Leise Premiere: Das war der Schikanen-GP am Balaton
Der erste Eindruck zählt. Als ich zum ersten Mal auf das Gelände des Balaton zurolle, gibt es erstmal Applaus für die souverän geregelte Zufahrt. Staufrei geht es auf die nahegelegenen Parkplätze. Von der Autobahnabfahrt bis zum ersten Kaffee im Pressezentrum vergehen nur fünf Minuten.
Was wenig verwunderlich ist, wenn man eine Rennpiste wie den Balaton-Circuit auf einem weißen Blatt Papier plant und viel Freiheit bei der Platzauswahl hat. Vergleicht man die Anfahrt über Schleichwege zur in die Natur gemalte Piste von Mugello, gibt es nur Bestnoten für die Planer. Das gilt im Übrigen für die gesamte Infrastruktur. Die Frage, ob die neue Anlage einem MotoGP-Auftritt gewachsen ist, lässt sich mit einem klaren Ja beantworten.
Stichwort Pressezentrum, der Ort an dem ein Journalist die meiste Zeit eines GP-Wochenendes verbringt verwöhnt mit stabilem Internet und einer beinahe kuscheligen Atmosphäre. Der voll besetzte Saal erinnerte die Insassen an einen regelmäßigen Deo-Einsatz.
Ein solider Teil der Anwesenden rekrutiert sich aus dem Media- und Event-Team der Rennstrecke. Gefühlt kommen auf zwei Pressevertreter zwei Mitarbeiter, die alles dafür tun, bestmögliche Arbeitsbedingungen herzustellen – und das mit einer bemerkenswerten Höflichkeit auf jedem Posten. Von Hektik oder davon ausgelöster Unfreundlichkeit keine Spur. Trotz verständlicher Anspannung beim ersten Antreten der Königsklasse, war am Balaton ein eingespieltes und souveränes Team am Werk, Hut ab.
Während es aus der Sicht eines Pressevertreters an der gesamten Organisation des Ungarn-Grand-Prix keine Kritik geben kann, wurde das Debüt der Königsklasse dennoch heftig diskutiert. Unter den Stammpiloten polarisiert der vier Kilometer lange Kurs mit der geringsten Durchschnittsgeschwindigkeit im Kalender. Immerhin: Die MotoGP-Renner knackten die Marke von 300 km/h (Bestwert von Bagnaia 307 km/h).
Es wäre vermessen, als Nicht-MotoGP-Athlet die Rennstrecke im Detail zu analysieren. Nur so viel: Rennstrecken, die Spaß machen, sind als Bonus an die Fahrer zu verstehen. Aber selbst wenn die MotoGP einen sicheren Kurs auf einem Supermarkt-Parkplatz abstecken würde, dann wäre das zu akzeptieren.
Eine ähnliche Denkweise setzte sich über das Wochenende bei den meisten Athleten durch. Als sich der erste Schikanen-Schock gesetzt hatte, ging es an die Arbeit und mit jeder Session fand der neue Kurs mehr Freunde. Jorge Martin als prominentester Pilot, verkündete nach dem Rennen seine neue Liebe zu Ungarn. Kein Wunder, denn der Champion hatte am Sonntag bewiesen, dass Überholen auch hier machbar ist.
Dennoch lassen sich die heiklen Stellen nicht wegdiskutieren. Für jede Klasse bedeuten die engen Schikanen ein hohes Sturzrisiko und wenn es rappelt, dann ist die Gefahr nicht vorbei. Gleich der erste Crash des Events im FP1 von Moto3-Pilot Marcos Uriarte verdeutlichte die grundsätzliche Problematik.
Der Spanier flog kurz nach dem Einlenken in der engsten Schikane (Kurve 16) übers Vorderrad ab, die KTM schlitterte durch die Ideallinie und kam mittig auf der Straße zum Stillstand. Am Sonntag demonstrierte Enea Bastianini die Gefahr beim GP einem Millionenpublikum.
Die Rennstrecke am Balaton deswegen begradigen oder gleich wieder niederreißen? Sicher nicht. Jeder Pilot darf selbst entscheiden, ob er sich der Herausforderung stellt. Damals wie heute, Schikanen sind ein Teil des Spektakels und gehören zur Ausbildung jedes Spitzenfahrers.
Wenn der Balaton Park Circuit ein Problem hat, dann ein anderes. So tadellos der Grand Prix ausgerichtet war, so überschaubar war der berühmte Gänsehaut-Faktor. Donnerstag und Freitag glich der Schauplatz einem nationalen Event, das von Aktiven, nicht aber von Fans befeuert wurde.
Erst am Sprint-Samstag stieg der Puls um einige Schläge doch selbst als die MotoGP-Meute um 15 Uhr die Hecks absenkte, war die Haupttribüne nicht voll besetzt. Die Fans, die da waren, jubelten, aber von einem Ansturm der Massen am Plattensee konnte keine Rede sein. Rund 80.000 Besucher wurden zum Start des Programm-Höhepunkts für das gesamte Wochenende vermeldet.
Ehrlicher Applaus für Gabor Talmasci, der auf seinem 125er-WM-Bike um den Kurs knattere.
Was auf der mitten in die Landschaft geknallte Rennstrecke zwar ein ordentlicher Wert ist, doch meilenweit von einem MotoGP-Volksfest entfernt ist. Ein wesentlicher Grund: Kaum ein Besucher hat einen Grund, seine Zelte für vier Tage direkt am Ring aufzuschlagen. Der in Sichtweite liegende Plattensee hat in Jahrzehnten eine große Tourismus-Kultur erschaffen. Gefeiert – und ein wenig geschlafen – wird am See.
Als ich das Pressezentrum (am Samstag) um 21 Uhr verlasse, Stille. Zur besten Partystunde nicht ein um Gnade winselnder Reihenvierer, der im Begrenzer kotzt. Keine Fan-Wheelies auf der Zufahrtsstraße. Nichts. Feierabend.
Wenn es eine langfristige Zukunft des Ungarn-GP am Balaton geben soll, dann sollten sich alle Verantwortlichen weniger mit der Rennstrecke befassen. Die hat, wenn auch mit blauen Flecken, die Premiere gut überstanden. «Umbaumaßnahmen» sollten sich dem Drumherum widmen, mit dem Ziel, die Atmosphäre am Balaton Park Circuit kräftig anzuheizen. Schafft man es, die Fans an der Rennstrecke zu halten, dann könnte der Schikanen-GP am Balaton noch zum Kultevent avancieren.