt keine Rolle

Ja, in Katar herrschen gewöhnungsbedürftige Verhältnisse. Kollegen, die im Hilton Hotel auf der künstlich errichteten Halbinsel «The Pearl» in Doha wohnten, berichteten von 67 Quadratmeter großen 5-Stern-Hotelzimmern, die in der Nebensaison ca. € 85.- pro Nacht kosten.

Auch der vor einigen Jahren neu errichtete Hamad International Airport, Heimatflughafen der renommierten Qatar Airways, ist ein Monument des nächsten Jahrhunderts geworden.

Als GP-Veranstalter und Dorna-Partner tritt der katarische Motorsport-Verband QMMF auf, der sogar jahrelang ein Moto2-GP-Team finanzierte und über beste Beziehungen zur Herrscherfamilie des Emirats verfügt. Deshalb tritt jeweils entweder die «Qatar Bank» oder «Qatar Airways» als GP-Namensgeber auf.

Geld spielt bei den Kataris keine Rolle. Sie nützen Sportanlässe aller Art zur weltweiten Tourismuswerbung, denn sobald das Erdöl und Erdgas eines Tages versiegt ist, soll das große Geschäft mit den Touristen gemacht werden. Die Visumpflicht für Europäer wurde längst vorsorglich abgeschafft.

Während der GP-Zirkus vor 19 Jahren in Katar noch Narrenfreiheit genoss und sich niemand um Verkehrsregeln und Tempolimits scherte, tuckert man heute von einer Radarfalle zur nächsten, fast jede Ampel hat Video-Überwachung, man sollte dann lieber mit den vorgeschriebenen 50, 60, 80, 100 oder 120 km/h fahren, sonst kann es teuer werden.

Unfälle sind dringend zu vermeiden. «Im Zweifelsfall ist immer der Ausländer schuld», warnte mich ein Geschäftsmann.

Telefonieren, trinken und essen sollte man beim Autofahren bleiben lassen. Aber ich bin bei meinen rund 15 Besuchen in Doha im Autoverkehr noch nie angeeckt. Man sieht auch kaum Polizei.

Seit der Fußball-WM hat sich viel verändert. Im Stadtgebiet von Doha sind jetzt dauernd riesige Leuchtsignale über der Fahrbahn mit der Aufschrift «Fasten Seat Belt» zu sehen.

Man erblickt irrwitzige Hochhäuser und Türme, und selbst nach der Fußball-WM ragt pausenlos irgendwo irgendein Riesenkran in die Landschaft.

Zwischen den kolossalen Hochhäusern und Luxushotels stösst man jedoch in der Innenstadt immer wieder auf baufällige einstöckige Gebäude aus der Gründerzeit, die wie aus der Zeit gefallen wirken.

Bei meinem ersten Besuch in Doha 2005 liefen bei der Fahrt zur Rennstrecke noch wilde Kamele neben der Autobahn, doch dort ist inzwischen für die Fußball-WM die Satellitenstadt Lusail City mit 200.000 Bewohnern aus dem Boden gestampft worden. Früher stand zwischen dem nördlichsten Hotel von Doha, dem Hyatt und dem Ritz Carlton, und der Rennstrecke kein einziges Haus. Jetzt fährt man auf den ca. 22 km ständig durch bewohntes Ortsgebiet.

2004 hatte Katar 400.00 Einwohner; bald werden es 3 Millionen sein.

Der Straßenverkehr hat stark zugenommen, obwohl man in der City alle 400 Meter Schilder für eine «Metro Station» sieht. Aber ich vermute stark, seit der Fußball-WM nutzt sie keiner mehr.

Dass es in Katar Autofahrschulen gibt, bezweifle ich. In jedem Kreisverkehr geht es zu wie im Wilden Westen, es werden alle Vorfahrtsregeln gründlich missachtet, falls es überhaupt welche gibt. Man weiß nicht genau, ob man die 5 Meter hohen V12-SUV mehr fürchten soll oder die zahlreichen Pizza-Kuriere auf ihren 125-ccm-Motorrädern, die bei Tempo 100 mit einen Meter Abstand im Windschatten fahren und mit der linken Hand dabei noch am iPhone womöglich ein Bild auf Instagram posten.

Wahrscheinlich suchen sie wegen der Hitze nur den Schatten des Vordermanns, denn Spritsparen muss bei einem Literpreis von ca. 58 Euro-Cent niemand.

Übrigens: Wurde uns nicht erzählt, die reichen Katari würden die Fussballstadien nach der WM abbauen und in irgendeinem Dritte-Welt-Entwicklungsland kostenlos wieder errichten?

Bisher wurde nicht Wort gehalten.

Ich bin jedenfalls froh, dass seit 2008 in Lusail mit Flutlicht gefahren wird. Denn im Oktober 2005 herrschten um 9 Uhr früh bereits 39 Grad.

Und während 2008 das MotoGP-Rennen erst um 23 Uhr Ortszeit begann, wurde im Vorjahr um 18 Uhr Ortszeit gestartet – und diesmal um 20 Uhr.

In den ersten Flutlicht-Jahren kam ich mir wie ein Nachtwandler vor, denn es wurde bis 01.35 Uhr früh trainiert.

2008 habe ich bis 6.30 früh am Montag Berichte geschrieben, dann packte ich zusammen. Gleichzeitig erhob sich mein südafrikanischer Kollege Michael Scott im Media Centre am Nebentisch. «Bist du fertig?», erkundigte ich mich. Seine vielsagende Antwort: «I have finished and I am finished.»

Ich brauste schnurstracks ins Hotel – und kam um 7 Uhr genau rechtzeitig zur Eröffnung des Frühstückbuffets.

Diesmal (Abflug in Doha um 2.30 Uhr) war ich um 7 Uhr am Montag schon zurück in Zürich.

 

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