Peter Wright verstorben: Pionier der Flügelautos

Von Mathias Brunner
​Immer wieder sagen Formel-1-Fans: Der legendäre Lotus-Gründer Colin Chapman sei der Erfinder der Flügelautos gewesen. Nur: Das stimmt so nicht. Wir erinnern an Peter Wright, der Anfang November verstorben ist.

Die modernen Formel-1-Rennwagen sind so genannte Flügelautos – also Rennwagen, die mit umgekehrten Flügelprofilen und dank Venturi-Effekts eine Saugnapfwirkung erzeugen. Für viele GP-Anhänger ist der unvergessene Lotus-Gründer Colin Chapman Erfinder dieser Flügelautos. Aber wie so vieles in der Königsklasse ist das mindestens unvollständig, wenn nicht falsch.

Denn nicht nur, dass Chapman nicht der erste Mann war, der mit umgekehrten Flügelprofilen experimentierte, Colin entwarf auch die legendären Lotus 78 und 79 nicht selber. Einer seiner Mitstreiter war damals der Aerodynamiker Peter Wright, der Anfang November im Alter von 79 Jahren verstorben ist.

Wir holen ein wenig aus.

Schon 1928 hatte Fritz von Opel an seinem RAK2-Raketengefährt links und rechts des Cockpits zwei umgekehrte Flügelprofile montiert. Wirkung: überschaubar.

Rund 30 Jahre später verblüffte Michael May am Nürburgring 1956 mit einem riesigen Flügel an seinem privaten Porsche 550 Spyder. Der Schweizer Ingenieur konnte den Flügel sogar verstellen. Als May im Training schnellere Zeiten hinlegte als Fahrer vom Kaliber eines Juan Manuel Fangjo oder Jean Behra, hatte Porsche-Rennleiter Huschke von Hanstein genug gesehen – er protestierte. Woraufhin das Rennkommissaren-Gremium die Neuheit als «unsicher» einstufte und kurzerhand verbot.

Der nächste helle Kopf, der mit dem Flügel-Konzept spielte, war Jim Hall mit seinen legendären Chaparral-Rennern.

Der Heilige Gral des Texaners hiess Netto-Abtrieb. Fast mit all seinen Chaparral-Rennwagen war der Amerikaner darauf bedacht, seine Wagen auf den Boden zu pressen – sei dies mit Flügelprofilen oder jenem Staubsauger-Auto namens 2J, das selbst Ausnahmekönner wie Jackie Stewart oder Vic Elford nicht an die Grenze des Machbaren bringen konnten. Stewart sagt noch heute: «Kein Rennwagen hat mich mehr beeindruckt als dieser, die Grenze des Autos war der Fahrer.»

Jahre später hat der geniale Gordon Murray dieses Konzept mit dem Kult-Rennwagen Brabham-Alfa auf die Bahn gebracht, von den meisten Fans Staubsauger genannt (der Rennwagen, nicht Gordon).

1968 spürten auch Formel-1-Techniker Lust auf Geflügel: Brabham und Ferrari pröbelten zur gleichen Zeit damit herum, Jacky Ickx gewann prompt den Frankreich-GP in Rouen mit einem kleinen, mittschiffs angebrachten Flügel (ebenfalls verstellbar).

Nun gab es kein Halten mehr. Die Abtriebs-Erzeuger wurden grösser und grösser, die Stützen länger und länger, das Unvermeidliche geschah: Beim Spanien-GP 1969 in Montjuich (Barcelona) brachen an beiden Lotus die Heckflügel-Streben, Graham Hill und später Jochen Rindt krachten in die Leitschienen.

Worauf der Motorsport-Verband die Notbremse zog und die Flügel in dieser Form verbot.

Natürlich liessen sich die Techniker etwas anderes einfallen: die Flügel kehrten zurück, zunächst in kleinerer Form, später wieder grösser, der Trend war nicht mehr zu stoppen und wurde nach und nach ins Reglement eingewoben. Heute sind Front- und Heckflügel in der Formel 1 so normal wie Rennreifen.

Zurück in die Zeit Ende der 60er Jahre, als nicht nur Brabham und Ferrari mit Flügeln experimentierten. Abseits neugieriger Augen stellte ein junger Mann namens Peter Wright ein Modell in den Windkanal, einen Versuchsträger, der eigentlich zum Rennwagen BRM P142 hätte werden sollen.

Das 1969er Modell von Wright war seiner Zeit weit voraus und wurde zu einem jener Formel-1-Fahrzeuge, die nie gebaut wurden. Als der Techniker Tony Rudd BRM Richtung Lotus verliess, behielt er Wrights clevere Idee im Hinterkopf.

Colin Chapman holte Rudd zu Lotus, weil er die vielseitigen Talente von Tony erkannt hatte und für seine Serienfahrzeug-Abteilung nutzen wollte; Rudd wiederum wollte Wright holen, weil er ihn für einen der hellsten Köpfe unter den jungen Ingenieuren hielt.

Doch Peter Wright war inzwischen zum jungen March-Rennstall gezogen, wo er sich um die Aerodynamik jenes March 701 kümmerte, der an den Flanken umgekehrte Flügelprofile aufwies. Die funktionierten nicht nachhaltig, weil die Luft ziemlich frei seitlich abfliessen konnte.

1976 wechselte Rudd ins F1-Rennteam von Lotus, und er machte sich bei Chapman dafür stark, endlich Peter Wright zu verpflichten.

Nun war die Zeit reif für ein waschechtes Flügelauto, weil inzwischen der Saugnapfeffekt besser verstanden wurde und weil jetzt Materialien vorhanden waren, um das seitliche Abfliessen der Luft zu verhindern, die so genannten Schürzen kamen an die Seitenkästen.

1977 tauchte mit dem Lotus 78 erstmals ein Wagen auf, die unter den Seitenkästen ein umgekehrtes Flügelprofil hatten. Der dadurch gewonnene Anpressdruck führte zu wesentlich höheren Kurvengeschwindigkeiten als bei einem herkömmlichen Formel 1. Mit dem der Weiterentwicklung dieses «wing cars», dem Lotus 79, wurde Mario Andretti 1978 Weltmeister, es war der letzte Titel für Chapman.

Es lag auf der Hand, dass einige Einfälle nicht nur die Konkurrenz vor den Kopf stiessen, sondern auch die – ab und an ziemlich überforderten – Rennkommissare und Regelwerk-Stricker. Nie traf das mehr zu als beim umstrittenen Lotus 88. Es war vielleicht jenes Projekt, das Chapman den Glauben an die Formel 1 verlieren liess.

Chapman und seine Mitdenker Peter Wright, Tony Rudd und Martin Ogilvie standen vor einem Problem: Der Lotus 78 hatte als erstes richtiges Wing-Car den Trend gesetzt, im Typ 79 konnte Mario Andretti in der Saison 1978 den WM-Titel erobern. Aber dann schoss Lotus übers Ziel hinaus, der Lotus 80 – grundsätzlich ein Flügel als Auto – war zwei Schritte zu weit gedacht und funktionierte nicht, weil sich die Anpresszone nicht sauber versiegeln liess.

Die Gegner hatten inzwischen nicht geschlafen und das Prinzip verfeinert, der Automobilverband hatte gleichzeitig die Schürzen verboten, jene Elemente also, welche seitlichen Luftabfluss bei den Flügel-Elementen in den Seitenkästen verhindern sollten.

Chapman & Co. wussten: Nun musste dringend ein Innovations-Schub her.

Also liessen sie sich ein Auto einfallen, das zwei Chassis-Einheiten mit je einer Aufhängung aufwies. Das innere Chassis (Fahrerzelle und Motor) war verhältnismässig komfortabel gefedert; das äussere Chassis (komplette Verkleidung, einschliesslich Schürzen aus Keramik) hingegen sehr hart. Hintergrund: Mit zunehmendem Tempo, also grösserer aerodynamischer Last, sollte es zu Boden gepresst werden, zur Seite abdichten, und – voilà! – schon haben wir wieder ein Flügelauto, wie es auch wirklich funktionieren sollte.

Der entscheidende Knackpunkt im Reglement: Aus dem Original auf Französisch ging nicht hervor, ob mit «Chassis» nur die Einzahl gemeint war oder das auch als Mehrzahl verstanden werden konnte.

Es begann ein endloses Theater: Vier Mal wurde das Auto von den lokalen Rennkommissaren als legal eingestuft, vier Mal schritt die Motorsportbehörde (damals FISA) ein und untersagte den Einsatz, weil sie das zweite Chassis als (verbotene) bewegliche aerodynamische Hilfe ansahen. Nigel Mansell und Elio de Angelis, die den 88er angenehm zu fahren fanden, waren jeweils gezwungen, auf den Typ 87 umzusatteln.

Beim Heimrennen in Silverstone wurde Chapman mitgeteilt, falls er nochmals seinen Kopf mit dem Doppel-Chassis-Wagen durchzusetzen gedenke, würde man ihn aus der Weltmeisterschaft werfen. Das Auto hat nie einen WM-Lauf bestritten. Chapman hat das den Behörden nie verziehen. Und Peter Wright war tief enttäuscht, wie pfiffige Lösungen abgemahnt werden.

Peter Wright machte sich auch als einer der Vorreiter bei der Entwicklung der aktiven Radaufhängung einen Namen, also einer elektronisch gesteuerten Aufhängung, die alle Bodenunebenheiten in Sekundenbruchteilen kontert. Er arbeitet bei Lotus darüber hinaus mit dem jungen Mika Häkkinen.

1994 verliess Wright Lotus, um einen beratenden Job beim Autosport-Weltverband FIA anzunehmen. Er war jahrelang auch Leiter der Sicherheitskommission.

Peter Wright gehört zu jenen Dutzenden Technikern, die den meisten Fans wenig bis gar nicht bekannt sind, die aber den Sport geprägt haben.


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