Ein Hoffnungsschimmer bei der KTM AG

Joan Mir (Suzuki): Vom Aussenseiter zum Weltmeister

Von Günther Wiesinger
Jubel auf dem Podest: Joan Mir

Jubel auf dem Podest: Joan Mir

Trotz des vielversprechenden zwölften WM-Rangs in seiner ersten MotoGP-Saison 2019 rechnete im Frühjahr kein Experte mit einem Titelgewinn von Joan Mir. Aber der Suzuki-Held warf alle Prognosen über den Haufen.

Wer vor dem Saisonstart in Jerez auf einen Titelgewinn auf Joan Mir gewettet hätte, wäre für nicht ganz bei Trost erklärt worden, und wer bei den Buchmachern auf den Spanier gesetzt hat, ist heute eine Stange Geld reicher geworden. Joan Mir ist nach Jorge Lorenzo der zweite Spanier, der die seit 2013 existierende Siegesserie von Marc Márquez in der MotoGP-WM in Unordnung gebracht hat. Und er hat im Gegensatz zu etlichen anderen Kontrahenten von Viñales über Quartararo bis zu Dovizioso aus der Abwesenheit von Marc Márquez ordentlich Kapital geschlagen.

Der Suzuki-Held behielt auch beim zweiten Valencia-GP die Nerven, obwohl er mit Startplatz 12 nicht die beste Ausgangslage vorfand. Aber der entspannte GSX-RR-Pilot hat sein 37-Punkte-Guthaben auf Quartararo und Rins 27 Runden lang geschickt verwaltet, er profitierte von den Stürzen von Zarco und Nakagami und gewann mit Platz 7 vor Dovizioso souverän die Weltmeisterschaft 2020.

Joan Mir war in diesem Jahr der Konstanteste unter den viel unkonstanten Titelanwärtern. Er verlor auch die Nerven nicht, als er in Brünn abgeschlossen wurde. Und er hat sich in seiner zweiten MotoGP-Saison enorm verbessert: 2019 schaffte er nach einer Verletzungspause bereits einen fünften und einen sechsten Platz, er schloss die WM nach 19 Rennen als Gesamtzwölfter mit 92 Punkten ab.

Titelgegner Quartararo verbremste sich schon in der ersten Kurve und schied nach einem Crash übers Vorderrad in Runde 9 aus. Und Teamkollege Rins konnte nicht genug Punkte auf Joan Mir wettmachen, um den Titelgewinn wenigtens bis zum Finale zu verzögern. Aber Rins sicherte sich mit Platz 4 heute die besten Aussichten auf den zweiten Rang in der WM-Tabelle!

Joan Mir ist der erste Rennfahrer, der es aus dem Red Bull-Rookies-Cup zum MotoGP-Weltmeister gebracht hat. Aber zuerst hat er nach dieser Nachwuchsserie kein Moto3-GP-Team gefunden. Der Mallorquiner wurde von seinem Entdecker und Manager Paco Sanchez erst verspätet in die WM befördert.

Jetzt wünscht sich der neue World Champion ein Abendessen mit Kevin Schwantz. Die texanische Suzuki-Ikone hat 1993 die WM für das japanische Werk gewonnen.

Als Suzuki-Berater hat sich Schwantz 2017 dafür eingesetzt, Fahrer wie Aleix Espargaró und Iannone bei Suzuki abzuservieren und auf die Jugend zu setzen. Suzuki wollte unbedingt den nächsten Marc Márquez finden. Der Vertrag mit Rins wurde für 2019 und 2020 verlängert, 2019 kam noch Joan Mir als Teamkollege dazu. Er machte dem Finnen Mika Kallio die Startnummer 36 abspenstig und ließ vom ersten Tag an mit starken Rundenzeiten aufhorchen.

Aber was Rins in vier Jahren nicht gelungen ist, hat Joan jetzt in einer zweiten Saison geschafft. Und er hat gleich den ersten Matchball glamourös verwandelt!

MotoGP-WM-Leader Joan Mir sprach nach dem Sieg in Valencia vor acht Tagen offen über seine Ambitionen und das Gefühl, so nahe am WM-Titel dran zu sein und für Suzuki Geschichte zu schreiben.

Als Kenny Roberts Jr. im Jahr 2000 den letzten WM-Titel in der Königsklasse für Suzuki erobert hat, war Joan Mir gerade mal drei Jahre alt. Jetzt hat Mir in seiner erst zweiten MotoGP-Saison in der Königsklasse den begehrtesten Motorrad-WM-Titel eingefahren. «Das ist sehr wichtig für Suzuki, für mich und all den anderen», gesteht Mir.

Der Moto3-Weltmeister von 2017 weiß auch: «Wir können bei Suzuki nicht in jedem Jahr um die WM-Krone kämpfen. Es ist lange her, dass Suzuki die WM gewonnen hat. Aber Suzuki hat seit einiger Zeit gute Arbeit geleistet. Es bedeutet mit sehr viel, diesen WM-Titel gewonnen zu haben. Ich würde gerne auch eine Ikone für Suzuki werden – wie Kevin! Ich habe nach den letzten Rennen einige Nachrichten von Kevin Schwantz bekommen. Es war für mich wirklich eine Freude, etwas von ihm zu hören. Ich würde ihn jetzt gern zum Abendessen treffen, um mit ihm ein paar Dinge zu besprechen. Mich würde zum Beispiel interessieren, wie die 500er-Bikes damals waren.»

Der 23-jährige Mir übermittelte auch ein Angebot an den Texaner: «Kevin kann gerne mal mein Bike fahren. Wir müssten aber eventuell für ihn die Traktionskontrolle etwas zurückschrauben.»

Nur vier Fahrer haben bisher für Suzuki die WM in der «premier class» gewonnen: Barry Sheene 1976 und 1977, Marco Lucchinelli 1981, Franco Uncini 1982 und Kenny Roberts jr. 2000.

Mir-Gegner Fabio Quartararo begann die Saison 2020 mit zwei Pole-Positions und zwei Siegen in Jerez, erlitt dann eine Schwächephase in Brünn und Spielberg, siegte in Catalunya und kassierte vor dem zweiten Valencia-GP in fünf Grand Prix nur 17 Punkte, Joan Mir hingegen stattliche 61.

Der aktuelle WM-Dritte Alex Rins hat Suzuki schon 2019 in Texas und Silverstone zwei überraschende Siege auf der GSX-RR beschert. Er ist unbestritten ein Ausnahmekönner auf zwei Rädern.

Aber bei den bisherigen Titelkämpfen in der Moto3 und Moto2 hat Rins am Ende immer die Nerven verloren. Deshalb hat er im Gegensatz zu seinen Landsleuten Marc Márquez, Pol Espargaró, Tito Rabat, Maverick Viñales, Alex Márquez, Joan Mir und Jorge Martin nie eine Weltmeisterschaft gewonnen. Das hat er mit Fabio Quartararo gemeinsam.

Ein paar statistische Fakten: Joan Mir hat heute erst seinen insgesamt 85. Grand Prix bestritten. Er hat insgesamt zwölf GP-Siege errungen, dazu kommen zwei Pole-Positions und sechs schnelle Rennrunden, und er hat bisher total 27 GP-Podestplätze beschlagnahmt.

Der neue Weltmeister hat erst 2015 in Australien in der Moto3-WM debütiert, im Jahr nach seiner Red-Bull-Rookies-Cup-Saison.

Suzuki dominiert die WM 2020 mit zwei unscheinbaren Piloten. Sie liefern keine Skandale, sie fallen nie durch faile Mätzchen auf der Piste auf, sie lassen keine frechen Sprüche fallen, sondern sie lassen die Taten auf der Piste sprechen.

«Wir sind eine leidenschaftliche Truppe mit einem guten Motorrad und ausgezeichneten Technikern», versichert Teamanager Davide Brivio.

MotoGP-Ergebnis, Valencia-GP (15.11.):

1. Morbidelli, Yamaha
2. Miller, Ducati, + 0,093 sec
3. Pol Espargaró, KTM, + 3,006
4. Rins, Suzuki, + 3,697
5. Binder, KTM, + 4,127
6. Oliveira, KTM, + 7,272
7. Mir, Suzuki, + 8,703
8. Dovizioso, Ducati, + 8,729
9. Aleix Espargaró, Aprilia, + 15,512
10. Viñales, Yamaha, + 19,043
11. Bagnaia, Ducati, + 19,456
12. Rossi, Yamaha, + 19,717
13. Crutchlow, Honda, + 23,802
14. Bradl, Honda, + 27,430
15. Petrucci, Ducati, + 30,619
16. Alex Márquez, Honda, + 30,619
17. Rabat, Ducati, + 42,365
18. Savadori, Aprilia, + 46,472

Stand Fahrer-WM nach 13 von 14 Rennen:

1. Mir, 171 Punkte (Weltmeister). 2. Morbidelli 142. 3. Rins 138. 4. Viñales 127. 5. Quartararo 125. 6. Dovizioso 125. 7. Pol Espargaró 122. 8. Miller 112. 9. Nakagami 105. 10. Oliveira 100. 11. Binder 87. 12. Petrucci 78. 13. Zarco 71. 14. Alex Márquez 67. 15. Rossi 62. 16. Bagnaia 47. 17. Aleix Espargaró 34. 18. Crutchlow 29. 19. Lecuona 27. 20. Bradl 18. 21. Smith 12. 22. Rabat 10. 23. Pirro 4.

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