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Michael Schumacher: Der Grösste ist unvergessen

Von Mathias Brunner
So geht das auf der ganzen Welt

So geht das auf der ganzen Welt

​​Fünf Jahre nach dem Skiunfall von Michael Schumacher: Das deutsche Formel-1-Idol bleibt unerreicht – und die Fans haben ihren Schumi nicht vergessen, wie unsere tägliche Arbeit im GP-Sport beweist.

Es ist eine Szene, die sich weltweit wiederholt, seit diesem unglückseligen 29. Dezember 2013 im Skigebiet von Méribel. Wann immer ich bei meiner Arbeit als Formel-1-Berichterstatter mit jemandem ins Gespräch komme, einem Passagier im Flugzeug vielleicht, einer Rezeptionistin im Hotel, einem Kellner im Restaurant, einem Taxifahrer, und die Menschen erfahren, dass ich in der Formel 1 tätig bin, so lautet die folgende Frage unweigerlich: «Sagen Sie, können Sie mir vielleicht sagen, wie es Michael Schumacher geht?»

Die Wahrheit lautet: Nein, ich kann es nicht, es tut mir leid. Nur die Familie und der engste Freundeskreis könnte es. Sein langjähriger Wegbegleiter Ross Brawn sagt: «Die Familie Schumacher hat sich dazu entschlossen, die Rekonvaleszenz von Michael privat zu halten, und das ist zu respektieren.»

Kein Sport vergisst so rasant wie die Formel 1. Das schnelllebige Grand-Prix-Geschäft lässt wenig Raum für Emotionalität. Aber wenn Menschen leiden, dann rückt die Formel-1-Gemeinde zusammen. Und einige Rennfahrer hinterlassen so tiefe Spuren, dass sie auch dann ein Thema bleiben, wenn wir sie jahrelang nicht mehr gesehen haben.

Es musste 2017 werden, bis der Automobil-Weltverband FIA aus seinem Dornröschenschlaf erwacht ist und für die Besten der Besten unter den Rennfahrern eine Ruhmeshall errichtet hat, eine Hall of Fame, wie das auch in deutscher Sprache genannt werden darf.

Für mich ergab sich dabei eines der aussagekräftigsten Bilder des Formel-1-Jahres 2017 – als sich zahlreiche Formel-1-Champions in der neuen FIA Hall of Fame zum Gruppenbild aufstellten, prangte links über ihnen der Schatten eines GP-Siegers mit Pokal. Dieses Profil: unverkennbar Michael Schumacher.

Mit dem FIA-Präsidenten Jean Todt ist nicht immer gut Kirschen essen. Wer dem Franzosen eine seiner Meinung zufolge unpassende Frage stellt, wird da schon mal wie ein Schulbub runtergeputzt. Das war schon immer so.

Ich kann mich an eine Szene erinnern, als Michael Schumacher nach seinem Beinbruch in Silverstone 1999 pausieren musste. Im Rahmen des Österreich-GP traute ich den damaligen Ferrari-Rennchef Jean Todt zu fragen, wie oft er mit Michael Schumacher in Kontakt stehe. Der Franzose keifte mich postwendend an: «Was glauben Sie eigentlich! Jeden Tag natürlich! Wir sind hier eine Familie!» So als hätte ich ihm unterstellt, seinen Starfahrer vergessen zu haben.

Der hochintelligente Todt kann schnippisch und steinhart werden, wenn ihm etwas gegen den Strich geht. Dann werden die Antworten kurz, die Augen kalt, Verachtung schleicht sich in seine Mimik.

Es gibt aber auch den butterweichen Jean Todt. Vor allem beim Thema Schumacher zeigt der Franzose eine entwaffnende Verletzlichkeit. Wie vor kurzem, als der FIA-Chef enthüllte, dass er den Grossen Preis von Brasilien zusammen mit Michael Schumacher geschaut habe.

FIA-Präsident Jean Todt hat in der goldenen Ära von Schumacher und Ferrari als Teamchef des italienischen Rennstalls gearbeitet. Er war nicht nur der Vorgesetzte von Schumi, er wurde sein Freund. Eine Freundschaft, die bis heute anhält und bei Anlässen wie der Eröffnung der Hall of Fame besonders schmerzt. Todt sagte in Paris: «Wir vermissen Michael. Er kämpft. Dieser Kampf geht weiter. Michael ist ein ganz besonderer Mensch, auch für den Motorsport. Er bedeutet mir viel, er ist mein Freund.»

Auf den emotionalsten Moment an der Seite des grossen Racers angesprochen, blickt Todt auf Suzuka 2000 zurück, als Ferrari dank Schumi erstmals seit 1979 und Jody Scheckter wieder einen Fahrer-Weltmeister feiern durfte.

Todt: «Ich sagte Michael auf dem Siegerpodest – Michael, unser Leben wird nie wieder das gleiche sein. Das war der kraftvollste Augenblick meiner Karriere, dort oben auf dem Podest von Suzuka.»

Ich habe leider nie erlebt, wie die Silberpfeil-Giganten Rudi Caracciola und Bernd Rosemeyer um Siege kämpften, wie Juan Manuel Fangio mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit von Titel zu Titel strebte, wie Jim Clark seine Gegner mit unwiderstehlichen Darbietungen entmutigte. Aber ich hatte das Privileg, Michael Schumacher während seiner kompletten GP-Karriere zu sehen.

Natürlich bleiben einige seiner Siegesfahrten in kraftvoller Erinnerung, wie Spanien 1996 etwa. Es war eine Fahrt, die keiner vergisst, wer dem begnadeten Ausnahmekönner an jenem 2. Juni 1996 zuschauen durfte. Schumacher fuhr förmlich Kreise um die Gegner, in zahlreichen Kurven wählte der Deutsche ganz andere Linien, das hatte er aus dem Kartsport in die Formel 1 mitgebracht.

Am Ende kam Schumi 45 Sekunden vor Jean Alesi ins Ziel, eine Weltreise, nur noch Jacques Villeneuve schaffte es, in der gleichen Runde zu bleiben, der viertplatzierte Heinz-Harald Frentzen war überrundet, Pedro Diniz als Sechster hatte schon zwei Runden Rückstand, alle anderen kreiselten von der Bahn oder schieden durch Defekte oder Kollisionen aus. Regenmeister Rudi Caracciola hatte seinen Nachfolger gefunden. Es war der erste Sieg von Michael Schumacher für Ferrari.

Im Anschluss an den Grand Prix warteten wir alle im Konferenzraum auf Michael Schumacher, aber es kam niemand, nach knapp einer Viertelstunde knallte eine Tür auf und davorstand – der König von Spanien, Juan Carlos I.

Mir ist bis heute nicht klar, wer die grösseren Augen gemacht hat, das Staatsoberhaupt oder die Journalistenschar. Der König trug einen komplett durchnässten Regenmantel, um ihn herum bildete sich langsam eine kleine Pfütze, dann sagte er mit einer lässigen Handbewegung: «Ich habe nichts zu erklären!»

Wir waren alle komplett baff, dann brach Gelächter aus, der König lachte mit und stürmte dann diagonal durch den Raum und verschwand erklärungsfrei durch eine andere Tür.

Es dauerte ungefähr eine halbe Minute, da knallte es erneut in den Angeln, dieses Mal stürmten vier Bodyguards in den Raum, in milder Panik – sie hatten ihren König verloren. «Da lang!» zeigten wir den Königslosen die Richtung, sie stiefelten von dannen.

Und erst dann kamen die ersten Drei, mit dem anderen König von Spanien, Michael Schumacher. Schumi wird sich darüber gewundert haben, wieso wir alle in so guter Laune waren.

Michael Schumacher lebt seit 1996 mit seiner Familie in der Schweiz. Der 91fache GP-Sieger liess sich zunächst in Vufflens-le-Château nieder, ab 2008 in Gland. Aus Deutschland war der Rennfahrer einst weggezogen, weil er dort keine Ruhe mehr fand. «Die Leute spazierten einfach so in unseren Garten», sagte er, als er noch für Benetton Rennen fuhr. Aber auch in Monte Carlo fand er keine Ruhe. Zudem bot dem ausgeprägten Naturmenschen Schumacher Monte Carlo zu wenig Reize. «Zu klein, zu wenig grün», meinte Schumi vor mehr als zwanzig Jahren.

Angesprochen auf das friedliche Leben in der Schweiz erzählte mir Michael Schumacher einmal: «Wenn ich in der Schweiz Brötchen holen gehe, dann gucken die Menschen höchstens einmal, ab und an fragt jemand nach einem Autogramm, das ist alles. Später werden diese Menschen dann zuhause vielleicht sagen: „Rate mal, wen ich heute gesehen habt?“ Aber unsere Familie kann unbehelligt leben. Einmal ging ich mit dem Hund spazieren und traf eine Frau, die ebenfalls mit dem Hund unterwegs war. Wir sind ins Gespräch gekommen, haben über dies oder das gesprochen. Und auf einmal sagte sie zu mir: “Und was manchen Sie so beruflich?“ Sie hatte keine Ahnung, wer ich bin. Das fand ich grossartig.»

Der Wunsch nach Ruhe war auch der Grund für zahlreiche Reisen in die USA, wo die meisten Menschen nicht wussten, wer Michael Schumacher ist. Mit Kumpels entstand der spontane Wunsch, einen NASCAR-Lehrfahrkurs zu machen. Also stellten sich Schumi und seine Kumpels in eine lange Schlange. «Nach einer Weile wurde uns das Warten zu blöd, also sind wir wieder gegangen», verriet mir der Ausnahmekönner. Auf meine Frage, wieso er nicht gesagt habe, wer er sei, meinte Schumi: «Ich wollte mich nicht vordrängeln, das wäre nicht in Ordnung gewesen.» Also haben wir Michael Schumacher nie in einem NASCAR-Auto erlebt. In der Warteschlange hatte niemand den Deutschen erkannt.

Ich kenne nur zwei Piloten, von welchen so gut wie täglich die Rede ist, obschon sie nicht in unserer Mitte weilen, und das gilt für Fans und Fachleute zugleich: Michael Schumacher und Ayrton Senna.

Vielleicht ist dies das wertvollste Zeichen des Respekts, das wir solchen Menschen entgegenbringen können – dass wir sie nicht vergessen.

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