Neues Motorenkonzept: Was Stefan Bradl Honda zutraut

Honda-Testfahrer Stefan Bradl
Was war das für ein Schauspiel mit Jorge Martins Kündigung bei Aprilia im Mai und der späteren Erkenntnis, dass diese rechtlich nicht so einfach durchzusetzen ist, wie es sich der Spanier vorgestellt hatte. Sportlich hätte der angestrebte Wechsel von Aprilia zu Honda ohnehin wenig Sinn gemacht, wie der Blick auf die Ergebnisse in den Jahren 2024 und 2025 offenbart. Seit dem Brünn-GP im Juli wissen wir: Der achtfache MotoGP-Sieger wird seinen Vertrag wie schriftlich fixiert bis Ende 2026 erfüllen.
Die Posse machte aber auch deutlich, wie sehr Honda nach einem Spitzenfahrer sucht, die kolportierten Traumgagenangebote, zuerst für Pedro Acosta und später Jorge Martin, beide von Albert Valera gemanagt, waren nicht aus der Luft gegriffen. Denn Ex-Weltmeister Joan Mir hat sich nicht als Heilsbringer erwiesen, von Luca Marini hat das niemand erwartet, Johann Zarco sorgt immerhin für gelegentliche Lichtblicke und Somkiat Chantra entwickelt sich nicht so schnell und positiv, wie es sich einige Honda-Manager erhofft haben.
Vergangenes Wochenende gewann Honda mit dem Duo Zarco und Takumi Takahashi zum vierten Mal in Folge das prestigeträchtige Acht-Stunden-Rennen in Suzuka. Der japanische Hersteller wurde seiner Favoritenrolle auf der Hausstrecke gerecht und bewies die Schlagkraft der seriennahen Honda Fireblade. Von solchen Leistungen ist die Honda Racing Corporation, zuständig für alle Werksauftritte des größten Motorradherstellers, in der nahe verwandten Superbike-WM weit entfernt.
In der MotoGP sind technische Fortschritte erkennbar, Honda-Fans weltweit fragen sich, ob mit einem Fahrer auf dem Höhepunkt seines Schaffens, wie Weltmeister Jorge Martin, aus der RC213V mehr herauszukitzeln wäre.
Niemand kann den technischen Level der Honda besser beurteilen als Testfahrer Stefan Bradl. Der Zahlinger ist überzeugt, dass Honda mit einem Fahrer wie Martin einen Schritt nach vorne machen könnte. «Aber dass sie gleich um den WM-Titel fahren, glaube ich nicht», unterstrich der Moto2-Champion von 2011. «Dazu ist die Technik nach wie vor nicht auf dem Level, dass man Ducati dauerhaft Paroli bieten kann.»
Honda hat mit Romano Albesiano, der Italiener machte 1988 seinen Ingenieur in Aeronautik am Polytechnikum Turin, zum 1. Januar 2025 erstmals einen Europäer an die Spitze seines MotoGP-Projekts gestellt. Er brachte Know-how von Aprilia mit, brach verkrustete Honda-Strukturen auf und sorgte für frischen Wind.
«Ich merke, dass durch ihn die Abläufe schneller und effizienter wurden», analysierte Bradl für SPEEDWEEK.com. «Sachen, die nicht funktionieren, sind weg. Sachen, die funktionieren, sind da. Das hat Romano mit Sicherheit verbessert, das sind die Einflüsse von einem europäischen Technischen Direktor. Dass er das Motorrad nicht von heute auf morgen auf den Kopf stellt – es war klar, dass das nicht der Fall ist.»
Ab 2027 gilt in der MotoGP ein neues Motorenreglement, dann wird mit 850 statt bis dahin 1000 ccm gefahren. So ein Radikalschnitt ist auch für einen Testfahrer spannend. «Wir reden ja von einem neuen Konzept und neuen Reifen», verdeutlichte Bradl. «Es wird von Michelin auf Pirelli umgestellt, zusammen mit dem neuen Motorenkonzept wird das etwas gewaltig anderes. Natürlich habe ich Bock darauf, dieses Motorrad mal zu probieren, damit ich den Unterschied spüren kann. Ich bin ganz guter Dinge, dass ich das noch erleben darf.»
Die Rennabteilung von Honda galt jahrzehntelang als die schlagkräftigste der Welt. Auch wenn dieses Image in den vergangenen Jahren viele Kratzer erhielt, ist der alte Glanz noch nicht völlig verblasst. «Ressourcen und Geld sind bei Honda das geringste Problem», sagt Bradl, der sich vorstellen kann, dass mit dem neuen Reglement auch wieder ein großer Wurf gelingt. «Die Chancen sind auf alle Fälle da und es wäre sinnvoll, die zu nutzen. Ich traue das Honda zu – na logisch.»