Formel 1: Aus für Perez bei Red Bull Racing

Fernando Alonso: Grosse Saison, kleine Rätsel

Von Peter Hesseler
Alonso kann Vettel in Indien nicht halten

Alonso kann Vettel in Indien nicht halten

Weltmeister-Serie Teil 4: Wie Fernando Alonso mit Ferrari zur Macht wurde – und wieso beide nicht durchhielten.

Fernando Alonso und die Scuderia müssen ihre Niederlage verarbeiten. Sebastian Vettel und Red Bull Racing haben den Roten schon wieder im Endspurt den Titel geklaut. Wie 2010 in Abu Dhabi.

Wie 2010 war Alonso in Einheit mit seinem Auto über weite Strecken die stärkste und konstanteste Kombination im Feld. Und musste sich am Ende dem schieren Tempo des Gegners beugen. Und ein wenig auch sich selbst.

«Wir werden stärker zurückkehren», kündigt Teamchef Stefano Domenicali an. Aber das ist Geplauder. Das sagen alle Verlierer. Dabei wäre es nötig, denn leichter wird es in der Formel 1 nie. Das wird Ferrari vor allem in der nächsten Saison feststellen.

Red Bull Racing ist ein Express, der unaufhaltsam und unerschütterlich auf Erfolgskurs zu liegen scheint. Und die Scuderia kann sich auch nicht sicher sein, dass McLaren noch weitere Weltmeisterschaften durch Fehler und Standfestigkeitsmängel abschenkt, wie 2012. Denn dort wächst der Erfolgsdruck gleichermassen wie in Maranello. Beiden fehlen die Titel, die Red Bull Racing nun in Serie einfährt.

Ferrari war gut. Aber nicht nur in technischer, auch in taktischer Hinsicht haben wir bei den Roten keine Perfektion gesehen. Nach der Sommerpause, als Alonso scheinbar komfortabel auf Titelkurs lag, fehlte es seiner Führungsriege mehrfach bei strategischen Entscheidungen an Mut.

Alonso selbst muss sich wenig vorwerfen. Der Asturier holte 278 Zähler, mehr als das Doppelte des Teamkollegen Felipe Massa.

Er greift 2012 mit beiden Händen nach jeder Gelegenheit: In Melbourne Start als Zwölfter, im Ziel Rang 5.  In Malaysia gewinnt er im Regen, während sein Teamkollege Massa auf Platz 15 eintrudelt. Alonso punktet beständig und demonstriert, was grosse Fahrer von guten unterscheidet. Er bändigt das störrische Biest, das in Italien tatsächlich auf die schmeichelhafte Bezeichnung «Maria Rosa» hört, mit nichts als seinen ureigenen Fähigkeiten. Massa hat nach fünf Rennen zwei Punkte, Alonso 61, und staunt: «Das Auto ist mir zu starr auf der Vorderachse. Damit kann ich nicht fahren.»

Ferrari spendiert Mitte Mai nach dem einzigen Test während laufender Saison für das Rennen in Barcelona neue Leitwerke vorne und hinten, neue Seitenkästen, einen frischen Auspuff und einen ebensolchen Diffusor. Konsequenz: Rang 2 für Alonso auf einem aerodynamisch hoch anspruchsvollen Kurs. Aber auch: Rang 15 für Massa.

Der F2012 ist (in den Händen Alonsos) jetzt statt eineinhalb nur noch eine halbe Sekunde langsamer als die Spitze, vor allem in der Qualifikation, und im Rennen aus eigener Kraft noch nicht siegfähig. Dazu muss das Team erst noch lernen, mit den neuen Abstimmungsmöglichkeiten umzugehen.

Mit dem runderneuerten Ferrari sammelt Alonso fünf Podeste in sechs Rennen. Und ausgerechnet in Valencia, vor heimischem Publikum, produziert der Lokalmatador eine magische Fahrt, gewinnt vom 11. Startplatz aus. «Wahrscheinlich mein grösster Sieg», sagt er mit einem dicken Kloss im Hals. Sicher: Er hat Glück, dass Vettels Lichtmaschine streikt, profitiert überdies geschickt von einer Safetycar-Phase, attackiert, als es zählt und verwaltet seine Reifen, als er muss. So kann kann durchaus man Weltmeister werden.

Und so schafft es Alonso als Erster, 2012 zwei Rennen zu gewinnen. Bis dahin hatte es in sieben GP sieben verschiedene Sieger gegeben.

In Silverstone wird Alonso vom besten Startplatz aus, im Regen errungen, Zweiter.

In Hockenheim deklassiert er in der Qualifikation – wieder im Regen – das gesamte Feld, hinterlässt runtergeklappte Kinnalden beim Gegner und festigt seinen Ruf als Zauberer mit einem weiteren Triumph. Dabei profitiert er jedoch davon, dass Vettel vom überrundeten Lewis Hamilton bei der Aufholjagd gestört wird. Und dass Hamiltons McLaren einen Plattfuss erleidet.

Doch obwohl Alonso bei seinen letzten 14 Zielankünften zwölf Mal auf’s Treppchen vordringt, in den letzten fünf Rennen sogar fünf Mal in Serie, reicht es am Ende wieder nicht. Dass eine derartige Serie nicht belohnt wird, darf man schon einen Fluch nennen. Der Fluch heisst Vettel, der im Herbst vier Mal in Serie siegt. Das ist in dieser Phase wegen des neuen, 2010 eingeführten System mit der Differenz von sieben Zählern zwischen Rang 1 und 2 (vorher vier) ein Doppelbonus für den Deutschen.

In Spa-Francorchamps wird Alonso in Kurve 1 völlig unverschuldet aus dem Rennen gerissen. In Japan verhakelt er sich ganz leicht mit Räikkönens Lotus und bleibt abermals liegen. Vielleicht ein halber Fehler des Spaniers, der aber das ganze Rennen kostet.

Ohne diese Nullrunden von Belgien und Japan wäre der Ferrari-Star vermutlich Weltmeister geworden. Nach Punkten betrachtet… Aber man muss es anders sehen: Zwei Ausfälle in 20 Rennen sind nicht abnorm, mithin einzukalkulieren.

Das Problem liegt woanders. In der ersten Saisonhälfte ist der Ferrari über weite Strecken zu langsam. In der zweiten wird das Auto besser, zumindest besser fahrbar, aber nicht gut genug. Als Red Bull Racing und Vettel sich zu mit technischen Weiterentwicklungen und entschlossenem Endspurt im September im Titelrennen zurück melden, geht Ferrari in der Entwicklung die Puste aus. Immer öfter muss Alonso den Umstand darlegen und rechtfertigen, dass «das, was aus unserer Fabrik kommt, nicht immer den Effekt hat, den wir im Voraus berechnet  haben.»

Er wird im Herbst zunehmend konkreter, bis er in Indien erklärt, seit sechs bis sieben Rennen ohne nennenswerte technische Verbesserungen auskommen zu müssen. Als Technikchef Pat Fry seine Piloten leicht kritisiert, fährt Alonso die Krallen aus. Laut einem Reporter der «La Stampa» wird der Wüterich nur mit Mühe daran gehindert, den angeblichen «Entwicklungs-Stillstand seit Mai» in die Welt hinaus zu twittern. Im Grande Casino rotiert  es seit langer Zeit wieder mit der Drehzahl früherer Tage, als schmutzige Intrigen und üble Gerüchte die Welt der Scuderia im Tagestakt auf Trab hielten. Doch vor dem Abu Dhabi-GP findet sich – natürlich – eine gemeinsame Sprachregelung: «Alles Unsinn, wir sind eine verschworene Einheit, der Reporter hat fantasiert.» Weiteren Zoff kann sich das Team einfach nicht leisten.

Was auch immer sich genau abgespielt hat an diesem Indien-Wochenende: Es hat mächtig gekracht im roten Bereich. Plötzlich standen sich – mitten im Titelkampf – zwei Fronten gegenüber: Ferrari und Alonso. Wenn auch nur für eine winzige Zeitspanne. Und das sagt einiges über das Verhältnis des Fahrers zu seinem Team. Und rief die alten Skeptiker zurück auf den Plan: «Alonso ist grossartig», sagen sie, «aber wenn Schumacher der treue Hund von Maranello war, dann ist Alonso die Katze. Die schützt vor allem sich selbst.»

Ganz gleich, welcher Darstellungsweise man folgt, sie passt nicht vollends zum Geschehen auf der Strecke, denn besonders nach der Sommerpause kommt Alonsos Teampartner Massa immer besser in Tritt. Und zuletzt sticht der Nummer-2-Fahrer, der schon zum Abschuss freigegeben war, den Titelanwärter im gleichen Auto mehrfach aus. Massa legt zwischen Sommer und Saisonende gegenüber dem Spanier vier Zehntelsekunden pro Runde zu. Er wird mit der Gewissheit eines neuen Vertrags besser und sicherer. Aber es legt nicht an ihm allein. Der vielfach zum Fahrer des Jahres gewählte Teamleader lässt gleichzeitig zum Ende hin etwas nach.

Ob er das Auto überfahren hat oder ob er verkrampfte oder einfach nicht mehr genug Energie-Reserven beisammen hatte, kann er nur selbst wissen. Sicher musste Alonso der kraftraubenden Art, mit der er seiner Berufung nachgeht, Tribut zollen. Er hat nun drei lange Monate Zeit sich zu fragen, wo er die Zehntel auf Massa verloren hat. Und vor allem: wie er sie wiederfindet…

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