Marc Márquez: Diesmal geriet er an den Falschen

Von Günther Wiesinger
Es klang ein bisschen vorlaut, als Valentino Rossi vor dieser Saison ankündigte, er peile 2015 den Gewinn seines zehnten WM-Titels an. Jetzt liegt er 30 Punkte vor Weltmeister Márquez.

Der Weltmeister ist gestrauchelt.

Zehn Siege bei den ersten zehn Rennen 2014, zweiter WM-Titel in zwei Jahren, 24. Pole-Position in der MotoGP-Klasse beim 39. Rennen in der Königsklasse.

Marc Márquez hat alle MotoGP-Rekorde gebrochen, als jüngster Weltmeister, als jüngster GP-Sieger, die Reihe ist endlos.

Und es besteht kein Zweifel: Wir haben im Motorradsport noch keinen Fahrer erlebt, der soviel Fahrzeugbeherrschung, so viel Siegeswillen, so viel Renninstinkt, so viel Kampfgeist hat und schon mit 19 Jahren das ganze Establishment aufgemischt hat. Mit 21 Jahren hat er vier WM-Titel in drei Klassen (125 ccm, Moto2, MotoGP) gewonnen und 46 GP-Siege gefeiert, insgesamt schon 70 Podestplätze bei 117 GP-Starts.

Márquez revolutionierte den Fahrstil, er hob das Niveau in der MotoGP auf ein neues Level – auch was die Aggressivität und die Rücksichtslosigkeit betraf. Bodychecks gehörten plötzlich zum Alltag.

Die renommierten Stars warfen ihm mitunter mangelnden Respekt für den Gegner vor.

In seiner ersten Saison geriet er in Jerez mit Jorge Lorenzo aneinander, in Aragón mit seinem Teamkollegen Dani Pedrosa.

Und in der Moto2-Klasse konnte ein halbes Dutzend Fahrer ein Lied davon singen, wie unzimperlich Márquez mit seinen Gegner umsprang.

Der Spanier wurde zum Beispiel 2011 in Australien und Valencia auf den letzten Moto2-Startplatz verbannt, weil er Gegner gefährdet hatte, aber Márquez fuhr trotzdem auf den dritten Platz in Phillip Island und auf Platz 1 in Valencia.

Márquez stürzte besonders 2013 sehr oft, aber er hatte alle Schutzengel dieser Welt. Selbst bei einem 338-km/h-Crash in Mugello wurde ihm sozusagen kein Haar gekrümmt.

Im Vorjahr konnte es sich Márquez leisten, die Angriffslust etwas zu zügeln, er hatte mehr Erfahrung und eigentlich keinen ernsthaften WM-Gegner.

Lorenzo begann schwach, Rossi gewann erst in Misano im September und auf Phillip Island im Oktober. Die Ducati konnten nicht mithalten.

Márquez nahm sich im Winter vor, in diesem Jahr manchmal auch mit zweiten, vierten oder fünften Plätzen zufrieden zu sein, weil er wusste, das Yamaha-Duo ist stärker und die Ducati GP15 unter Dovizioso und Iannone wird jederzeit für Siege und Podestplätze gut sein.

Doch im Argentinien-GP verfiel Márquez in sein altes Strickmuster. Aber beim zweikampfstarken Rossi geriet er an den Falschen.

Jetzt hat Superstar Rossi zwei von drei Saisonrennen 2015 gewonnen, er liegt in der WM-Tabelle schon 30 Punkte vor dem Titelverteidiger.

Jetzt muss Marc Márquez beweisen, dass er seine Nerven im Zaum halten kann. Das war oft eine Schwachstelle von ihm, wenn er enorm unter Druck geriet, das zeigte sich im Saisonfinish 2011 beim Titelfight gegen Stefan Bradl und 2013 beim Australien-GP, wo er die schwarze Flagge bekam, weil er nach der zehnten Runde nicht zum verpflichtenden Reifenwechsel an der Box erschien.

Yamaha kann Márquez jetzt mit zwei Piloten in die Zange nehmen, Ducati auch.

Die Honda Racing Corporation hat ganz auf Marc Márquez gesetzt und ihm für zwei weitere Jahre den braven Dani Pedrosa (momentan verletzt) zur Seite gestellt. Das könnte sich als Fehler erweisen.

Cal Crutchlow bringt zwar starke Leistungen, aber er wird auf manchen Pisten gegen die Werksmaschinen von Yamaha und Ducati einen schweren Stand haben.

Das ruhmreiche Repsol-Honda-Team kam in Argentinien böse unter die Räder. Nur zwei Fahrer stürzten in diesem Rennen – ausgerechnet Márquez und Aoyama.

Und Marc Márquez wird seine Risikofreudigkeit irgendwann ein bisschen reduzieren müssen. Denn viele Nuller darf er sich gegen Rossi und Dovizioso nicht erlauben.

Eine Chaosrunde wie im Qualifying von Texas, die ihn fünfmal in akute Sturzgefahr brachte, bringt zwar viel Respekt ein, man überlebt so etwas aber nicht ewig ohne Kratzer.

Rossi hat heute in Las Termas die bessere Reifenwahl getroffen, anfangs die Ruhe bewahrt, er hat dann Sekunde um Sekunde wettgemacht und geschickt und weltmeisterlich auf seine Chance gewartet.

Marc Márquez hat einen schweren Fehler gemacht.

Noch ist nichts verloren.

Aber mit Rossi wird nicht zu spassen sein, der 36-jährige erlebt seinen fünften Frühling.

Valentino hat jetzt 110 GP-Siege erbeutet. Giacomo Agostini muss sich warm anziehen, der Rekordhalter hat 122 GP-Siege auf seinem Konto.

Freuen wir uns. Die Weltmeisterschaft wird spannend, unterhaltsam, aufregend und unerbittlich. Zehn Márquez-Siege bei den ersten zehn Rennen, das will keiner ein zweites Mal erleben.

Bedanken wir uns bei Yamaha und Ducati. Sie bringen wieder Leben in die Bude.

Übrigens: Als Honda für 2013 einen Nachfolger für den zurückgetretenen Casey Stoner suchte, kam Rossi keine Sekunde lang in Frage.

«Die neue Sharon Stone ist nicht Sharon Stone», sagte Repsol-Honda-Teammanager Livio Suppo damals. Er meinte damit: «Wir brauchen einen jungen, neuen Champion.»

Trotzdem: Der neue MotoGP-Weltmeister könnte durchaus aus Italien kommen. Und 36 Jahre alt sein.

Es kann aber auch passieren, dass Marc Marquez die nächsten zehn Rennen gewinnt. Das nötige Können hat er, das Material und das Team auch. Er muss nur geduldiger werden und seine ungestüme Angriffslust manchmal zügeln. Dann wird ihm die MotoGP-Welt noch viele Jahre lang zu Füssen liegen.

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