Johann Zarco: «Will keine Journalisten mehr töten»
Johann Zarco hat an seinem Training und seiner Einstellung gearbeitet
LCR-Honda-Neuling Johann Zarco kann auf eine spannende Rennfahrerkarriere zurückblicken. Der 33-Jährige gewann 2007 den Red Bull Rookies-Cup, 2015 und 2016 wurde er Moto2-Weltmeister. Seit 2017 fährt er in der MotoGP, letztes Jahr konnte er nach konstant guten Leistungen und zahlreichen Podestplätzen in der Königsklasse endlich sein erstes Rennen gewinnen.
Zarco hatte nie Angst davor, mutige Entscheidungen zu treffen. Eine davon war der Weggang von Ducati und sich mit Honda ab 2024 auf ein ehrgeiziges Abenteuer einzulassen. Im Interview mit SPEEDWEEK.com gibt sich der eigenwillige Franzose sehr offen. Er spricht über seine Karriere und wie er sich als Rennfahrer und Mensch weiterentwickelt hat.
Johann, deine bisherige Karriere war besonders: Du warst der erste Red Bull Rookies-Champion, hattest Mühe, einen Platz in der 125er-Klasse zu bekommen, und konntest dann zwei Moto2-Weltmeistertitel gewinnen. Jetzt bist du in deinem achten MotoGP-Jahr und hast manchmal ungewöhnliche Entscheidungen getroffen.
Das stimmt, ich habe nicht immer den einfachsten Weg gewählt. Ich habe meine Entscheidungen aufgrund meiner Einstellung zu den Dingen getroffen. Ich versuche dabei stets, meinem Instinkt zu folgen. Wenn ich zurückblicke, hat mir das geholfen, vieles anders zu machen als andere Fahrer. Ich bin stolz darauf, dass ich mit diesem Weg immer noch diesen Hunger verspüre.
Eine dieser Entscheidungen war der Ausstieg aus deinem lukrativen KTM-Vertrag im Jahr 2019, was das Ende deiner MotoGP-Karriere hätte bedeuten können.
Ja, aber ich glaubte damals fest daran, dass ich im Fahrerlager noch begehrt bin. In den wenigen Monaten, die ich bei KTM war, konnte ich nicht zeigen, was ich an sich draufhabe. Ich dachte mir, ‚ich kann immer noch gute Dinge tun‘, aber ich hatte Angst, diese Fähigkeit zu verlieren. Deshalb habe ich KTM ehrlich gesagt, dass ich aus diesem Vertrag aussteigen und irgendwo anders eine Chance bekommen möchte. Ich hatte das große Glück, eine Möglichkeit zu bekommen. Zunächst bei LCR Honda. Zwar nur für drei Rennen – aber es hat gereicht, um Ducati das Gefühl zu vermitteln, es mit mir versuchen zu wollen.
Du hast mit deinem Physiotherapeuten und deinem Mentaltrainer dieses Team um dich zusammengestellt. Glaubst du, das hat vorher gefehlt?
Nein, das war es nicht. Ich musste vielmehr die Art ändern, wie ich mit mir selbst umgehe. Das hat mir geholfen, ein bisschen positiver zu sein und es zu genießen – auch in schwierigen Zeiten. Die wichtigste Person ist mein Physiotherapeut Alex, der eine große Leidenschaft für den Sport hat und mir auch bei kleinen Dingen hilft. Bevor ich ihn in mein Team holte, arbeitete ich drei Jahre lang mit meinem Bruder zusammen – er ist Chiropraktiker. Das war interessant, aber aus sportlicher Sicht war es besser, mit einem Physiotherapeuten zu arbeiten. 2023 habe ich zudem begonnen, mehr Kontrolle über mein Umfeld zu übernehmen und darüber zu entscheiden, welche Menschen ich um mich herum brauche. Das hat für Entspannung in meinem Team gesorgt, denn selbst wenn alle auf das gleiche Ziel hinarbeiten, kann es zu Spannungen kommen. Das ist nur menschlich, aber hinderlich, wenn man Leistung erbringen muss.
Was ist der größte Unterschied zwischen dem Johann heute und dem Johann vor ein paar Jahren?
Ich sage mir nicht mehr, dass ich nicht schnell genug bin. Manchmal dachte ich: ‚Ich bin schlecht.‘ Ich war sehr hart zu mir selbst. Dann wurde mir klar: ‚Okay, ich bin kein Marc Marquez oder Pecco Bagnaia, die Rennen und Titel gewinnen, aber es geht mir auch ganz gut, wenn ich zeige, dass ich immer konkurrenzfähig bin.‘ Das konnte ich früher nicht. Ich habe mir zu viel Druck gemacht; und wenn ich nicht mit den Top-Jungs mithalten konnte, war alles schwarz. Ich habe gelernt, besser zu analysieren und mich nicht selbst niederzumachen. Es ist gut, sich immer wieder anzutreiben, aber es ist nicht gut, sich selbst zu zerstören. Ich habe das manchmal gemacht und dadurch viel Energie verloren. Ich bin somit auch als Mensch gewachsen.
In deinem 120. Versuch hast du letztes Jahr auf Phillip Island dein erstes MotoGP-Rennen gewonnen. Hast du damit gerechnet?
Ich weiß nicht, ob ich wirklich ans Gewinnen gedacht habe. Jeder erwartet diese Freudenexplosion nach einem Sieg, ich hatte diese nicht. Es wurde aber alles viel ruhiger, der Druck ist abgefallen. Es war eine Last, die von meinen Schultern genommen wurde. Das habe ich erwartet und auch bekommen. Dieses Gefühl der Ruhe in meiner Auslaufrunde war einfach super.
Im Parc fermé hast du so etwas gesagt wie «ich möchte nicht weinen, aber ich bin kurz davor». Sind diese Emotionen hochgekommen, nachdem dir bewusst wurde, was du erreicht hast?
Ich habe geweint, als ich meine beiden Moto2-Meisterschaften gewonnen habe, aber das war anders. Ich kann jetzt mehr weinen als früher. Wenn man älter wird, fällt das Weinen leichter. Nach meinem Sieg haben wir nicht mit einer Party gefeiert. Ich brauchte vielmehr dieses Gefühl der Ruhe und ich wusste: ‚Okay, das ist geschafft, niemand wird mich mehr fragen, wann ich endlich gewinnen werde.‘ Ich wollte Leute töten, die mich das immer wieder fragten. Es ist kein sehr positiver Gedanke, Menschen töten zu wollen. Danach fühlte ich mich friedlicher.
Du hast Ducati überraschend verlassen und bei LCR Honda unterschrieben. Hast du diese Entscheidung mehr mit dem Herzen als mit dem Kopf getroffen?
Beides. Ich bin letztes Jahr 33 geworden und habe in diesem Jahr mehr Energie als in der Vergangenheit. Ich habe mein Training umgestellt und verfolge jetzt einen anderen Ansatz – das hat mir zusätzliche Energie gegeben. Mit dem Zweijahresvertrag bei Honda kann ich mehr nach vorne blicken und habe weniger Druck als mit einem Einjahresvertrag. Denn damit musst du bereits fünf Monate nach Vertragsunterzeichnung schon wieder über das nächste Jahr nachdenken. Selbst bei guten Ergebnissen konnte ich in der Vergangenheit nicht sicher sein, ob ich einen Vertrag bekommen würde. Das gab mir ein schlechtes Gefühl und es schien so, als ob ich nicht gewollt war. Die Zusammenarbeit mit Ducati war fantastisch, aber sie verfolgen eine andere Strategie. Zu LCR Honda zu gehen war also mehr eine rationale, als eine emotionale Entscheidung.
Glaubst du, dass du diese Entscheidung so schon vor zehn Jahren getroffen hättest?
Als ich damals zu KTM gegangen bin, war ich nicht bereit für diesen Schritt. Die Erfahrung hat mir gefehlt. Dieses Mal sagte ich zu mir: ‚Jetzt bin ich bereit.‘ Ich habe meine Fähigkeiten als Fahrer bewiesen und gute Dinge getan. Ich kann jetzt immer noch gute Dinge leisten, obwohl es vielleicht nicht mehr so ums Gewinnen geht.
Du bist ein großer Fan der Beatles und von Paul McCartney. Gibt es einen Beatles-Song, der gut zu deiner Karriere passt?
Vielleicht einer ihrer berühmtesten Songs: ‚Let It Be‘. Dieser Song könnte meine Karriere treffend beschreiben. Seit ich nicht mehr den Wunsch verspüre, Journalisten zu töten, könnte ich auch ‚Pipes of Peace‘ sagen.