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MotoGP: Was ist ein Big-Bang-Motor?

Von Günther Wiesinger
Der neue 800-ccm-V4-Ducati-Motor

Der neue 800-ccm-V4-Ducati-Motor

Ducati schwört auf die Vorzüge des neuen Big-Bang-Motorenkonzepts. Aber es gibt auch kritische Stimmen, die sagen: «Alles nur Einbildung.»

Die Ducati-Werkspiloten Casey Stoner und Teamkollege Nicky Hayden beteuern, die Rückkehr zum Big-Bang-Motor habe die Desmosedici viel fahrbarer gemacht.

Und der geneigte User fragt sich: Was zum Teufel bedeutet Big-Bang?

Yamaha-Technikchef Masao Furusawa gab 2007 zu: «Was Big-Bang ist, weiss ich selber nicht genau.» Er bezeichnet den M1-Reihenmotor als virtuellen V4. Das heisst: Die Hubzapfen der Kurbelwelle sind nicht wie bei einem Reihen-Vierzylinder üblich um 180 Grad versetzt, sondern nur um 90 Grad. So ergeben sich unregelmässige Zündabstände wie die eines V4 mit 90-Grad-Zylinderwinkel.

Was bedeutet also Big-Bang?

«Schlicht gesagt handelt es sich dabei um den Verbrennungsvorgang eines Motors mit geringerer Zylinderzahl», erklärt der frühere Aprilia-Technikdirektor Jan Witteveen. «Eine Verbrennung pro Kurbelwellen-Umdrehung beim Zweitakter beziehungsweise pro zwei Umdrehungen beim Viertakter. Wenn bei Mehrzylinder-Motoren die Zündfolge so geändert wird, dass sie einem Einzylinder ähnlich wird, sprechen wir von einem Big-Bang-Triebwerk.»

Dieses Konzept hat Aprilia in der 250er-WM bereits 1989 verwirklicht. Yamaha und Honda haben es bei den Zweitakt-Maschinen (250 und 500 ccm) verwendet.

«Die Vorteile des Big-Bang liegen im besseren Fahrverhalten, in der direkteren Verbindung vom Gasgriff zum Hinterrad, was die Engländer als ‹throttle connection› bezeichnen. So lässt sich die Power vom Fahrer besser kontrollieren», weiss Witteveen. «Durch die höheren Drehmomentspitzen, ähnlich wie beim Einzylinder-Prinzip, wird eine bessere Beschleunigung erreicht. Der Hinterreifen erhitzt sich durch die Big-Bang-Zündfolge weniger: So erhöht sich seine Lebensdauer, oder es kann eine weichere Mischung gewählt werden.»

Als bei Yamaha 2007 Standfestigkeitsprobleme auftauchten, Beschleunigung und Leistung zu wünschen übrigliessen, plädierte Valentino Rossi im Herbst für ein V4-Konzept, wie es Ducati, Honda und Suzuki verwenden. Doch Yamaha ist vom Reihenmotor nie abgewichen – und hat 2008 und 2009 die WM gewonnen!

«Es gibt Probleme bei der Auswuchtung und mehr Vibrationen», zählt Witteveen die Big-Bang-Schwachstellen auf. «Die Kurbelwelle muss anders konstruiert werden, dazu brauchst du eine oder sogar zwei Ausgleichswellen. Das bringt mehr Masse und innere Reibung. Wegen der höheren Drehmomentspitzen müssen Primärantrieb und Getriebe verstärkt werden.»

Trotz dieser erheblichen Nachteile fühlen sich die Fahrer mit Big-Bang wohler.
 
swissauto-500-Konstrukteur Urs Wenger wundert sich über das Empfinden mancher GP-Stars. «Wir waren die einzigen, die am bestehenden V4-Motor umbauen konnten. Denn unsere Kurbelwelle war in der Mitte getrennt. Wir brauchten sie nur zu verdrehen, das Ausgleichsgewicht umzuhängen und den Zündgeber für die zweite Zylinderbank zu versetzen, schon hatten wir eine Big-Bang-Version. Allerdings haben wir nie bei einem Fahrer Unterschiede in der Rundenzeit gesehen.»

Tatsächlich schwenken die Werke seit 15 Jahren pausenlos vom Screamer auf Big-Bang – und wieder zurück. Wenger: «Nach der ersten Big-Bang-Mode haben die Japaner alle wieder auf den früheren Standardmotor umgestellt. Er wurde Screamer getauft – und war plötzlich wieder hip!»

Wenger zweifelt bis heute am Nutzen der Big-Bang-Technik. «Die Idealvorstellung eines Big-Bang wäre, wenn die ungleichmässigen Zündpulse der Kurbelwelle in unverfälschter Form ans Hinterrad weitergeleitet würden», meint der Schweizer. «Dann würde in der idealen Welt das Hinterrad ungleichmässig beschleunigt und verzögert. Bei einem Zündpuls würde der Reifen kurz durchgerissen, um danach in der langen Pause bis zum nächsten grossen Zündpuls (eben Big-Bang) wieder Grip zu fassen. Dieses Zündkonzept soll ein kontrolliertes Sliden des Hinterrads bewirken.»

Nun dreht sich aber das Hinterrad durch die enorme Untersetzung zwischen Kurbelwelle und Hinterrad (Primärtrieb, Getriebe, Ritzel-Kette) etwa fünfmal langsamer als die Kurbelwelle. Das heisst: Der Effekt wird um den Faktor 5 reduziert. Dazu kommt, dass in der Kupplung wie auch im Hinterrad Gummi-Antriebsdämpfer montiert sind. Am Schluss kommt noch der wulstige Reifen ins Spiel, der nochmals als Dämpfer wirkt. Wenger: «Mit all der Untersetzung (Verkleinerung des Effektes) sowie mit all den Gummidämpfern dazwischen bleibt vom Big-Bang-Effekt kaum etwas übrig. Wir haben das erprobt. Wir sind in der 500er-WM nur mit Screamer-Konzept gefahren. Doohan hat 1997 als Erster wieder vom Big-Bang auf Screamer umgestellt und alles gewonnen. Danach haben alle andern japanischen Hersteller wieder auf Screamer gewechselt.»

«Der Big-Bang vermittelt durch die unregelmässige Zündfolge dem Fahrer das Gefühl, der Motor drehe wesentlich tiefer», erklärt Urs Wenger. «Dadurch haben Cadalora und Co. gemeldet, der Big-Bang gehe unten raus viel besser, drehe aber oben nicht. In Wahrheit lief er auf den Newtonmeter und PS gleich wie der Screamer. Er hat nur anders geklungen und mehr vibriert. Seit Ben Spies vom Yamaha-Super-bike-Team weg ist, greift komischerweise der phänomenale Vorteil der Big-Bang-Kurbelwelle nicht mehr. Ob immer noch der Fahrer und das Chassis wichtiger sind?»
 

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