Carlos Ezpeleta: «Müssen uns selbst treu bleiben»

Carlos Ezpeleta ist Chief Sporting Officer der MotoGP
Was rollt da gerade vermarktungstechnisch auf die MotoGP zu? Der Einstieg des US-Giganten Liberty Media in die MotoGP ist inzwischen auch kartellrechtlich durchgewunken. Das US-Unternehmen, das auch die Formel 1 besitzt, hat 84 Prozent der Anteile an MotoGP-Rechteinhaber Dorna erworben. Generell gehen Fans und Fahrerlager davon aus, dass mit Liberty im Boot der Marketing-Turbo für die MotoGP weiter angeworfen wird – und die Serie eine ähnlich steile Karriere hinlegen könnte wie die Formel 1 in den letzten Jahren.
Seit dem Liberty-Einstieg in der Formel 1 2017 wächst die Rennserie rasant. Die Formel 1 und die Marken in ihrem Umfeld sind u.a. durch geschickte Social-Media-Kampagnen und Projekte wie die Netflix-Serie «Drive to Survive» und jüngst den Formel-1-Kinofilm mit Brad Pitt noch bekannter geworden. Die Formel 1 hat erfolgreich eine noch jüngere, noch diversere und noch internationalere Zielgruppe erschlossen. Einer der Hauptmärkte der Expansion: die USA. Dort finden derzeit drei Rennen statt. Aber weltweit bricht die Formel 1 noch immer regelmäßig Zuschauerrekorde, auch angekurbelt durch eine clevere Strategie in der Corona-Pandemie und die packende Saison 2021. Kooperationen und große Werbedeals sowie der Einstieg von immer mehr Stakeholdern auch bei Teams zeugen vom anhalten Aufschwung – auch dank Liberty Media. Kommt ein ähnlicher Boom nun auch für die MotoGP?
Dorna-Manager Carlos Ezpeleta im Interview mit SPEEDWEEK.com auf die Frage, ob künftig eine Zielgruppe über den Motorsport hinaus stärker angesprochen werden soll: «Es ist im Moment unser Fokus Nummer 1 und wir blicken schon in diese Richtung. Es gibt eine gewisse Wahrnehmung, dass man Motorrad fahren muss, um ein Fan dieses Sports zu sein. Das ist aber schon längst nicht mehr der Fall. Es kommen mehr Menschen mit dem Auto zu unseren Veranstaltungen als mit dem Motorrad, viele besitzen nicht mal ein Motorrad. Was die Demografie angeht, sind wir sehr breit aufgestellt. Unser weibliches Publikum ist enorm gewachsen. Unser junges Publikum ist enorm gewachsen. Viele interessieren sich nicht besonders für die mechanische Seite oder die Motorräder. Sie interessieren sich für die menschlichen Geschichten dahinter. Und unser Marketing und unser Branding zielen zunehmend darauf ab, die Botschaft zu vermitteln, dass wir nicht ausschließlich für Motorradfahrer da sind.» Zielgruppe sei also schon längst nicht mehr nur das klassische Motorsport-Publikum, sondern auch eine Zuschauerschaft außerhalb der Motorrad-Welt.
Ezpeleta ergänzt: «Das ist etwas, das nicht nur die MotoGP als Organisation betrifft. Diese Veränderung und Entwicklung, die wir durchlaufen, betrifft nicht nur uns, sondern auch die Teams. Ein MotoGP-Team zu haben, ist eine Art Ehre. Und es gibt eine lange Liste von Menschen, die in die MotoGP investieren und in diesen Sport einsteigen wollen. Da spielt der Liberty-Media-Deal natürlich auch eine Rolle. Aber es liegt auch am gesamten Ökosystem, zu zeigen, dass wir viel mehr sind als nur Motorräder. Wir sind viel mehr als nur die Motorradindustrie. Es muss in allem, was wir tun, zum Ausdruck kommen, dass wir nicht nur das sind.»
Kommt also analog zur Formel 1 nun eine Doku, die alles verändert, neue Zielgruppen erschließt und die MotoGP in neue Wohnzimmer bringt? Ezpeleta: «Die Situation ist heute ganz anders als vor zehn Jahren. Der Markt ist überladen mit Inhalten. Viele Sportarten sind in diesem Markt vertreten und sind nicht so erfolgreich wie die Formel 1.» Ähnliche Produktionen wie «Drive to Survive» gibt es zum Beispiel über Tennis, die Tour de France oder Golf. Keine kam an den großen Erfolg der Formel-1-Serie heran, teilweise sind sie sogar schon wieder abgesetzt worden.
Ezpeleta: «Dennoch liegt unser Fokus natürlich auf den menschlichen Geschichten und dem Aufbau der Charaktere hinter den Rennen, um zu zeigen, wie beeindruckend diese Athleten sind. Wir haben großes Glück, dass viele Menschen, die mit diesem Sport in Kontakt kommen, sofort begeistert sind. Die Action ist da. Alle Überholmanöver sind da. Das Risiko ist da. Es ist real. Und wir sind sehr stolz auf diesen Sport und auf die Fahrer, ihre Fähigkeiten und ihre Athletik. Wir müssen einfach besser zeigen, wer sie sind, sozusagen außerhalb des Helms und der Garage.»
Diese Herangehensweise sei aber zuletzt ohnehin schon Strategie der Dorna gewesen, so Ezpeleta: «Im Grunde genommen wird bereits einiges getan, beispielsweise auf unseren Plattformen, in unseren sozialen Medien, in unseren Inhalten, wie wir das Rennen erklären, wie wir das, was nicht zum Rennen gehört, erklären und wo wir das präsentieren. Also auch in nicht-endemischen Medien, um der Welt zu erklären, wer diese Leute sind.» Bedeutet: in Umfeldern, die nicht direkt mit der Rennserie zu tun haben.
Ezpeleta: «Es gibt auch Gespräche über die großen Plattformen, die Sie im Sinn haben. Aber wir müssen sicherstellen, dass wir uns selbst treu bleiben. Und ich denke, dass unsere Zielgruppe sich deutlich von der Formel 1 unterscheidet. Aber es ist ein sehr gutes Instrument, um neue Zielgruppen anzusprechen. Nach dem Erfolg von ‹Drive to Survive› ist es jetzt jedoch schwieriger als zuvor. Allerdings war die Serie auch nicht der einzige Katalysator für den Wachstum.»