Im MotoGP-Sprint in Jerez krachte es ständig

Sebastian Vettel: Ein Dorn namens Charles Leclerc

Kolumne von Mathias Brunner
Leclerc gegen Vettel in Sotschi 2019

Leclerc gegen Vettel in Sotschi 2019

​Charles Leclerc erwies sich 2019 oft als aufmüpfig, er kritisierte Entscheidungen von Ferrari und liess Sebastian Vettel spüren, dass er nicht klein beigibt. Vettel musste sich klar sein, wo das alles hinführen würde.

Sebastian Vettel wird über 2020 hinaus nicht mehr für Ferrari fahren, mit grosser Wahrscheinlichkeit hängt er den Helm an den Nagel. Denn seine Worte klingen nicht nach heftig loderndem Rennfeuer: «Was in den vergangenen Monaten passiert ist, das hat viele von uns zum Nachdenken angeregt über unsere Prioritäten im Leben. Man braucht Vorstellungsvermögen und eine neue Herangehensweise, um sich auf die veränderte Situation einzustellen. Ich für meinen Teil werde mir nun die Zeit nehmen, darüber zu reflektieren, was mir wirklich wichtig ist, wenn es um meine Zukunft geht.»

Als Vettel über einen neuen Vertrag bei Ferrari nachgedacht hat, spielte es natürlich eine Rolle, dass die Italiener offenbar künftig ganz auf den jungen Charles Leclerc setzen – im Dezember 2019 erhielt der Monegasse einen Vertrag bis 2024. Ferrari setzt auf einen zehn Jahre jüngeren Fahrer.

Krach zwischen dem Platzhirsch und dem jungen Herausforderer war programmiert. Der Zoff begann schon beim ersten 2019er Rennen in Australien, als Leclerc über Funk angewiesen wurde, zum Schluss des Grand Prix bitteschön hinter Vettel zu bleiben. Leclerc hatte später frische Reifen geholt und war der schnellere Mann. Was er am Funk auch der Welt verkündete. Vettel wurde Vierter, Leclerc Fünfter.

In Bahrain fiel Charles (von Pole-Position losgefahren) wegen eines schlechten Starts auf Rang 3 zurück. Zwei Runden lang wurde ihm gesagt, er müsse hinter Vettel bleiben, dann erhielt er freie Fahrt. Leclerc fuhr dem scheinbaren Sieg entgegen, dann liess ihn sein Motor im Stich.

In China lag Leclerc vor Vettel, der Deutsche sagte am Funk, er sei der schnellere Mann, aber nachdem die Plätze getauscht waren, blieb Charles an Seb dran und moniert am Funk patzig: «Was nun?»

In der Quali zum Italien-GP in Monza spendierte Vettel dem jungen Leclerc einen wunderbaren Windschatten (Bestzeit für Charles), dann aber trödelte der Monegasse herum, worauf Vettel die Chance auf Pole entging und zahlreiche Fahrer ihre schnelle Runde gar nicht mehr zu Ende fahren konnten. Vettel schäumte.

In Ferrari begünstigte ein früher Stopp von Vettel, dass er die vor ihm liegenden Leclerc und Hamilton unterschneiden konnte. Nun war es an Leclerc, sich benachteiligt zu fühlen.

In Sotschi wollte Ferrari aus den Startplätzen 1 und 3 von Leclerc und Vettel eine Doppelführung machen, Leclerc sollte Vettel auf der langen Fahrt zu Kurve 2 an Hamilton vorbeiziehen. Würde Sebastian in Führung gehen, so die Abmachung, sollte Vettel später seinen Platz zurückgeben. Was der Heppenheimer dann nicht tat – Leclerc schimpfte am Funk wie ein Rohrspatz. Nach dem Boxenstopp lag Vettel hinten, dann fiel er aus.

Unrühmliches Ende dieser Serie war dann die Kollision in Brasilien. Letztlich war es lediglich eine Frage der Zeit, bis Sebastian Vettel und Charles Leclerc nicht nur verbal aufeinanderprallen würden. Ihr Crash im Brasilien-GP war für Ferrari peinlich, aber er war so absehbar wie der nächste Sonnenaufgang.

Ferrari-Teamchef Mattia Binotto war nicht zu beneiden. Er musste zwei herausragende Rennfahrer unter Kontrolle behalten, welche um die Vormacht bei Ferrari kämpften. Es ist die klassische Situation des etablierten Stars gegen den aufstrebenden Herausforderer. Wir haben das immer und immer wieder erlebt – etwa als Alain Prost 1984 zu Niki Lauda kam und sofort nach den Waden von Niki Lauda schnappte. Der Franzose begann, die Position des Österreichers zu untergraben, auf und abseits der Rennstrecke. Wie sich das anfühlt, hat Prost dann selber zu spüren bekommen, als Ayrton Senna zur Saison 1988 hin zu McLaren kam.

Sebastian Vettel kennt das Gefühl aus jeder Perspektive: Als er 2009 zu Red Bull Racing kam, war Mark Webber dort der erfahrene Mann. Ihre Rivalität war intensiv, um es höflich zu formulieren. 2014 waren die Rollen umgekehrt: Der Australier Daniel Ricciardo kam zu RBR und schloss die Saison prompt vor dem vierfachen Weltmeister Vettel ab.

Egal, welche Beteuerungen wir von den Ferrari-Fahrern danach zu hören erhalten, beide hatten guten Grund, den Anderen mit einer tüchtigen Portion Argwohn zu betrachten. Vettel ist viel zu klug, um nicht zu wissen: Leclerc würde alles dafür tun, ihn vom Thron zu schubsen.

Hinter dem Engelsgesicht des Monegassen steckt ein knallharter Racer.

Leclerc konnte schon aus diesem Grund nicht klein beigeben: Ein aufstrebender Pilot, der sich brav unterordnet, erhält schnell das Etikett der Nummer 2. Das kann sich kein Fahrer in seiner Situation erlauben. Schon gar nicht, wenn er nicht nur Pole-Positions erringt und Rennen gewinnt, sondern aus dem Holz eines Weltmeisters geschnitzt ist.

Kommende Champions winken ihre Stallgefährten nicht höflich vorbei, sie zerstören sie.

Vettel auf der anderen Seite war mit allen Wassern gewaschen. Das wusste auch Leclerc. Der junge Charles meinte nach dem Stallorder-Schlamassel von Sotschi: «Das Vertrauen zwischen uns ist intakt. Und wir müssen uns vertrauen können, das ist ganz elementar für den Erfolg des Teams.»

Doch Leclerc ist kein naiver Dummkopf. Was Charles sagt, ist nicht gezwungenermassen, was Charles denkt.

Leclerc wusste, wie Vettel und Webber damals in der Türkei kollidierten. Leclerc kannte den Multi-21-Skandal von Malaysia – als ein junger Vettel den führenden Webber attackierte, obschon der Kommandostand von Red Bull Racing die Order ausgegeben hatte, die Plätze zu halten. Vettel war das einerlei, er gewann, Mark schäumte, und ihr Verhältnis hat sich davon nie erholt.

Vettel seinerseits wusste, dass ihm die Zeit durch die Finger rinnt. Er steht im sechsten Jahr mit Ferrari, er hat all sein Talent und seine Hingabe investiert, in Rot Weltmeister zu werden, aber das klappte auch 2019 nicht, und es ist gut möglich, dass eines Tages Leclerc von seiner jahrelangen Plackerei profitiert.

Das ist bitter.

Vettel ist klar: Wenn er und Charles das gleiche Stück Asphalt für sich beanspruchen, dann wird Leclerc auch weiterhin nicht vom Gas gehen.

Was den puren Speed angeht, so fährt Leclerc mindestens auf Augenhöhe mit Vettel. Sebastian hat dem jungen Monegassen die Erfahrung voraus. Ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass Vettel der bessere Abstimmer ist. Sein Pech – die Daten liegen bei Ferrari völlig offen. Leclerc kann sich alles angucken, und er lernt verdammt schnell.

Für mich steht seit Brasilien 2019 fest: Dieses Verhältnis ist zerrüttet und musste zwangsläufig dazu führen, dass einer der beiden Ferrari verlässt.

Es war absehbar, wer das sein würde.

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