Sebastian Vettel: Ein Mann mit Rückgrat – bis zuletzt
Sebastian Vettel vor der Fahrt mit einem 1922er Aston Martin
Mit einer bewegenden Rede hat Sebastian Vettel erklärt, warum er Ende 2022 seinen Helm an den Nagel hängen wird – der 35-jährige Deutsche will lieber seine Kinder aufwachsen sehen, als noch weiter Energie in die Formel-1-Karriere zu investieren.
Damit bleibt Vettel sich selber treu: Er hat immer ungewöhnliche Entscheidungen getroffen, dabei auf die Menschen gehört, die ihm wichtig sind und letztlich darauf, was er hört, wenn er in sich selber hineinhorcht.
«Ich bin stur und ungeduldig und kann sehr nervig sein», gibt der 53-fache GP-Sieger zu. «54 Siege», pflegt dann der Heppenheimer zu korrigieren. «Denn 2019 in Kanada habe ich gewonnen, nur dass mir danach die Rennleitung den Sieg weggenommen hat.»
Es war eine der wenigen Momente, in welchen ich erlebt habe, dass Vettel wirklich die Fassung verloren hat, damals in Montreal. Die Rennleitung gab ihm eine Fünfsekundenstrafe, er war mit seinem Ferrari kurz neben der Bahn gewesen und hatte sich dann vor Hamilton wieder eingereiht.
Im Parc fermé nach dem Kanada-GP schnappte sich Vettel die Tafel P1 und stellte sie vor seinen Ferrari. Die Bilder gingen um die Welt.
Vettel konnte im Rennen von Leidenschaft übermannt werden, das war einer der Gründe, wieso ihn die Mitarbeiter von Ferrari liebten. Dies und die Tatsache, dass er sich die Mühe machte, italienisch zu lernen.
Vettel konnte also im Rennen viel Feuer zeigen. Dann meldete er sich am Funk und schimpfte: «Blaue Flaggen! Blaue Flaggen!» Wenn einer nicht schnell genug zur Seite ging. Wenn ihm einer auf der Bahn blöd kam, feuerte er ab: «Ehrlich jetzt!»
Sebastian Vettel ist einer der erfolgreichsten Formel-1-Rennfahrer. Nur Lewis Hamilton und sein Vorbild und Freund Michael Schumacher haben mehr WM-Läufe gewonnen. Nur Hamilton, Schumi und Senna haben mehr Pole-Positions erobert. Nur Hamilton hat mehr Punkte eingefahren.
Aber es sind nicht die Zahlen, die Vettel ausmachen, es sind seine Werte: Sich selber gegenüber treu, immer über den Tellerrad des Motorsports hinausblickend, klar in seinen Ansichten, auch wenn die unbequem sind, mit einer vorbildlichen Arbeits-Einstellung – Vettel war immer einer der ersten an der Rennstrecke und einer der letzten, welche die Piste verlassen haben.
Die Mechaniker von Ferrari liebten ihn, weil sie sahen, welche Passion in Vettel lodert, weil sie erkannten, wie wichtig ihm Rennhistorie ist.
Die Mechaniker von Red Bull Racing und Aston Martin liebten ihn, weil sie es mit einem Mann zu tun hatten, der Zitate aus englischen Fernsehserien abfeuerte, «und weil er ein besseres Englisch spricht als Nigel Mansell», wir mir ein Mechaniker einmal lachend gesagt hat.
Wenn Vettel mit einem gelungenen Scherz die Schrauber zujm Lachen bringen konnte, freute er sich verschmitzt.
Aber mit der Zeit ist Vettel in der Formel 1 das Lachen vergangen: Bei Ferrari stand ihm jahrelang Lewis Hamilton vor der Sonne, die Italiener waren nicht imstande, ein übers ganze Jahr über so gutes Auto zu bauen, dass Vettel 2015 und 2017 den Titel hätte holen können, die Liebe zum Deutschen erkaltete.
Bei Aston Martin wurde klar: Es gibt keine Abkürzung zum Erfolg, es wird wohl Jahre dauern, bis die Grünen aus eigener Kraft siegfähig sind. Das wollte sich Vettel nicht mehr antun.
Ein klares Zeichen, dass seine Zeit in der Formel 1 abläuft, war die Fahrerbesprechung am Red Bull Ring: Als die Diskussion zu langatmig wurde, stand Vettel auf und ging. Dafür wurde ihm später eine Strafe von 25.000 Euro aufgebrummt, die bis zum Saisonende zur Bewährung ausgesetzt ist.
Vettel hat im Grunde die Geduld mit der Formel 1 verloren, andere Themen sind ihm wichtiger geworden. Thema wie Gleichheit, Freiheit bei sexueller Ausrichtung, Umweltschutz. Nur Lewis Hamilton hängt sich bei solchen Themen so mit Herzblut rein wie der Deutsche.
Welcher andere Fahrer wäre am Abend nach einem britischen Grand Prix auf eine Tribüne gegangen, um Abfall aufzuklauben?
Welcher andere Fahrer hätte die Fahrer zusammengetrommelt, um einen Protest gegen den russischen Einmarsch in der Ukraine zu veranstalten?
Welcher andere Fahrer hätte Sky-Reporter Ted Kravitz zusammengestaucht, als der ein Reglement-Detail mit einem Stück Käse veranschaulichen wollte? Vettel damals: «Musstest du dafür wirklich Lebensmittel verwenden? Hätte es ein Stück Karton nicht auch getan?»
In Ungarn 2021 zeigte er mit Regenbogen auf Schuhen, Helm und einem T-Shirt kraftvolle Verbundenheit mit der LGBTQ-Gemeinde und sprach sich mehrfach gegen eingeschränkte Rechte in Ungarn aus. «Jedem Menschen sollte es erlaubt sein, zu lieben, wen immer er will. Ich verstehe nicht, wieso wir heute über so etwas überhaupt noch diskutieren müssen.»
Solche Anliegen sind Sebastian Vettel wichtiger geworden als Untersteuern, abbauende Reifen oder das mangelnde Ansprechverhalten seines Motors.
Es war auch Zeichen des Abschieds, wie Vettel sichtlich Spass hatte, in Silverstone einen 1992er Williams oder in Le Castellet einen 1922er Aston Martin zu fahren. Da leuchteten die Augen von Sebastian wie bei einem Kind zu Weihnachten.
Die ganze Plackerei in der Formel 1, mit wenig Aussicht, dass Aston Martin so bald beginnen wird, Rennen zu gewinnen, das will sich Vettel nicht mehr antun.
Vettel sagt: «Neben dem Rennsport habe ich eine Familie und schätze die gemeinsame Zeit. Weiter habe ich viele andere Interessen. Meine Leidenschaft für die Formel 1 geht einher mit einem hohen Zeitaufwand. Zeit, die ich mit meiner Familie verbringen möchte.»
«Die Energie, die es braucht, um mit dem Auto als auch dem Team eins zu werden, erfordert Konzentration und Anstrengung. Mich der Formel 1 so zu widmen, wie ich es in der Vergangenheit getan habe, wie ich es für richtig halte und ein guter Vater und Ehemann zu sein, passen für mich nicht mehr zusammen.»
«Meine Ziele haben sich verändert: weg von Rennsiegen und um Meisterschaften zu kämpfen, hin zu meinen Kindern. Ich möchte sie aufwachsen sehen, ihnen meine Werte weitergeben, ihnen zuhören und mich nicht mehr verabschieden müssen.»
Ende November 2022 muss er das nicht mehr tun: Abu Dhabi wird sein letzter Formel-1-Einsatz.