Ungarn: Überholverbot oder nicht?
Christian Klien
BMW-Test- und Ersatzfahrer [*Person Christian Klien*] bricht vor dem Ungarn-GP eine Lanze für den Hungaroring. Der Österreicher sagt vor dem zehnten WM-Lauf: «Wer vom Hungaroring redet, der denkt meist an Gluthitze und langweilige Prozessionen ohne Überholmanöver. Als Formel-1-Fahrer sieht man diese Dinge manchmal etwas nüchterner.»
Klien beweist hier Humor, denn: War die Eingangs-Feststellung nicht nüchtern betrachtet? Und war sie nicht richtig?
Die Temperaturen waren in der Puszta im August bei den meisten Rennen, wenn es nicht regnete, so wie heute: zwischen 33 und 38 Grad. Sengende Hitze. Zugegeben, meist kontinentale, trockene Hitze. Aber geschwitzt wurde trotzdem wie im Hammam. Und am Überholverbot fehlten nur die Verkehrsschilder. Scherz beiseite …
Der ehemalige Jaguar- und Red-Bull-Pilot Klien führt bei seinem Budapest-Plädoyer weiter aus: «Der Hungaroring ist besser als sein Ruf. Ich selbst bin immer auf dem schon umgebauten Kurs mit der längeren Zielgeraden gefahren. Wenn man die Rennen seitdem Revue passieren lässt, waren doch einige Sternstunden dabei. Fernando Alonsos erster Sieg in einem unterlegenen Renault, Jenson Buttons erster Sieg in einem Honda bei Regen 2006 und letztes Jahr war es dann für [*Person Heikki Kovalainen*] soweit.»
Klien beweist Mut zur Meinung. Aber seine Feststellungen gelten mit Einschränkungen – nämlich aus der sehr singulären Sicht der jweils Erfolgreichen, nicht aber rundweg für den Rennsport auf dem Hungaroring als solchen.
Natürlich war Alonsos Erfolg 2003 spektakulär, aber in erster Linie aus zwei Gründen: Der Spanier wurde damals in Ungarn mit 22 Jahren und 26 Tagen jüngster GP-Sieger seit Bruce McLaren (erster Sieg 43 Jahre zuvor mit 22 Jahren und 104 Tagen). Das war ein Begleitumstand, kein Rennelement.
Und Alonso eroberte den ersten Sieg für Renault als Chassishersteller seit dem Jahr 1983. Spektakulär war sicher auch, dass er die schnelleren BMW-Williams (schlecht gestartet) und McLaren-Mercedes, besonders Kimi Räikkönen, abhängte. Aber er tat dies mit Hilfe des eher renntötenden Streckencharakters, denn hinter ihm hielt Jaguar-Super-Qualifikant Mark Webber die schnellere Meute der potenziellen Sieger auf.
Das Rennen selbst war eher fad, denn Alonso konnte nach 20 Runden den Stein vom Gas nehmen und fragte über Funk: «Wo bleiben die alle?»
Er war dermassen überlegen, dass er einen gewissen Michael Schumacher (Ferrari) und dann auch noch seinen eigenen Teamkollegen, Jarno Trulli , überrundete. Spannend war das wirklich nicht. Jedenfalls nicht mehr nach den ersten drei Rennsekunden …
Nun zu Buttons Vorstoss in den Siegerkreis 2006. Jenson fuhr damals von Platz 14 auf einer Strecke zum Sieg, die das Überholen verbietet. Das war zweifelsfrei eine Sensation, ein absoluter Hammer. Und die Details dazu verblassen so schnell in diesen Zeiten, dass wir gerne noch mal aus der Rumpelkammer der Erinnerungen herauskramen, wie er das gemacht hat.
Klar ist rückblickend, dass ein paar Kollegen ihm beim Gewinnen in diesem Regenrennen behilflich sein mussten. So crashte Räikkönen beim Überrunden schwer in Tonio Liuzzi. Dann ruinierte das Safety-Car Alonsos 39 Sekunden-Vorsprung. Dann tat Alonso Button beim Boxenstopp den Gefallen, einen falschen Knopf zu drücken und die Drehzahl des Renault in den Keller plumpsen zu lassen, Alonso verlor vier Sekunden. Und die Führung an Button.
Bald danach verlor Alonso auch noch ein nicht korrekt befestigtes Rad. Und dann duellierten sich in Buttons Rücken einige Verfolger mit dem sturen Schumi, der auf Regenreifen bei abtrocknender Strecke breit wurde wie ein überfahrener Hummer. Und genauso langsam.
In diesem Fall kann man auch nicht darüber streiten, ob der Streckencharakter das Gute am Rennsport Marke Hungaroring hervorgekitzelt hat. Oder war es nicht eher Schumachers angeborener Verteidigungstrieb, der ihn in eine rollende Schikane verwandelte? Dieser Urinstinkt hatte nichts Ungarisches an sich.
Dieses Superrennen 2006 verdankte die Formel 1 einzig dem Regen und Räikkönens Blindflug in Liuzzis Heck. Unterhaltsam war es vom ersten bis zum letzten Meter.
[*Person Felipe Massa*] jedoch hätte auf den Unterhaltungswert, den sein platzender Ferrarimotor 2008 zum Geschehen beitrug, gerne verzichtet. Der Brasilianer hatte einen Megastart und ein Sahnerennen abgeliefert, als ihm in der vorletzten Runde ein Motorschaden den scheinbar sicheren und hochverdienten Triumph raubte. Wenn man also von einer Sternstunde spricht, dann sicher aus Mercedes-Sicht, denn der Stuttgarter Motor manövrierte Verfolger Heikki Kovalainen zuverlässig zu dessen erstem (und einzigen) GP-Erfolg.
Massa jedoch, der nichts falsch gemacht hatte, verlor zehn Punkte allein in diesem Rennen. Und den WM-Titel später mit einem einzigen. Wenn man dieses fragwürdige Spektakel Budapest gutschreiben möchte, dann allenfalls der Hitze wegen, die Massas Maschine zusetzte.
Trotzdem gab es vor Kliens Fomel-1-Zeit auch schon fade und hervorragende Ungarn-GP. Unvergessen ist Nigel Mansells Vormarsch im Ferrari 1989, der ausserhalb der Top Ten startete und am Ende Senna, Prost und den ganzen Rest hinter sich gelassen hatte.
Genau unvergessen ist die Prozession, die Thiery Boutsen 1990 anführte. Senna verzweifelte auf Rang zwei vom Start bis ins Ziel.
Oder der Geniestreich von Schumi und [*Person Ross Brawn*], der den Ferrari-Star mit einer Strategieänderung zum Sieg zauberte.
Klien teilt zum Ende mit: «Ich schliesse auch heuer nicht aus, dass am Hungaroring die Stunde der Aussenseiter schlagen könnte. Denn das Rennen ist physisch wahnsinnig anstrengend. Und da passieren ganz gerne menschliche Fehler.»
Das muss man jetzt wirklich hoffen. Zumindest für die Aussenseiter.