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MotoGP – körperlicher Extremsport Teil 2

Von Thomas Kuttruf
Im zweiten Teil der Betrachtung des «Extremsports MotoGP» spricht der renommierte Trainer und Physiotherapeut Erwin Göllner über Verletzungen, dunkle Zimmer und den einzigartigen Typus «Motorradrennfahrer».

Nach der eher allgemeinen Sicht auf die im wahrsten Sinne sportlichsten Seite der MotoGP – den ausdauernden und kraftintensiven Workouts der Piloten auf, über, meist aber neben ihrer 300 PS-Renneisen und einem Warm Up-Gespräch mit Physiotherapeut Erwin Göllner, der zweite Teil: Es geht um weniger offensichtliche Aspekte der körperlichen Vorbereitung aber auch um die komplexeste Form des Trainings, der Arbeit in sportspezifischen Simulatoren.

Starten wir mit einem in der MotoGP unvermeidbaren Thema: Verletzungen. Es ist offensichtlich, dass für einen Profisportler andere Regeln angewandt werden als bei normalen Patienten. Wie schaut es da bei Motorrad-Rennfahrern aus?
Erwin Göllner: «Man muss zunächst einmal akzeptieren, dass Motorrad-Rennfahrer schon eine besondere Type sind. Sie scheinen mehr als andere Sportler süchtig danach zu sein und gehen auch oftmals über Grenzen hinaus, die sinnvoll sind aus rein medizinischer Sicht. Es ist oft schwer mit zu vermitteln was Sportler dazu bringt. Ich denke, es ist aber auch noch ein wenig in der Historie begründet. Fakt ist, vor einigen Jahrzehnten, als die GP-Piloten wie in einem Zirkus von Lauf zu Lauf gezogen sind und nur von ihren Startgeldern gelebt haben, da war Geldverdienen lebensnotwendig. Ein Nicht-Start, wegen einer Verletzung, war aus existenzieller Sicht viel gravierender. Das Gefühl, «Ich muss an dem nächsten Rennen teilnehmen, war allgegenwärtig. Ich empfehle da die Autobiografie von Weltmeister Jon Ekerold – Jon schildert wunderbar, wie es vor 40 Jahren zuging. Und auf einer anderen Ebene spielt das heute noch eine Rolle. Nicht fahren gleicht einer Arbeitsunfähigkeit und ist also auch heute noch eine Kernfrage. Die Karrieren sind kurz und wertvoll.»

Das heißt, Verletzungen sind eigentlich nicht leistbar. Was wird getan, um die Piloten möglichst schnell wieder fit zu bekommen?
«Profi-Rennfahrer wissen, dass ihr Sport auch ein Raubbau an ihrem Körper ist. Ob Sportler oder nicht, es gibt feste Prozesse im Körper, die für alle gelten. Natürlich ist es möglich etwa eine Fraktur zu richten und die Fahrer dann schneller wieder zurückzuholen, aber das geht immer in Verbindung mit Risiken. Bei Brüchen, die noch nicht final ausgeheilt sind, ist dann ein hohes Risiko für Pseudarthrose. Eine dauerhafte Schwächung der Knochen ist der große Risikofaktor der schnellen Comebacks.
Das ist dann auch eine Frage der Abwägung. Für einen Motorrad-Profi ist etwa ein gebrochenes Schlüsselbein nichts Außergewöhnliches. Die Risiken nimmt man eher in Kauf.»

Wie etwa Jorge Lorenzo, der sich am Freitag das Schlüsselbein in Assen brach, heimflog, mit operiertem Schlüsselbein wiederkam und das Rennen fuhr…
«Ja genau, das ist schon möglich – aber man muss es auch unbedingt wollen. Und auch das ist Raubbau. Paradebeispiel für eine zu frühe Rückkehr ist Marc Márquez. Die Vibrationen, die nach so kurzer Zeit auf die Armfraktur eingewirkt haben, haben gegen den Heilungsprozess gewirkt. Das Ergebnis ist bekannt, der Arm ist verkrüppelt.

Und doch sitzt Marc wieder auf dem Bike und ist schnell…
«Ja, keine Frage, mit Training, Therapien und großem Willen ist sehr, sehr viel möglich. Aber, es gibt immer auch eine Kehrseite. Am sichtbarsten ist das über den Alterungsprozess. Das total intensive Leben aus Trainings, Rennen, wenig Ruhephasen und dann vielleicht auch noch einer oder mehrere Verletzungen, all das lässt die Fahrer deutlich schneller altern. Wenn man sich anschaut, was in wenigen Jahren mit den jungen Burschen passiert, das ist auffällig und der andere Teil des extremen Sports.»

Erwin Göllner weiter: «Was viele auch überhaupt nicht bedenken, welchen großen Einfluss, die natürlichen Rahmenbedingungen auf die körperliche Leistung haben. Damit sind vor allem Jahreszeiten, aber auch der Tages-Nacht-Rhythmus gemeint. Es macht schon einen enormen Unterschied, ob ich ein Rennen in England oder eine Woche später in Malaysia fahre. Gewisse Dinge, wie etwa die Reiserei selbst, haben sich für die Fahrer heute wesentlich verbessert. Zumindest in der MotoGP sitzen die Fahrer in der Regel ein paar Stunden nach dem Rennen wieder daheim – früher hockten alle erstmal viele Stunden auf dem Beifahrersitz eines Autos oder Transporters. »

Wie gehen die Piloten bei dem sehr internationalen Kalender mit dem Thema «Jetlag» um?
«Man kann sich damit nur arrangieren. Zum Beispiel, in dem man direkt nach einer langen Reise mit einer Trainingseinheit versucht, wieder schnell erschöpft zu sein und dann zu schlafen. Auch die richtige Ernährung hilft. (Anm., auch der Frage «was essen MotoGP-Fahrer?» werden wir in einer eigenen Folge nachgehen). Es wurde auch schon viel versucht, mit verdunkelten Räumen die Anpassung des Körpers zu beschleunigen.

Kehren wir wieder zum eigentlichen Training zurück. Wie sieht aus ihrer Sicht der ideale Trainingsplan eines MotoGP-Profis aus?
«Richtig ist in jedem Fall, dass es nicht nur eine Art von Vorbereitung gibt. Für den allgemeinen Teil der Fitness wäre das Ziel eine möglichst schlanke Muskelstruktur zu erreichen. Kraft ist wichtig, aber sie muss richtig angelegt sein. Erreicht wird das über Geräteübungen mit sehr vielen Wiederholungen aber vergleichsweise geringen Gewichten. Mit Regelmäßigkeit unter Anleitung an Geräten zu arbeiten ist wichtig und wenn dazu ein Ausdauersport wie Fahrradfahren kommt, den der Sportler auch noch mit Ehrgeiz betreibt, dann ist das schon mal eine sehr gute allgemeine Vorbereitung.»

Und was würde man unter einem speziellen Training verstehen?
«Zunächst, spreche ich natürlich als Trainer, der sich vor allem intensiv mit den Anforderungen der Formel 1 befasst hat. Das lässt sich nur bedingt übertragen. Die Fliehkräfte sind im F1-Auto nicht vergleichbar. Aber sie sind ein gutes Beispiel für individuelles Training. Über den von mir entwickelten Simulator lassen sich bestimmte Muskelgruppen unter kontrollierten Bedingungen trainieren. Etwas die Nackenmuskulatur über eine volle GP-Distanz bei tropischem Wetter. Das war eine sehr aufwändige Entwicklung, aber die hat sich gelohnt, denn so lassen sich einfach die exakt benötigten Partien bei möglichst realen Verhältnissen stärken.»

Das heißt, sie können individuell bestimmen, welche Muskeln beansprucht werden?
«Ja genau, das sehe ich als den großen Vorteil. Dadurch lässt sich ein Simulator auch zur Therapie einsetzen. Ich kann etwa einen Piloten trotz einer Verletzung partiell weiter trainieren, oder behandeln. Wenn ein Pilot zum Beispiel eine Handverletzung hat, dann kann ich ihn trotzdem reinsetzen und Bremstraining mit ihm machen.»

Und ein Simulator für Rennmotorräder?
«Von der Philosophie her ist es identisch. Es geht darum, einzelne, gezielte Übungen unter realen, für den Fahrer natürlichen Bedingungen zu machen. Technisch schaut so das natürlich ganz anders aus. Wie bereits erwähnt, hatte ich nach der Therapie mit Superbike-Pilot Bauer, die Idee den Simulator für die Motorrad-Profis umzusetzen. Mit dem Techniker Wolfgang Felber wurden die Grundlagen zusammen auf den Weg gebracht. Es entstand auch ein Prototyp.»

Wie muss man sich so einen MotoGP-Trainingssimulator vorstellen?
«Der zentrale Punkt ist es, den Fahrer ähnlichen Belastungen auszusetzen. Durch die Schräglage wird es natürlich kompliziert, technisch ist es aber machbar, auch Schräglage zu simulieren und Hang-off-Fahrstile zu trainieren. Ich denke, mit der Zeit werden auch solche Trainingsmethoden kommen. Der extreme Fahrstil hat den Bedarf dafür nochmals erhöht. Aber auch für Therapien könnte so ein fertig entwickelter Simulator eingesetzt werden.»

Zum Abschluss des Gesprächs mit dem Trainings-Experten wundert sich Erwin Göllner über eine Besonderheit der Hang-off-Akrobatik:
«Was mich wirklich beschäftigt, ist die bei etlichen Fahrern ganz extreme Stellung der Handgelenke und Unterarme in maximaler Schräglage. Durch das Einklappen des kurveninneren Arms entsteht eine völlig unnatürliche Stellung. Auch weil die Piloten ja noch viel Feingefühl für den Gasgriff brauchen, halte ich diese Position für schwierig – und ich frage mich, ob da seitens der Techniker nicht bessere Lösungen an den Lenkern möglich wären. Natürlich hilft ein gerader Lenker beim Abstützen, aber in den Kurven, bei der extremen Körperhaltung ist es für mich ein Kuriosum, über das ich mir Gedanken mache».

Herzlichen Dank für den interessanten Austausch!

In weiteren Episoden betrachten wir neben dem Bereich Ernährung auch die Themen der mentalen Vorbereitung und sprechen mit Athleten und Trainern über ihre eigenen Trainingsprogramme.

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