Alles ist so weit in bester Ordnung
Romain Grosjean ist eine Reizfigur – und das ist gut so.
An dieser Stelle habe ich viele Menschen durch den Kakao gezogen und einige pfiffige Formulierungen platziert. Aber lassen wir zum WM-Finale die Flachserei mal beiseite.
War das nicht eine tolle Saison? Fernando Alonso alleine war das Eintrittsgeld wert: Wer anders hätte aus einem Gaul ein echtes Rennpferd gestählt?
Kimi Räikkönen hat bewiesen, dass Comebacks auch erfolgreich sein können. Wenn der Finne das Salz in der WM-Suppe war, dann ist Romain Grosjean der Pfeffer: Klar waren einige seiner Aktionen hirnrissig, aber die ganze Welt hat davon geredet. Reizfiguren gehören auch zur Formel 1.
Nico Rosberg hat in China seinen ersten Grand Prix gewonnen. Nach dem Shanghai-GP traf ich ihn am Flughafen von Dubai, mutterseelenallein, wie er sein Gepäck vom Förderband zerrte und sich dann am Mietwagenstand brav in die Reihe stellte. Möchtegern-Stars mit weniger Kinderstube hätten da schon ihre Entourage zusammengestaucht.
Pirelli erhält von mir die Bestnote: Die Italiener haben – besonders in der ersten Saisonhälfte – durch eine gewisse Unberechenbarkeit ihrer Walzen fantastischen Sport ermöglicht.
Wir waren in Bahrain erleichtert, nicht in einem Bürgerkrieg zu landen. Indien ist mir nicht lieber geworden, nachdem sich ein langjähriger Kollege dort Malaria eingehandelt hat. Wir staunen noch immer wie Kinder über die Macht der Nacht von Singapur und den Prunk von Abu Dhabi, und die Rückkehr in die USA hat den Selbstwert-Anspruch der Amerikaner bestätigt: bigger, better, Texas.
Das gleicht den weniger glamourösen Teil aus: durchgearbeitete Nächte, verschleppte Erkältungen, die Jagd nach Insekten aller Art, fragile Leitungen.
Auf der Fahrt von Austin nach Houston habe ich meine Brieftasche verloren. In Brasilien erhielt ich eine E-Mail von einem gewissen Achim aus Texas. Er habe den Geldbeutel im Mietwagen gefunden, meinen Namen gegoogelt, die Börse mit FedEx zu mir nach Hause geschickt und wolle mich nur wissen lassen, dass so weit alles in bester Ordnung sei.
Damit ist mir nach 20 Rennen endgültig klar: Die Formel 1 ist in einem sportlich guten Zustand, und es gibt noch ehrliche Menschen auf der Welt.
Mit diesem Saisonfazit kann ich gut leben.