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Lance Stroll: Ferrari weniger praxisnah als Williams

Von Mathias Brunner
Lance Stroll

Lance Stroll

​Wieso lässt ein aufstrebender Rennfahrer die Chance sausen, für den berühmtesten Rennstall der Welt zu fahren? Der Kanadier Lance Stroll erklärt es.

Bis im Herbst 2015 bestand die Ferrari-Fahrerakademie aus vier Piloten, ein Viertel davon war der Kanadier Lance Stroll: Stroll wurde 2010 als Kartfahrer unter Vertrag genommen, damals noch nicht einmal ein Teenager. Der Kanadier, Sohn des steinreichen Bekleidungs-Industriellen Lawrence Stroll, fuhr 2015 in der Formel-3-EM für Prema, wo sich sein Vater eingekauft hat. Der Junge hat ohne jeden Zweifel Talent, kann aber auch ungestüm sein – in Belgien löste er eine Highspeed-Massenkarambolage aus und wurde dafür von den Rennkommissaren für ein Rennen gesperrt. Doch dann kam die Nachricht eines verblüffenden Transfers: Stroll zieht als Entwicklungsfahrer zu Williams. Offenbar war Papa Lawrence Stroll zu unsicher, ob sein Sohn bei Ferrari je den Sprung ins Formel-1-Cockpit schaffen würde. Der Unternehmer sieht Williams als Abkürzung.

Bislang hat sich der junge Stroll zum Wechsel ausgeschwiegen. Nun sagt er bei den Kollegen von motorsport.com: «Wir hatten verschiedene Gründe für diese Entscheidung. Zunächst einmal hat Williams eine lange Tradition bei der Arbeit mit jungen Piloten. Sie haben vielen Rookies eine GP-Chance ermöglicht. Das war uns wichtig, denn bei Ferrari erkannten wir einen anderen Ansatz. Sie möchten lieber erfahrene Piloten im Kampf um den WM-Titel.»

«Williams entsprach einfach eher dem, was wir suchten, und wir wurden mit offenen Armen empfangen. Die Verhandlungen begannen im vergangenen Juli. Das Programm als Entwicklungsfahrer besteht in vielen Stunden im Simulator, im Lernen an den Rennstrecken als Teil des Rennstalls, und hoffentlich komme ich dieses Jahr auch mit dem 2016er Auto zum Fahren. Das ist für mich praxisnaher als die Arbeit bei Ferrari eher eine Art Trainingslager – viel Arbeit im Kraftraum, mentale Vorbereitung, aber weniger Formel-1-bezogen.»

Luca Baldisserri: Wegen Stroll weg von Ferrari

Der Italiener Luca Baldisserri hat wegen Lance Stroll Ferrari verlassen und folgt dem jungen Kanadier zu Williams. Baldisserri, einst Renningenieur von Michael Schumacher in der goldenen Ära des Rennstalls, hatte sich lange Jahre um den Nachwuchs von Ferrari gekümmert, im Rahmen der so genannten Fahrerakademie. Nun wird er Mentor des jungen Stroll mit dem Ziel, den 17-Jährigen in der Formel 3 2016 zum Titel zu führen.

Stroll gegenüber Autosport: «Wir sind sehr froh, dass Luca an unserer Seite ist. Er wird eng mit Williams und mit meinem Formel-3-Team Prema arbeiten. Ich kenne ihn seit vielen Jahren und finde es extrem wichtig, dass er uns begleitet. Er war es damals, der mich für Ferrari ausgewählt hat. Er kann die Dynamik zwischen einem Team und einem Piloten ausgezeichnet analysieren.»

Der bisherige Ferrari-Teammanager Massimo Rivola wird die Nachwuchsschmiede in Maranello übernehmen. Ferrari selber will im Februar über das neue Organigramm informieren.

Ferrari-Nachwuchs: Ein Schlag ins Wasser?

Ferrari stellt die Nachwuchsakademie neu auf: Neuer Chef, neuer Fahrer. Dafür verlassen zwei langjährige Zöglinge Maranello – das Programm hat seine Aufgabe noch nicht erfüllt.

Nachwuchsförderung ist eine knifflige Sache: Red Bull musste ziemlich viele Frösche küssen, um einen Prinzen zu finden – Sebastian Vettel. Dazu erwiesen sich auch Daniel Ricciardo, Daniil Kvyat, Max Verstappen und Carlos Sainz in der Folge als Glücksgriffe. Ferrari tut sich da mit dem Nachwuchs ein wenig schwerer.

Vor zehn Jahren entstand bei Ferrari die Idee der «Driver Academy» – junge Piloten sollten mit langjährigen Verträgen an den berühmtesten Rennstall der Welt gebunden werden, um idealerweise eines Tages einen Formel-1-Piloten gewissermassen aus dem eigenen Garten zu erhalten.

Jahrelang war Felipe Massa für seine Aufgabe bei Ferrari vorbereitet worden (als Testfahrer bei Ferrari, als Einsatzfahrer bei Sauber), warum nicht jüngere Fahrer früher schon fördern? Das war die Grundidee.

Bianchi war der erste Akademie-Fahrer, er wurde 2009 aufgenommen, damals fuhr der Schlacks aus Nizza in der Formel 3.
Es folgten einigen Piloten, die aus unterschiedlichen Gründen wieder aus dem Programm ausschieden: Die Italiener Mirko Bortolotti und Daniel Zampedri, Sergio Pérez, der einen Ferrari-Vertrag beendete, um bei McLaren sein Glück zu versuchen, der Franzose Brandon Maisano.

Jules Bianchi war der erste Fahrer, mit dem dieser Plan Früchte tragen sollte: der Südfranzose war für 2016, spätestens 2017 als Kimi-Räikkönen-Nachfolger bei Ferrari fest eingeplant, an der Seite von Sebastian Vettel. Bianchi hätte ab 2015 bei Sauber den letzten Feinschliff für den Schritt in eine Top-Team erhalten sollen. Aber der Unfall von Suzuka am 5. Oktober machte alles zunichte, am 17. Juli 2015 erlag Bianchi seinen schweren Verletzungen.

Lance Stroll hat das Team wie gesagt verlassen. Er war der zweite Fahrer, der ins Team gekommen war.

Der in Zürich geborene Raffaele Marciello (21) wurde wie Stroll 2010 ins Nachwuchsprogramm aufgenommen und bestritt 2015 seine zweite Saison in der GP2. Im vergangenen Jahr wurde er Gesamtachter, nun wurde er Siebter. Das ist zu wenig. Marciello ist aussortiert.

Der Italiener Antonio Fuoco (19) wurde Gesamtsechster der GP3-Serie. Sein erster Test mit Ferrari auf dem Red Bull Ring endete mit Schrott. Er war vor zwei Jahren ins Ferrari-Kader berufen worden und soll bleiben.

Guanyu Zhou (16) schliesslich bestritt seine erste Saison als Autorennfahrer – in der italienischen Formel 4 wurde der Chinese Gesamtzweiter. Auch er soll im Kader bleiben.

Aus Ferrari-Kreisen ist zu vernehmen: Für Marciello und Stroll soll der junge Franzose Charles Leclerc (18) kommen. Der in Monaco geborene Leclerc hat 2015 die Formel-3-EM auf dem vierten Gesamtrang abgeschlossen (hinter Felix Rosenqvist, Antonio Giovinazzi und Jake Dennis), Leclerc konnte vier Mal gewinnen.

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