Morddrohungen wegen Alonso-Strafe

Helmut Marko: «Nicht mehr mit dem Titel gerechnet»

Von Günther Wiesinger
«Mercedes hat beide Safety-Car-Phasen verschlafen», stellte Red Bull-Berater Dr. Helmut Marko fest. Und zum Duell des Jahres: «Es ist schon außerirdisch, was da geleistet wird.»

Nach dem ersten Titelgewinn seit acht Jahren und dem insgesamt 75. Formel-1-GP-Sieg von Red Bull Racing wollte Dr. Helmut Marko in Abu Dhabi mit seiner Genugtuung nicht hinter dem Berg halten. Der Steirer hatte vor dem Start erklärt, man habe alle erdenklichen Strategien überlegt, aber am besten wäre natürlich, wenn Verstappen von der Pole-Position auf und davon fahren und sich hinter ihm Fahrzeuge von McLaren oder Ferrari einreihen würden.

Doch diese fromme Wunsch ging nicht in Erfüllung. Red Bull Racing musste bis zur letzten Runde um den Titelgewinn zittern. «Die Emotionen sind heute schon beim Start hochgegangen. Bei Max haben die Hinterräder im ersten und im zweiten Gang durchgedreht. Dadurch ist der Hamilton nach vorne gekommen. Nachher haben wir gesehen, wir können das Tempo von Mercedes in unserer Reifenkonstellation nicht mitgehen», erklärte Marko. «Dann hat sich Checo Pérez phänomenal eingesetzt. Er hat mitgeholfen, dass sich die Distanz zwischen Hamilton und Max wieder verkürzt hat. Dann war schon klar, dass wir eine andere Strategie wählen müssen. Wir haben uns deshalb für die Zwei-Stopp-Strategie entschieden. Danach wussten wir: Jetzt brauchen wir eine Safety-Car-Phase. Dank Williams und Latifi hat das geklappt. Dann kam wieder einmal eine Aktion der Rennleitung, die entschieden hat, die Überrundeten nicht vorbei zu winken, was im Reglement so nicht vorgesehen ist. Das war die nächste Aufregung. Checo hat dann Öldruckprobleme bekommen, also haben wir entschieden, wir holen ihn rein. Denn in diesem Moment haben wir den Kampf um den Konstrukteurs-Titel aufgegeben. Denn es bestand die Gefahr, dass unser zweites Auto stehen und das Safety-Car deshalb bis zur Zielflagge draußen bleibt. Die Situation ist die ganze Zeit hin und hergegangen.»

Verstappen lag vor der Safety Car-Phase 11 bis 12 Sekunden hinter Lewis Hamilton, der lange wie der sichere Sieger aussah.

Hatte die Red Bull-Mannschaft zu diesem Zeitpunkt bereits die Hoffnung verloren? Dr. Marko: «Nein. Das Safety Car ist für uns zum idealen Zeitpunkt gekommen. Nach all dem Pech, das wir in diesem Jahr schon hatten, musste sich das Glück irgendwann zu unseren Gunsten wenden. Das ist passiert. Und die Entscheidung, während des letzten Boxenstopps von Max auf die Soft-Reifen zu gehen, war goldrichtig. Mercedes hat eigentlich zwei Safety Car-Phasen verschlafen. Dadurch haben sie es uns leicht gemacht, in diese Richtung zu arbeiten.»

2010 hat Red Bull Racing in Abu Dhabi den ersten Fahrer-Titel mit Vettel erobert und dazu erstmals auch den Konstrukteurs-Titel. Wie wertvoll ist dieser Triumph jetzt im Vergleich zu damals nach der langen Durststrecke und ausgerechnet beim Abschieds-GP von Honda?

«Dieser Tag heute geht weit über die Emotionen von 2010 hinaus», versicherte Weltmeister-Macher Helmut Marko. «2010 haben wir mit Vettel und Webber zwei Fahrer in der Wertung in den Top-3 gehabt, der Titelgewinn war quasi das Tüpfelchen auf dem i. Das hätte nicht sein müssen. Heute war ganz klar: Was zählt, ist der WM-Titel. Wir haben so hart darauf hin gearbeitet in dieser Hybrid-Ära, mit dieser unglaublichen Motoren-Überlegenheit von Mercedes. Wir haben dann den Wechsel von Renault zu Honda vollzogen und sind mit unserem neuen Motoren-Partner auf einen Stand gekommen, auf dem wir Mercedes gefährden konnten.»

«Im Winter kam von Honda die Devise: Ihr müsst am Chassis alles rausholen, damit Max den Titel gewinnen kann», ergänzte der Österreicher. «Wir haben ja im Vertrag mit Max auch gewisse Klauseln, wie er in der WM abschneiden muss, damit wir ihn behalten können. Unser ganzes Paket war also auf den Sieg ausgelegt. Wir waren in der ersten Saisonhälfte stark, aber nachher sind die Rückschläge in Silverstone und Budapest gekommen. Da sind mehr oder weniger beide Autos draußen gewesen. Aber wir haben uns immer wieder zurückgekämpft. Doch es passierten weitere Rückschläge, zum Beispiel in Brasilien. Es war viel los. Hamilton hat dann vor dem Finale drei Siege hintereinander geschafft...»

Der 19-Punkte Vorsprung des Niederländers reduzierte sich deshalb vor dem Finale auf null. Deshalb räumte Marko heute am Abend nach dem Abu-Dhabi-GP ein: «Realistisch haben wir nicht mehr mit dem Titelgewinn gerechnet.»

Marko genoss den Triumph und meinte schmunzelnd: «Im nachhinein können wir jetzt behaupten, das Safety-Car nach dem Latifi-Crash haben wir einkalkuliert.»

Marko weiter: «Hamilton wollte in der letzten Runde natürlich dagegen halten, aber wenn du einen Max Verstappen im Nacken hast… Max hat neue Soft-Reifen drauf gehabt, Hamilton war mit 30 Runden alten Hard-Reifen unterwegs. Da war klar, wer die bessere Traktion hat. In Kurve 5 hat Max den Trick gemacht und hat dann in Kurve 6 in der letzten Runde beim 22. Grand Prix die Entscheidung herbei geführt.»

Als Max Verstappen bereits 2016 von Red Bull als Teenager in die Formel 1 geholt wurde, gab es viele Unkenrufe. Doch sie verstummen nach dem ersten Formel-1-Sieg des Niederländers in Barcelona recht rasch.

«Auch die Entscheidung für die Honda-Motoren hat sich längst als ausgezeichnete Wahl bestätigt», frohlockte Red Bull-Berater Dr. Marko, der mit dem Team aus Österreich 2005 in die Formel 1 kam und selbst bis Clermont-Ferrand 1971 Formel-1-Rennen fuhr. «Was uns heute gelungen ist, ist eine Genugtuung. Aber mit unermüdlicher Arbeit, mit den richtigen Leuten und den richtigen Partner, erreicht man das. Wir sind jetzt in eine ganz andere Sphäre vorgedrungen als 2010. So eine achtjährige Dominanz eines Herstellers zu brechen, das bedurfte einer gewaltigen Anstrengung. Hamilton ist ein großartiger Fahrer. Wenn es darauf ankommt, bringt er seine Leistung, dann ist er da! Er kann Qualitäten abrufen, die erstaunlich sind. Da kann nur noch der Max mithalten, der mit seinen Fähigkeiten in einer Qualifying-Runde alles übertünchen kann. Es ist schon außerirdisch, was da geleistet wird. Heute hat alles zusammengepasst. Aber ‚peng‘ – und der Start ist daneben gegangen! In diesem Moment ging unser ganzes Konzept den Bach runter.»

Abu Dhabi-GP, Yas Marina Circuit, 12. Dezember

01. Max Verstappen (NL), Red Bull Racing RB16B-Honda, 1:30:17,345 h
02. Lewis Hamilton (GB), Mercedes W12, +2,256 sec
03. Carlos Sainz (E), Ferrari SF21, +5,173
04. Yuki Tsunoda (J), AlphaTauri AT02-Honda, +5,692
05. Pierre Gasly (F), AlphaTauri AT02-Honda, +6,531
06. Valtteri Bottas (FIN), Mercedes W12, +7,463
07. Lando Norris (GB), McLaren MCL35M-Mercedes, +59,200
08. Fernando Alonso (E), Alpine A521-Renault, +1:01,708 min
09. Esteban Ocon (F), Alpine A521-Renault, +1:04,026
10. Charles Leclerc (MC), Ferrari SF21, +1:06,057
11. Sebastian Vettel (D), Aston Martin AMR21-Mercedes, +1:07,527
12. Daniel Ricciardo (AUS), McLaren MCL35M-Mercedes, +1 Runde
13. Lance Stroll (CDN), Aston Martin AMR21-Mercedes, +1 Runde
14. Mick Schumacher (D), Haas VF-21-Ferrari, +1 Runde
15. Sergio Pérez (MEX), Red Bull Racing RB16B-Honda, +3 Runden
Out
Nicholas Latifi (CDN), Williams FW43B-Mercedes, Crash
Antonio Giovinazzi (I), Alfa Romeo C41-Ferrari, Hydraulik
George Russell (GB), Williams FW43B-Mercedes, Antrieb
Kimi Räikkönen (FIN), Alfa Romeo C41-Ferrari, Getriebe

WM-Stand nach 22 von 22 Rennen

Fahrer
1. Verstappen 395.5 Punkte
2. Hamilton 387.5
3. Bottas 226
4. Pérez 190
5. Sainz 164.5
6. Norris 160
7. Leclerc 159
8. Ricciardo 115
9. Gasly 110
10. Alonso 81
11. Ocon 74
12. Vettel 43
13. Stroll 34
14. Tsunoda 32
15. Russell 16
16. Räikkönen 10
17. Latifi 7
18. Giovinazzi 3
19. Schumacher 0
20. Mazepin 0
21. Kubica 0

Teams
1. Mercedes 613.5
2. Red Bull Racing 584.5
3. Ferrari 323.5
4. McLaren 275
5. Alpine 155
6. AlphaTauri 142
7. Aston Martin 77
8. Williams 23
9. Alfa Romeo 13
10. Haas 0


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