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Totgesagte leben länger: Die Zweitakter kehren zurück

Kolumne von Thoralf Abgarjan
Das Hubraum-Privileg der Viertaktmotoren wird ab dieser Saison für die EMX-250 aufgehoben. In der EMX gilt somit wieder die frühere Hubraumklasse. Werden wir künftig wieder mehr Zweitakter auf der Rennstrecke sehen?

Am 16. April 2017 findet im italienischen Maggiora der erste Lauf der Europameisterschaft EMX-250 statt. In dieser Klasse wird es eine entscheidende Veränderung geben: Das Hubraum-Privileg für Viertakter wird ab diesem Jahr aufgehoben. Das beschlossen FIM und Serienvermarkter Youthstream bei einer Konferenz im letzten Herbst. Motorräder mit einem Hubraum bis 250 Kubikzentimeter werden zum Start zugelassen, Zweitakter und Viertakter gleichberechtigt - ohne Hubraumvorteil für Viertakter.

Wegweisende Veränderung in der EMX-250
Diese Veränderung könnte wegweisend sein. Die EMX dient offenbar als Versuchsballon. Sollte sich das neue und gleichwohl alte Konzept bewähren, könnte das Beispiel Schule machen und auch in der WM angewendet werden. Die dänische Föderation hat übrigens für die nationalen Meisterschaften bereits das Hubraum-Privileg für Viertakter abgeschafft.

Was bedeutet das Hubraum-Privileg für Viertakter?
In der Klasse MXGP/MX1 werden Motorräder bis 250 ccm Hubraum zugelassen, wenn es sich um Zweitakt-Motoren handelt. Viertakter dürfen in dieser Klasse maximal 450ccm Hubraum haben. In der Klasse MX2 beträgt die Hubraum-Limitierung 125ccm für Zweitakter und 250ccm für Viertakt-Motoren. Das Hubraum-Privileg der Viertakter besteht darin, dass man ihnen wesentlich mehr Hubraum zubilligt, um gegen die Zweitaktmotoren konkurrenzfähig zu sein.

Wann und warum wurde das Viertakt-Privileg eingeführt?
Das Privileg der Viertakter reicht bis in die 1980er-Jahre zurück und hat eine Vorgeschichte, die eng mit europäischen Industrieinteressen verbunden ist. Nach den WM-Erfolgen von Paul Friedrichs (1966-68) hatte sich die Motocross-Welt nachhaltig verändert. Zweitakter dominierten über Jahrzehnte das Geschehen der Szene in sämtlichen Klassen. Nur in der 500er Klasse tauchten vereinzelt Viertakter auf, wie die KTM 504 MXC aus dem Jahre 1983, die mit einem Rotax-Motor ausgestattet war. Auch Husqvarna hatte zu jener Zeit einen Viertakter am Start. 

1993: Jacky Martens, erster Viertakt-Weltmeister der Neuzeit
1992 fand in Columbus (Ohio) ein FIM Kongress statt, der die 500er-Klasse für Viertakter bis 650ccm öffnete. Noch im selben Jahr startete der Belgier Jacky Martens mit der Husqvarna 610 in der 500er Klasse und wurde 1993 auf der Viertakt-Maschine Weltmeister

Husqvarna wurde 1987 an Cagiva/MV Agusta verkauft. Einige der verbliebenen Husqvarna-Ingenieure gründeten ihrerseits Husaberg, die sich von Anfang an auf die Entwicklung hubraumstarker Viertakter konzentrierten. Husaberg agierte mit dem Marken-Slogan '4 stroke force'. Als Joël Smets 1995 zum Hauptprotagonisten in der 500er-Klasse aufstieg, war der 'Dampfhammer' von Smets anfangs noch ein müde belächelter Exot im Zweitakt-Feld. Doch der unglaubliche Schub, den sein Viertakt-Motor aus dem Drehzahlkeller entwickelte, das enorme Drehmoment und die damit verbundene Beschleunigung hauchte der Szene buchstäblich neues Leben ein.

Yamaha als Viertakt-Pionier der Moderne
Als Yamaha in den späten 1990er Jahren mit Andrea Bartolini mit einer Viertakt-Yamaha auftauchte (die YZ400F), die das Hubraumprivileg nicht nutzte und 1999 den 500er WM-Titel gewann, kam Dynamik in die technische Entwicklung des Motocross. Das Problem bestand darin, dass die 500er-Klasse ihren Nimbus als 'Königsklasse' verloren hatte, da die leichteren, wendigeren und in ihrer Kraftentfaltung geschmeidigeren Zweitakt-250er schon ab den 1980er Jahren schnellere Rundenzeiten erzielten als die ruppigen und brutalen 500er-Zweitakter. Auch schienen die Motorenkonzepte der Zweitakter ausgereizt zu sein, was aber aus heutiger Sicht ein großer Irrtum war. Die modernen Zweitakter profitieren auch von der Weiterentwicklung der Viertakter: Stichwort Einspritztechnologien, Einsatz von Schwungmassen, Resonanzauspuffsysteme usw.

Yamaha experimentierte in den späten 1990er Jahren mit verschiedenen Hubraumgrößen. Andrea Bartolini wurde auf der Yamaha YZ400F im Jahre 1999 Weltmeister. Die YZ426F setzte wieder auf mehr Hubraum, was auf den Motocross-Strecken noch besser funktionieren sollte.

Die Yamaha-Ingenieure fanden dabei heraus, dass sich für Viertaktmotoren Hubraumgrößen zwischen 400 und 500 ccm als optimal erwiesen, um gerade auch gegen die schnellsten 250er Zweitakter ihrer Zeit konkurrenzfähig zu sein. Die YZ400F hatte zudem den Vorteil, dass sie bis zu 12.000 Umdrehungen pro Minute schaffte, was für Viertakter extrem hochtourig ist.

Yamaha wollte ihren Viertakter aber natürlich auch verkaufen, besonders auf dem wichtigsten Markt der Welt, den USA. Das neue Viertakt-Bike musste unbedingt im US-Supercross starten und erfolgreich sein. Vor diesem Hintergrund setzte Yamaha 1997 das Hubraumprivileg auch für die Supercross-WM durch.

Doug Henry gewann in der Saison 1997 beim Finale der Supercross-WM in Las Vegas erstmals auf einer Viertakt-Yamaha und lieferte den Nachweis, dass ein Viertakter mit Hubraum-Privileg gegen die 250er Zweitakter bestehen konnte.

Einzug der modernen Viertakter in die WM
Als Mickaël Pichon 2001 und 2002 auf einer Zweitakt-Suzuki Weltmeister wurde, bollerte Stefan Everts bereits auf der Viertakt-YZ500 FM zum 500er-WM-Titel. Seine Maschine war mit einem Fünfganggetriebe ausgestattet, die vom Belgier aber überwiegend im dritten Gang bewegt wurde. Die Werks - YZ500 FM von Everts hatte allerdings mehr Hubraum als 500 ccm und nutzte daher das Hubraum-Privileg . Wie viel Hubraum diese Maschine tatsächlich hatte, verschweigt Yamaha bis heute als Betriebsgeheimnis.

Honda zieht nach
Der Nachweis der Konkurrenzfähigkeit moderner Viertakter mit Hubraum-Privileg war durch Martens, Smets, Henry und Everts also endgültig erbracht. So begann auch Honda mit der Entwicklung eines Viertakt-Konzepts: 2002 wurde die erste Viertakt-Honda CRF-450 vorgestellt, die leichter, schmaler und handlicher sein sollte als die Yamaha sowie weniger unerwünschte Motorbremswirkung aufwies.

Der Kampf der Titanen und Konzepte
2003 war für die WM das entscheidende Jahr. Die Hubraumklassen 125ccm, 250ccm und 500ccm wurden für Viertakter entsprechend 250ccm, 450ccm und 650ccm 'aufgebohrt' und umbenannt. Die ehemaligen Hubraumklassen hießen fortan MX2, MX1 und MX3.

Jetzt kam es zum Showdown zwischen Pichon auf der 250ccm-Zweitakt-Suzuki und Stefan Everts auf der 450ccm-Viertakt-Yamaha in der Premium-Klasse MX1.
Das Duell ging zu Gunsten von Everts aus und rüttelte nun auch alle anderen Motorenhersteller wach. KTM hatte zuvor schon Joël Smets von Husaberg abgeworben, um die eigene Entwicklungsarbeit an den eigenen Viertaktmotoren voranzutreiben. Suzuki und Kawasaki legten nach und bildeten in der Motorenentwicklung sogar eine gemeinsame Allianz, um verlorenes Terrain wettzumachen.

Suzuki veröffentlichte schließlich 2005 mit der RM-Z450 ihren ersten Viertakter, 2006 folgte mit der RM-Z250 die erste MX2-250er Viertaktmaschine, die in der MX2-WM eingesetzt wurde und deren Nachfolgemodell Ken Roczen wenige Jahre später in der WM bewegen sollte.

Es war auch 2006, als Suzuki im Talkessel ihre ersten Viertakt-Cross-Bikes vorstellte. Youngster Ken Roczen wurde von seinem Mentor, dem damaligen Suzuki-Verkaufsleiter Bert Poensgen für ein paar Proberunden eingeladen. Kenny war damals gerade 12 Jahre alt, musste auf die große 250 RM-Z250 gehoben werden, weil er viel zu kurze Beine hatte, die Maschine selbst zu halten. Einmal durch Anschieben in Gang gesetzt, ließ er das für ihn völlig unbekannte Viertakt-Bike derart um den Talkessel fliegen, dass man sah, dass dieser Junge wohl mit jedem Vehikel fahren konnte, das nur zwei Räder hat.

Wie kam es zur Durchsetzung des Hubraum-Privilegs?
Die Motorradindustrie wollte Viertakter auf den Rennstrecken sehen, weil sich Viertakter bei Straßenmotorrädern seit Langem durchgesetzt hatten - insbesondere bei Motorrädern mit größerem Hubraum. Als 'offizielle Begründung' wurden auch Umweltschutzgründe genannt, denn der Zweitakter hat durch das verwendete Kraftstoff-Öl-Gemisch prinzipbedingt auch eine Öl-Emission. Für die Motorradhersteller war der Übergang vom Zweitakter zum Viertakter aber natürlich auch ein Goldesel, eine willkommene Gelegenheit, höherpreisig zu verkaufen. Die Preise für handelsübliche Sportmotorräder haben sich durch den Konzeptwechsel im Laufe der Jahre mehr als verdoppelt. Natürlich zogen auch die verbliebenen Zweitakter im Preis nach, auch wenn sie bis heute wesentlich günstiger geblieben sind. Zum Vergleich: Eine KTM 450SXF (Viertakt) kostet heute 9.545,-, die KTM 250SX (Zweitakt) ist mehr als 1.000 € günstiger und schlägt mit 8.445,- zu Buche.

Ist das Hubraum-Privileg heute noch legitim?
In der Blütezeit der Zweitakter wäre es unmöglich gewesen, innerhalb einer einheitlichen Hubraumklasse konkurrenzfähige Viertakter zu bauen. Das Hubraum-Privileg war notwendig, um moderne Viertaktkonzepte überhaupt im Motocross-Sport etablieren zu können. Inzwischen ist die Entwicklung der Viertakter aber so weit fortgeschritten, dass das Hubraum-Privileg für Viertakter eine echte Benachteiligung der Zweitakt-Motoren darstellt. In der WM tritt seit Jahren kein einziger Fahrer mehr mit einem Zweitakt-Motorrad an. In der Frauen-WM, die auf der MX2-Klasse basiert, finden sich nur noch ein paar vereinzelte 125er-Pilotinnen im 250er-Viertakt-Feld.

Wer stellt heute noch Zweitakter her?
Ausgerechnet Yamaha, der Pionier des modernen Viertakters im Motocross, stellt bis heute Zweitakt-Motocross-Bikes her. Darüber hinaus hat KTM/Husqvarna die Entwicklung der Zweitakter bis heute nicht aufgegeben. Auch TM verkauft weiterhin Zweitakt-Motocross-Bikes.

Fällt das Hubraum-Privileg für Viertakter, wird es wieder interessant, denn eine Zweitakt-250er ist heute noch gegen eine 250er-Viertakt-Maschine voll konkurrenzfähig. Wir werden sehen, wie das neue Reglement von den Piloten der EMX-250 angenommen wird.

Das Drehzahl-Paradoxon
Viele Fans finden Rennen mit Zweitaktmotoren besser und interessanter als Rennen mit Viertaktern. Das hat mehrere Gründe: Ein Zweitakter hat bei jedem Arbeitstakt eine Verbrennung und klingt höher. Schaut man einem Motocrosser auf der Zweitakt-Maschine zu, wirkt seine Bewegung schon beim Zuschauen (und Zuhören) schneller - ein rein psychologischer Effekt. Ein Viertakter wirkt dagegen eher behäbig, weil nur bei jeder zweiten Umdrehung eine Verbrennung stattfindet. Man muss auf die Stoppuhr schauen, um zu glauben, dass das Viertakt-Konzept tatsächlich auch niedrige Rundenzeiten bringt.

Der Charme der Zweitakter
Ein weiterer Charme des Zweitakters besteht im Abgasgeruch: Die Zweitaktmotoren werden prinzipbedingt mit Kraftstoff-Öl-Gemisch betrieben. Bei Rennmotoren kommt in der Regel Öl auf pflanzlicher Rizinus-Basis zum Einsatz, das als angenehm riechend empfunden wird und für viele Fans einen Teil der Motocross-Romantik auf der Rennstrecke ausmacht.

Paul Friedrichs, der Zweitakt-Pionier
In den Anfangsjahren des Motocross gab es - wie heute - ausschließlich Viertakter im Fahrerfeld. Der erste 'Zweitakt-Weltmeister' in der damaligen Königsklasse bis 500ccm wurde Paul Friedrichs im Jahre 1966. Dem ersten deutschen Weltmeister gelang es, mit dem damals revolutionären Zweitakt-Motorenkonzept von 1966-1986 gleich dreimal in Folge den WM-Titel zu gewinnen. Seine Maschine: Die CZ 360. Man konnte es sich also damals schon leisten, die Hubraumgrenze von 500ccm, welche die Viertakter meist in vollem Umfang ausnutzten, nicht komplett auszureizen und setzte zunächst nur auf 360 ccm Hubraum. Ab dem Jahr 1967 wurde Friedrichs Maschine auf 380 ccm und später sogar auf 400 ccm aufgebohrt, um mehr Leistung zur Verfügung zu haben, mit der aber nur ein Fahrer vom Kaliber eines Paul Friedrichs effizient umgehen konnte. Damit begann der Siegeszug der Zweitakter, der bis 1993 anhielt und erst durch das Hubraum-Privileg für Viertakter durch Reglementsänderungen beendet werden konnte.

Zweitakter wurden zu benachteiligten Exoten
Durch das Hubraum-Privileg für Viertakter wurden die Zweitakter auf den Motocross- und Supercross-Strecken selten und am Ende zu benachteiligten Exoten. Fällt das Privileg, wird sich dieser Zustand sofort ändern, denn der Zweitakter ist bei gleicher Hubraumgröße nicht nur voll konkurrenzfähig, sondern kann für manche Fahrer auch reale Vorteile bringen.

Dennis Ullrich auf der Zweitakt-KTM
Am kommenden Wochenende wird Dennis Ullrich beim ADAC-Cup in Dortmund übrigens mit einer Zweitakt KTM 250SX in der SX1-Klasse antreten. Seine Kollegen, die auf Viertaktern unterwegs sind, kommen weiterhin in den Genuss des Hubraum-Privilegs. Noch, muss man sagen, denn die Zeitenwende hat begonnen. Die Zweitakter kehren zurück.

Totgesagte leben eben doch länger!


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