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KTM: Fehlt wirklich nur der letzte Schritt?

Von Werner Jessner
Wie knapp ist KTM tatsächlich dran an MotoGP-Dominator Ducati? Dass in Mattighofen in den letzten Jahren Fortschritte erzielt wurden, ist unbestritten. Aber wie misst man sie? Wir vertiefen uns in die Zahlen.

KTM-Motorsport-Chef Pit Beirer hat anlässlich der Präsentation der RC16 für das Jahr 2024 folgende Ziele ausgegeben: «Wir waren letzte Saison Vierte, und das realistische nächste Ziel ist, einen Fahrer auf das Podest zu bekommen. Wir haben aber nicht all diese Anstrengungen unternommen, um dann zu sagen: ‚Wir sind schon zufrieden mit einem Podium.‘ Wir wollen um den Titel kämpfen.»

In der Hersteller-Wertung belegte KTM letzte Saison Platz 2, knapp vor Aprilia. Ducati erreichte 700 Punkte, KTM 370. Red Bull KTM Factory Racing wurde in der Team-WM Vierter – hinter Pramac, dem Ducati-Werksteam und VR46. Erstmals seit 2020 gab es keinen einzigen Sieg in Orange. (Einzig Yamaha konnte letztes Jahr auch nie bei einem GP jubeln.)

Bei den Fahrern war Rang 4 für Brand Binder das beste Ergebnis in der KTM-Geschichte – und dieser vierte Platz war nach hinten mehr als nur gut abgesichert. Hätte Jack Miller nicht gleich sechs Rennen außerhalb der WM-Punkte beendet, sähe auch die Team-Wertung knapper aus, und VR46 wäre in Reichweite gelegen.

Dazu kamen erstmals die Sprint-Rennen: In einer getrennten Sprint-WM wäre Brad Binder als Dritter auf dem Podest gestanden, und Jack Miller hätte als Neunter zwei Plätze gegenüber dem tatsächlichen WM-Endstand aufgeholt.  (Die beiden Sprint-Siege von Brad in Argentinien und Jerez waren neben jenem von Aleix Espargaró in Barcelona übrigens die einzigen eines Nicht-Ducati-Piloten.)

 

 

Platzierungen vs. Zeiten

Wie man es auch dreht und wendet: KTM war 2023 punkto Platzierungen die zweite Kraft hinter den überlegenen Ducatis. Doch genau wie es im Fußball immer wieder unterschiedliche Tabellen gibt, die den einzelnen Teams als Motivation dienen sollen, gibt es in Mattighofen/Munderfing seit Anbeginn die Beirer-Liste. Schon früh definierte der Motorsport-Chef nicht das Ergebnis, sondern den Rückstand auf die Sieger als entscheidendes Kriterium. Ein glücklich errungener fünfter Platz mit 10 Sekunden Rückstand sei weniger wert als ein hart erkämpfter zehnter Platz mit fünf Sekunden Abstand zur Spitze, so sein Credo.

Also tauchen wir in die Zahlen ein.

Beim Saisonauftakt in Portugal 2023 fehlten Jack Miller als schnellstem KTM-Mann im Qualifying 0,323 Sekunden auf Pole-Mann Marc Márquez. Im Rennen hatte Brad Binder 8,247 Sekunden Rückstand auf Sieger Bagnaia. Beim Saisonfinale in Valencia hatte Miller (wieder schnellste KTM) in der Quali 0,230 Sekunden Rückstand auf die Pole Position von Viñales, Brad Binder beendete das Rennen schließlich 2,347 Sekunden hinter Gewinner Bagnaia. Auch hier ist der Trend eindeutig: KTM hat während der Saison auf die Spitze aufgeholt, und zwar sowohl was die Zeit auf eine schnelle Runde anlangt als auch bezüglich Renn-Pace.

Nehmen wir den Vergleich zum Jahr 2022, als KTM immerhin zwei GPs gewinnen konnte (Indonesien und Thailand): Dort hatte KTM beim Saisonauftakt (Katar) auf eine Quali-Runde 0,339 Sekunden Rückstand auf die Spitze, beim Finale in Valencia 0,418 Sekunden. Im ersten Rennen lag Brad Binder im Finale als Zweitplatzierter den Wimpernschlag von 0,346 Sekunden hinter Sieger Bastianini (Ducati). Auch im letzten Rennen kämpfte der Südafrikaner bis zum Zielstrich um den Sieg und musste sich Rins auf der Suzuki um 0,396 Sekunden geschlagen geben. Vermeintliche Conclusio: KTM war 2022 näher an der Spitze dran als 2023. Wenn da nur diese WM-Punkte nicht wären!


Konstanz gewinnt Titel

In der Saison 2022 sammelte Speerspitze Binder bei einem Ausfall 188, letzte Saison bei vier Ausfällen 290 Zähler. Um ein realistisches Bild zu bekommen, muss man vergangene Saison allerdings die 109 Punkte aus den Sprint-Rennen subtrahieren. Da kommen wir unter dem Strich auf 181 Zähler – allerdings bei drei Zielankünften weniger. Bedeutet nichts anderes als: Im Schnitt lag Brad Binder vergangene Saison ausfalls-bereinigt weiter vorn als im Jahr zuvor. Dazu kommt, dass die beiden Siege des Jahres 2022 auf das Konto von Miguel Oliveira gingen, der im Saisonverlauf deutlich weniger konstant war als der Südafrikaner: die beiden Siege waren seine einzigen Auftritte auf dem Podium überhaupt!

Wir identifizieren also Konstanz als Faktor, um um die WM kämpfen zu können und orientieren uns am Weltmeister-Duell des letzten Jahres. Sowohl Bagnaia als auch Martín sahen vier Mal nicht das Ziel (oder konnten erst gleich gar nicht starten). Hier haben wir also Gleichstand. Bagnaia ging in Argentinien leer aus, außerdem holte Konkurrenz Martín über die Saison gesehen um satte 26 Punkte mehr in den Sprint-Rennen – und doch wurde er Weltmeister. Wie geht das? Durch Konstanz. Alle (!) anderen Rennen beendete der Italiener auf dem Podest, während Martín immer wieder mal Ergebnisse im (vorderen) Mittelfeld einstreute. Und das war dann schon zu viel. Wir lernen: Hie und da kugeln alle vom Bock. Über die Saison gesehen gleicht sich das mehr oder weniger aus. Um Weltmeister zu werden, braucht es jedoch eine Kombination aus Fahrer und Motorrad, die immer, unter allen Umständen und auf allen Rennstrecken siegfähig ist, um am Ende eines langen Jahres die Nase vorn zu haben.

Was uns zurück zu KTM ins Jahr 2024 bringt. Wie Alex Hofmann HIER völlig richtig analysiert und Jack Miller HIER bestätigt gibt die RC16 allen Fahrern vergleichbares Feedback – und sie danken es mit vergleichbaren Zeiten. Ein letztes Mal tauchen wir noch ein in die spannende Welt der Zahlen und Fakten. Am letzten Tag des Sepang-Tests fuhren so gut wie alle Fahrer Sprint-Simulationen, darunter auch die tagesschnellsten Ducati- bzw. KTM-Fahrer. Wer sich die Mühe macht, den Zeiten-Schnitt aus diesen Runs rauszurechnen, kommt auf folgende Werte:

Jorge Martín: 1:58,390

Enea Bastianini: 1:58,437

Brad Binder: 1:58,639

Pedro Acosta: 1:58,644

(Der Tagesschnellste Francesco Bagnaia fuhr übrigens einen Simulationsschnitt von 1:58,659, fällt hier also ein wenig aus dem Rahmen.)

Die harten Fakten sagen also, dass KTM Ducati über den Winter auf zwei bis drei Zehntelsekunden auf den Pelz gerückt ist – unter perfekten, fairen Bedingungen für alle mit fitten Fahrern ohne Wettkampf-Stress. Denn diesen Faktor gilt es während der Saison auch noch einzurechnen.

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