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Massencrash in Portimão: Das Reglement macht Sinn!

Kolumne von Günther Wiesinger
Weil elf Fahrer nach dem Massencrash in Portugal nicht mehr zum Re-Start antreten durften, gingen bei den Fans die Wogen hoch. Aber am Reglement gibt es wenig auszusetzen.

Der fürchterliche Crash mit elf beteiligten Fahrern in der Moto2-Klasse gestern beim Portimão-GP sorgt bei den Fans immer noch für Gesprächsstoff. Denn zu Beginn der neunten Rennrunde passierte ein Massencrash in Kurve 2. Beinahe die gesamte Spitzengruppe ging nach einem Regenguss auf der plötzlich nassen Piste zu Boden. Elf Fahrer stürzten mit Höchstgeschwindigkeit, die rote Flagge ließ nicht lange auf sich warten. Beteiligt waren: Canet, Beaubier, Ogura, Fernandez, Arbolino, Chantra, Lowes, Arenas, Acosta, van den Goorbergh und Corsi. Ramirez war schon vorher abgeflogen.

Doch alle Fahrer waren bei Bewusstsein, bald darauf folgte eine erste Entwarnung, der Crash war glimpflicher ausgegangen als befürchtet. Um 16:07 Uhr MESZ wurde die Boxengasse für den Neustart des Rennens geöffnet. Die Distanz wurde auf sieben Runden gekürzt. Das Ergebnis des erstes Laufs (über acht Runden) diente als Startaufstellung.

Natürlich war es für die Fans auf den Tribünen und vor den TV-Bildschirmen ärgerlich, dass die meisten Favoriten beim Re-Start zum Zuschauen verdammt waren, weil sie ihre Motorräder nicht vorschriftsmäßig innerhalb von fünf Minuten nach dem Crash ohne Abkürzung wieder in die Boxengasse befördert hatten.

Ob alle Fahrer dieses Reglement kannten, ist schwer zu sagen. Jedenfalls sind auf den Fotos einige zu sehen, die ihre Motorräder ohne Hast einfach liegen ließen oder an die Absperrungen lehnten. Manche meinten wohl, es würden jetzt einfach die ersten acht Runden gewertet.

Außerdem: Etliche Bikes waren sowieso so übel zugerichtet, dass sie bis zum Neustart nicht mehr instand gesetzt hätten werden können.

Jedenfalls begannen danach Diskussionen über die Sinnhaftigkeit dieses Reglements und über das Verantwortungsbewusstsein der Race Direction. Manche Kritiker beschwerten sich über die zu spät gezeigte rote Flagge, andere meinten sogar, die Streckenposten in den jeweiligen nassen Kurven müssten in diesem Fall unabhängig die rote Flagge schwenken und für den Abbruch sorgen.

Das ist natürlich pure Illusion. Denn nur die Race Direction sitzt vor 25 Bildschirmen, dort sind neben dem langjährigen Race Director Mike Webb auch die beiden Ex-Weltmeister Franco Uncini und Loris Capirossi entscheidungsberechtigt. Aber natürlich muss zwischen den ersten Regentropfen und der Entscheidung zum Abbruch etwas Zeit vergehen, denn zuerst müssen die Funktionäre die Sektorzeiten beobachten und sie mit den vorherigen Zeiten auf trockener Fahrbahn vergleichen, wenn es zu tröpfeln oder zu regnen beginnt.

In früheren Zeiten, als es noch keine Totalüberwachung der Rennstrecke gab, wurden die Fahrer angehalten, der Rennleitung mit Handzeichen zu signalisieren, sobald sie einen Abbruch wegen zu viel Wasser für sinnvoll hielten. Aber diese Methode gehört längst der Vergangenheit an. Heute hat die Race Direction die viel bessere Übersicht.

Natürlich ist das Fahren mit Slicks auf teilweise nasser Fahrbahn eine heikle und gefährliche Angelegenheit. Aber die Engländer sagen: «The throttle works both ways», der Gasgriff bewegt sich in zwei Richtungen.

Deshalb sind ja auch etliche Fahrer sitzen geblieben. Und deshalb hat Brad Binder 2021 den total nassen Spielberg-MotoGP-Thriller gewonnen, als er als einziger der sechs Topfahrer mit Slicks bis zum Ende draußen blieb und Fahrzeugbeherrschung in Vollendung zelebrierte.

Natürlich kann ein sportliches und auch ein technisches Reglement nicht immer den Idealzustand abbilden. Niemals können alle Eventualitäten berücksichtigt werden, immer wieder sind Anpassungen nötig.

Mehr als 20 Jahre lang galt die Vorschrift, dass zum Beispiel bei einsetzendem Regen und einem Abbruch jeweils die Runde vorher gewertet wird, in der alle Fahrer noch heil und sturzfrei über den Zielstrich gekommen sind.

Aber ich dachte mir schon Mitte der 1980er-Jahre, als Freddie Spencer einmal den Assen-GP gewann, obwohl er beim Abbruch schon auf dem Hosenboden sass: Das ist unfair gegenüber jenen Gegnern, die den Speed vor dem Abbruch rechtzeitig angepasst hatten.

Dann passierte noch der Motegi-GP 2005 in der 125-ccm-Klasse.

Mika Kallio (KTM) und Tom Lüthi (Honda) stritten damals erbittert um den WM-Titel. Der Schweizer stürzte in Japan kurz vor Schluss ausgangs der Zielkurve, sein Motorrad wurde bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, trotzdem wurde Tom als Zweiter mit 0,111 sec Rückstand auf den Finnen als GP-Zweiter gewertet. Er gewann nicht zuletzt deshalb die WM mit 242 zu 237 Punkten vor Kallio.

KTM brachte damals Protest ein, und zwar gegen den Hubraum der Lüthi-Honda, doch daran gab es nichts auszusetzen. Denn der Motor war weitgehend heil geblieben.

Man hätte wohl besser wegen Unterschreitung des Mindestgewichts protestieren sollen, denn es konnten längst nicht mehr alle Bestandteile des Trümmerhaufens eingesammelt werden…

Jedenfalls wurde danach das Reglement geändert. Bisher gab es an den neuen Vorschriften von den Teams und Fahrern wenig auszusetzen. In der MotoGP-Klasse gibt es jetzt ohnedies seit Jahren die «flag to flag»-Races, da wird nicht mehr abgebrochen, sondern das Ersatzmotorrad in der Boxengasse bestiegen, wenn sich das Wetter ändert.

In Valencia 2018 gab es beim MotoGP-Rennen im Nassen auch einen Re-Start, der vorher gestürzte Bradley Smith brachte sein Gefährt in letzter Sekunde an die Box, er steuerte die Red Bull-KTM danach noch auf Platz 8.

Das Bild vom Massencrash in Portimão sah verheerend aus, zumal die MV Agusta von Simone Corsi noch Feuer fing. Und Aron Canet, dessen Kalex übel zugerichtet wurde, hat sich die Speiche und einen Finger am linken Arm gebrochen, er muss heute in Barcelona operiert werden.

Fakt ist auch: Ein erheblicher Teil der lädierten Bikes hätte in der Kürze der Zeit sowieso nicht repariert werden können, ohne die Fahrer gewissen Gefahren auszusetzen. Und Ersatz-Motorräder sind in den zwei kleinen Klassen aus Kostengründen nicht erlaubt. 

Aber selbst Red Bull-KTM-Moto2-Teambesitzer Aki Ajo, der weder Augusto Fernandez noch Pedro Acosta ins Ziel brachte, beschwerte sich nicht über das Reglement. «Es war ein seltsames Rennende für uns. Natürlich sind wir schwer enttäuscht, denn es war nicht unsere Schuld. Es gab einen Massencrash mit etlichen Fahrern, schuld war der Zustand der Strecke. Natürlich meinten die Fahrer, es sei unfair, dass sie am Re-Start nicht teilnehmen konnten. Aber wir müssen die Vorschriften respektieren.»

Auch Liqui-Moly-Intact-Teammanager Jürgen Lingg hatte nichts auszusetzen. «So ist das Reglement eben. Und die Rennleitung hat sich daran gehalten, was sie natürlich auch muss. Wir hatten 2017 mit Sandro in Brünn dasselbe Problem und haben damals wahrscheinlich eine gute Platzierung verloren. Ich bin aber trotzdem der Meinung, dass dieses Reglement aus verschiedenen Gründen Sinn macht», stellte Jürgen Lingg gegenüber SPEEDWEEK.com fest.

Moto2-Ergebnis, Portimão (24. April):

1. Joe Roberts, Kalex, 7 Rdn in 12:09,757 min (=158,5 km/h)
2. Celestino Vietti, Kalex, + 2,818 sec
3. Jorge Navarro, Kalex, + 2,991
4. Marcel Schrötter, Kalex, + 3,104
5. Manuel Gonzalez, Kalex, + 3,199
6. Jeremy Alcoba, Kalex, + 3,821
7. Fermin Aldeguer*, Boscoscuro, + 3,784
8. Bo Bendsneyder, Kalex, + 4,648
9. Barry Baltus, Kalex, + 8,103
10. Gabriel Rodrigo, Kalex, + 8,880
11. Romano Fenati, Boscoscuro, + 9,511
12. Keminth Kubo, Kalex, + 22,541
13. Sean Dylan Kelly, Kalex, + 24,669
14. Filip Salac, Kalex, + 1 min
15. Alessandro Zaccone, Kalex, + 1 Runde

*= «track limits»-Vergehen in der letzten Runde

Fahrer-WM Stand nach 5 von 21 Grand Prix:

1. Vietti 90 Punkte. 2. Ogura 56. 3. Arbolino 54. 4. Roberts 49. 5. Canet 49. 6. Chantra 45. 7. Navarro 39. 8. Schrötter 36. 9. Lowes 35. 10. Dixon 32. 11. Fernandez 31. 12. Bendsenyder 25. 13. Alcoba 24. 14. Arenas 22. 15. Acosta 20. 16. Aldeguer 18. 17. Gonzalez 16. 18. Beaubier 16. 19. Baltus 13. 20. Fenati 7. 21. Rodrigo 6. 22. Ramirez 5. 23. Kubo 4. 24. Salac 4. 25. Kelly 3. 26. Zaccone 1.

Konstrukteurs-WM:

1. Kalex 125 Punkte. 2. Boscoscuro 20. 3. MV Agusta 5

Team-WM:

1. Idemitsu Honda Team Asia 101 Punkte. 2. Mooney VR46 Racing 90. 3. Elf Marc VDS Racing 89. 4. Flexbox HP40 88. 5. Liqui Moly Intact GP 60. 6. Autosolar GASGAS Aspar 54. 7. Red Bull KTM Ajo 51. 8. Italtrans Racing 49. 9. Pertamina Mandalika SAG 31. 10. Lightech Speed up 25. 11. Yamaha VR46 Master Camp 20. 12. American Racing 19. 13. RW Racing GP 13. 14. MV Agusta Forward 5. 15. Gresini Racing Moto2 5.


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