Ein Hoffnungsschimmer bei der KTM AG

Miguel Oliveira (KTM): «Eine riesige Gelegenheit»

Von Günther Wiesinger
Miguel Oliveira und Brad Binder im Juni 2020 in Spielberg auf den Moto2-Bikes von 2018

Miguel Oliveira und Brad Binder im Juni 2020 in Spielberg auf den Moto2-Bikes von 2018

Miguel Oliveira, gestern in Misano Gesamtbester beim MotoGP-Test, bildet 2021 gemeinsam mit Brad Binder das Red Bull-KTM-Werksteam. Sein Zorn vom Oktober ist verraucht.

Als Johann Zarco im August 2019 am Samstag beim Österreich-GP bei KTM in Gegenwart von Pit Beirer und Mike Leitner seinen Vertrag für 2020 auflöste, wurde der Franzose sofort von seinem Coach und Berater Jean-Michel Bayle in Stich gelassen. KTM kam bald über diesen Reinfall hinweg. Aber vor vier Wochen musste KTM auch den Abgang von Pol Espargaró und Jorge Martin für 2021 verkraften. Motorsport-Direktor Pit Beirer bemüht sich jedoch, diesem herben Rückschlag auch positive Seiten abzugewinnen. «Wenn andere Top-Teams unsere Fahrer haben wollen, beweist es ja auch, dass wir gute Fahrer ausgewählt haben.»

KTM Race-Manager Mike Leitner: «Pol hat drei Jahre lang einen Superjob gemacht. Wir sind mit ihm gewachsen und er mit uns. Wir haben auch 2020 noch einiges vor mit ihm. Wir wollen unser bestes Ergebnis im Trockenen, das war Platz 6 im Vorjahr verbessern und möglichst viele einstellige Ergebnisse erzielen.»

Miguel Oliveira hat seit 2015 jedes Jahr bei Red Bull-KTM verbracht, mit Ausnahme von 2016, als er sich bei Leopard-Kiefer auf ein dramatisch gescheitertes Moto2-Projekt einließ. «Es war die schlimmste GP-Saison meines Lebens», erinnert sich der dreifache Vizeweltmeister.

Deshalb war der künftige Zahnarzt sehr erleichtert, als ihm Pit Beirer auf seine Anfrage, ob er 2017 Teil des neuen Moto2-Chassis-Projekts von KTM sein dürfe, im Juli 2016 eine positive Antwort gab. «Meine Karriere war auf dem Tiefpunkt. Pit hat mich gerettet. Das werde ich ihm nie vergessen», versichert Oliveira, der dann 2017 und 2018 mit jeweils drei GP-Siegen Moto2-Viozeweltmeister wurde. Schon 2015 hatte er bei Red Bull KTM-Ajo in der Moto3-WM den zweiten WM-Rang sichergestellt.

Trotzdem kam es 2019 zu einem leichten Zerwürfnis zwischen Oliveira und dem KTM-Management.

Denn der Portugiese wurde im Vorjahr beim Misano-GP von Beirer und Leitner gefragt, ob er 2020 im Red Bull KTM Factory Team den Platz von Zarco neben Pol Espargaró übernehmen wolle. Doch nach dem soeben errungenen achten Platz in Spielberg fühlte sich Miguel im Tech3-Team von Hervé Poncharal und mit Crew-Chief Guy Coulon sehr wohl. Er lehnte ab.

Als KTM dann neben eines neuen Stars statt Zarco den Südafrikaner Brad Binder ins Werksteam hievte, den Oliveira in der Moto2-WM zwei Jahre lang unter Kontrolle gehabt hatte, fühlte sich Oliveira verschmäht, er pochte beim Australien-GP auf seine besseren Resultate und auf ein Jahr MotoGP-Erfahrung.

Oliveira, der sich beim Silverstone-GP 2019 bei einer von Zarco verschuldeten Kollision eine langwierige Schulterverletzung zuzog, wetterte beim Phillip-Island-GP 2019: «Ja, KTM hat mich beim Misano-GP kontaktiert. Sie haben eigentlich nicht wirklich eine Frage gestellt. Sie haben mir diese Option im Werksteam nicht angeboten. Sie haben mich nur informiert, dass ein Sitz in der MotoGP im Factory-Team verfügbar sei und mir mitgeteilt, dass sie überlegen, diese Position an Mika Kallio zu vergeben. Ich habe entgegnet: ‚Wenn ihr an Mika denkt, ist das für mich in Ordnung.’ Denn ich hatte mittlerweile ein gutes Verhältnis mit dem Tech3-Team aufgebaut. Also machte es damals wenig Sinn, einen Teamwechsel zu vollziehen.»

Oliveira wollte damals den Namen seines Kumpels Brad Binder gar nicht mehr in den Mund nehmen. «Da sie jetzt statt Mika einen Rookie engagiert haben und dazu einen Kerl für das Factory-Team, der gleich alt ist wie ich, bringt mich das auf den Gedanken, dass ich es anscheinend nicht wert bin, im Werksteam zu fahren. Ich respektiere jetzt diese Entscheidung. Und es ändert nichts an meiner Einstellung, weiter bei Tech3 das Maximum zu geben.»

«Ich habe von KTM bisher keine Erklärung zu dieser Entscheidung gehört», knurrte Oliveira. «Ich habe es kurz zuvor beim Motegi-GP erfahren. Dort ist Teammanager Mike Leitner zu mir gekommen. Ich habe ihm gesagt, was ich davon halte. Aber das änderte nichts mehr. Sie haben mich in Misano nur um meine Meinung gefragt und damit meine Zeit verschwendet.»

Oliveira war als Rookie 2019 in Las Termas und in Motegi unmittelbar hinter Pol Espargaró ins Ziel gefahren und hat mit dem achten Rang als bester KTM-Fahrer beim für Red Bull und KTM so wichtigen Heim-GP in Österreich die Kastanien aus dem Feuer geholt. Werksfahrer Johann Zarco kam dort über Platz 12 nicht hinaus.

Aber Oliveira schlug bald wieder versöhnliche Töne an: «Wenn man das Gesamtbild anschaut, macht diese Entscheidung Sinn für KTM. Aber nur für sie. Ich muss abwarten, was die Zukunft bringt. An meinem Commitment ändert sich nichts, das liegt weiter voll beim Tech3-Team. Ich werde mich auf meinen Job fokussieren. Tech3 ist ein Team, bei dem ich mich sehr wohl fühle. Das ist das einzige, an was ich denke.»

Durch die verspätete Beförderung ins Werksteam ist der Frieden wieder hergestellt, der ehrgeizige und selbstsichere Oliveira ist wieder besänftigt. Er hat jetzt 13 Rennen Gelegenheit, das Vertrauen von KTM zu rechtfertigen. «Ich will in diesem Jahr bester KTM-Fahrer werden», lautet die klare Zielsetzung des 15-fachen GP-Siegers.

Noch ein Lichtblick für Miguel: Er wird den erfahrenen und bewährten Crew-Chief Paul Trevathan übernehmen, der seit drei Jahren erfolgreich mit Pol Espargaró zusammenarbeitet.

Der in den Niederlanden lebende Neuseeländer genießt seit vielen Jahren das Vertrauen von Pit Beirer: Er war in der 250-ccm-Motocross-WM 1999 und 2000 Chefmechaniker des Deutschen, der die 250er-WM in den Jahren 1997, 1998, 2000 und 2002 als Gesamtdritter und 2001 als Gesamtzweiter beendet hat. 

KTM und Red Bull setzen auf Talente

KTM und Red Bull setzen gern auf aufstrebende und bezahlbare Talente. Red Bull tut das auch in der Formel 1 und im Fußballsport.
Auch Stefan Pierer, der Vorstandvorsitzende von KTM, hält große Stücke auf die Eigenbau-Stars Binder und Oliveira.

Pierer: «Unsere aktuellen MotoGP-Fahrer sind alle mit Red Bull, KTM, mit Stahlrahmen und WP Suspension groß geworden. Da entsteht eine andere Beziehung. Unser Ziel ist es, dass wir alle diese Fahrer bei uns behalten. Wir hatten ursprünglich nicht die Absicht, 2020 auf dem Transfermarkt aktiv zu werden. Wir möchten das Geld gern in das MotoGP-Bike investieren.»

Der kampfstarke Pol Espargaró wird bei KTM schwer zu ersetzen sein, denn er hat in drei Jahren nicht weniger als zwölf der 21 MotoGP-Top-Ten-Plätze von KTM beigesteuert.

Aber die Experten sind sich einig: Oliveira ist ein ähnliches fahrerisches Kaliber wie die gleichaltrigen Vinãles, Rins und Miller, auch Binder gehört in diese Liga, aber Oliveira hat ihm ein wertvolles Jahr MotoGP-Erfahrung voraus.

«Ich bin wirklich froh über die Gelegenheit, die mir KTM jetzt für die nächsten zwei Jahre gibt», versicherte Oliveira. «Ich spüre jetzt, dass sie mir zutrauen, bei diesem Projekt meine Fähigkeiten als Fahrer zu zeigen. Seit dem ersten Tag habe ich mit dem MotoGP-Bike mein Bestes gegeben. Ich habe immer an das Potenzial der RC16 und an gute Resultate geglaubt. Und diese Ergebnisse wollen wir in der nahen Zukunft abliefern. Ich glaube, wir sind in der Lage, unsere Ziele zu erreichen. Und ich weiß auch, dass ich mich als Fahrer noch weiterentwickeln kann. Ich bekomme jetzt eine riesige Gelegenheit. Wir werden uns aber zuerst auf 2020 fokussieren. Ich bin dankbar für diese Herausforderung. Mein Dank geht an die KTM-Familie.»

Auch Brad Binder freut sich auf die kommenden Herausforderungen. «Ich bin unglaublich aufgeregt, nachdem jetzt eine weitere Saison im Red Bull KTM Factory Team auf der RC16 fixiert worden ist. Ich kann es kaum erwarten, in Jerez endlich mein erstes MotoGP-Rennen unter die Räder nehmen zu können. Es ist mir eine Ehre und ich freue mich auf eine erfolgreiche Zukunft mit KTM. Wir blicken einer vielversprechenden Zeit entgegen.» 

So sehen die MotoGP-Teams 2020 aus

Repsol-Honda
Marc Márquez, Alex Márquez

Ducati Team
Andrea Dovizioso, Danilo Petrucci

Monster Energy Yamaha
Maverick Viñales, Valentino Rossi

Suzuki Ecstar
Alex Rins, Joan Mir

Red Bull KTM Factory Racing
Pol Espargaró, Brad Binder

Aprilia Racing Team Gresini
Aleix Espargaró, Bradley Smith

Pramac Racing
Jack Miller, Francesco Bagnaia

Reale Avintia Racing
Tito Rabat, Johann Zarco

Petronas Yamaha SRT
Fabio Quartararo, Franco Morbidelli

LCR Honda
Cal Crutchlow, Takaaki Nakagami

Red Bull KTM Tech3
Miguel Oliveira, Iker Lecuona

So sehen die MotoGP-Teams 2021 aus

Repsol-Honda
Marc Márquez, Pol Espargaró

Ducati Team
Andrea Dovizioso? Jorge Lorenzo? Jack Miller

Monster Energy Yamaha
Maverick Viñales, Fabio Quartararo

Suzuki Ecstar
Alex Rins, Joan Mir

Red Bull KTM Factory Racing
Brad Binder, Miguel Oliveira,

Aprilia Racing Team Gresini
Aleix Espargaró, Bradley Smith? Andrea Iannone?

Pramac Racing
Jorge Martin, Jorge Lorenzo? Pecco Bagnaia? Johann Zarco?

Reale Avintia Racing
Tito Rabat, Johann Zarco?

Petronas Yamaha SRT
Valentino Rossi, Franco Morbidelli

LCR Honda
Alex Márquez? Cal Crutchlow? Takaaki Nakagami?

Red Bull KTM Tech3
Danilo Petrucci, Iker Lecuona

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