Morddrohungen wegen Alonso-Strafe

Anthony Gobert: Wie er wieder zurück ins Leben findet

Von Günther Wiesinger
Der auf die schiefe Bahn geratene ehemalige Suzuki-500-Werksfahrer Anthony Gobert (46) war nach einer Prügelei 6 Jahre lang verschollen. Jetzt wurde er von Bruder Aaron aufgespürt. Er erzählt eine bewegende Geschichte.

Aaron Gobert (40), der ehemalige US Championship-Pilot, hat seinen seit Jahren vermissten Bruder Anthony «Go Show» Gobert letzte Woche am Samstag nach langer Suche einen Tag nach dessen 46. Geburtstag an der Gold Coast in Queensland getroffen. Anthony, der Lucky-Strike-Suzuki-500-Werkspilot von 1997, war ins Drogenmilieu abgerutscht. «Ich konnte nach zehn Jahren erstmals mit ihm wieder auf einer Couch sitzen und mit ihm ein Gespräch führen. Zuletzt hatte ich ihn vor einigen Jahren im Gefängnis gesehen. Damals habe ich ihm vom Tod unseres Vaters berichtet. ‚Go Show‘ konnte nicht am Begräbnis teilnehmen.»

Aber die Mission «Rettung von Anthony» steht mit dem Auffinden des ehemaligen Ausnahmekönners und Superbike-WM-Stars (acht Laufsiege, total 16 Podestplätze) erst am Anfang.

«Nachdem ich Anthony am 5. März, seinem 46. Geburtstag, nicht aufgespürt hatte, habe ich die ganze Nacht weitergesucht», schilderte Aaron. «Ich hatte einige Hinweise bekommen und dachte, vielleicht treibt er sich nicht die ganze Zeit im Freien rum. Am zweiten Tag habe ich andere Plätze aufgesucht, an denen ich ihn vermutete, sogar bei einem lokalen BMX-Track an der Gold Coast habe ich vorbei geschaut. Ich kenne ja Anthony sehr genau. Ich weiß, wie er tickt.»

«Ich habe ihm eine Nachricht an dem einzigen Ort hinterlassen, an dem man sich an ihn erinnert hat. Ich habe ihn aufgefordert, mich anzurufen. Niemand wollte mir Details über seinen Aufenthaltsort und seine Storys erzählen. Ich bin dann rumgefahren, ich stellte mein Auto auf verschiedenen Parkplätzen ab und habe die Einheimischen beobachtet.»

Und plötzlich läutete das Mobilephone von Aaron. «Es war Anthony. Er sagte ‚Azza‘, ich antwortete ‚Bar‘, das ist der Name, den ich ihm als Baby gegeben habe, bevor ich richtig sprechen konnte. Er erkundigte ich, was es Neues gibt, als wären wir nie getrennt gewesen. Ich teilte ihm mit, dass ich seinetwegen in der Stadt rumfahre und ihm helfen will.»

«Wirklich?», antwortete der ältere Bruder.

«Ja, wo bist du?»

«Ich bin in einem Haus, ich habe da nur ein Zimmer. Die Adresse kenne ich nicht», fuhr Anthony fort.

Dann ging er vor die Bude und schaute auf das Straßenschild und die Hausnummer.

Aaron Gobert ließ sich dann zur Adresse leiten. Die Brüder unterhielten sich noch fünf Minuten am Telefon, dann fuhr Aaron los. Das gesuchte Haus war nur 1 km entfernt.

«Aber ich musste erst mein Telefon aufladen. Also sagte ich, ich komme in 15 Minuten», ergänzte Aaron. «‘Bar‘ erwiderte, er warte vor dem Haus, was immer auch passiere… Mir fiel das Herz in die Hose vor Aufregung.»

Nach dem Zusammentreffen unterhielten sich die Brüder stundenlang auf der Veranda.

Aaron: «Die Geschichten, die mir Anthony erzählt hat, sind die Härtesten, die ich je gehört habe. Er ist weg von den Drogen, und er hat seinen Geburtstag ganz allein verbracht.»

Auf die Frage «Wann hast du zuletzt einen Bekannten gesehen oder getroffen», konnte sich 'Go Show' zuerst nicht erinnern. Dann kam heraus – er war sechs Jahre lang völlig allein gewesen.

Anthony Gobert gestand dann beim ersten Treffen vor einer Woche, er habe noch kein Abendessen gehabt, denn er habe keinen Cent in der Tasche, er werde erst drei Tage später wieder Geld erhalten, er habe in seinem Zimmer für die nächsten drei Tage keine Lebensmittel. Null.

Aus Geldmangel hat «Go Show» inzwischen sogar mit dem Rauchen aufgehört.

Auf Facebook berichtete Aaron Gobert weitere Einzelheiten. «'Go Show' hat kein böses Wort über irgend jemanden verloren. Ich fragte ihn, wie es zur Prügelei gekommen sei, die zur Verhaftung führte. Er fragte zurück: ‚Um welche der diversen Prügeleien geht es?‘»

Aaron wollte wissen, ob Anthony je auf der Straße geschlafen habe. Die längste Phase auf der Straße habe fünf Tage gedauert, mehr hätten seine lädierten Hüften nicht ertragen, lautete die Antwort.

Der Grund für die Prügelei waren Schmerzmittel, die er regelmäßig gegen die Schmerzen eingenommen habe und im Rucksack mitführte, schilderte der übergewichtige und bärtige «Go Show» schmunzelnd.

Ein paar Jugendliche hatten ihn überfallen, sie rechneten mit einer Drogenbeute. Anthony lachend: «Sie klauten meinen Rucksack, aber die Medikamentenschachtet war leer. Meine Geldbörse mit 30 Dollar haben diese kleinen Idioten nicht gefunden.»

Aaron bezahlte vor einer Woche die Miete für seinen Bruder, kaufte ihm Lebensmittel, gab ihm am Samstag 50 Bucks und teilte «Go Show» nachher mit, dass er zurück nach Sydney fahren müsse.

Anthony erkundigte sich, ob «Azza» die 50 Dollar nicht lieber gleich zurückhaben wolle. Aaron: «An sich selbst denkt er immer zuletzt. Ich bin stolz auf seine Einstellung und kann nicht glauben, wie positiv er denkt.»

Aaron Gobert kehrte an diesem Wochenende wieder an die Gold Coast zurück. Er hat bei der Crowdfunding-Website «GoFundMe» um Hilfe angesucht, um Bekleidung und Lebensmittel kaufen und die Miete für das Zimmer bezahlen zu können. Es sollen bei dieser Spendenaktion bis zu 23.000 australische Dollar zusammen kommen.

Aaron weiß jetzt, dass sein Bruder die 50 geliehenen Dollar nicht ausgegeben hat, um Zigaretten und Drogen zu kaufen. «‘Bar' kann sich an alles erinnern. Auch an alle Einzelheiten bei einem Rennen in Willow Springs mit den 600ern in Kalifornien vor 20 Jahren, sogar an ein versuchtes Überholmanöver von mir in der Zielkurve. Ich kann allen Bekannten berichten, dass es keine üblen Storys mehr geben wird», teilte Aaron mit. Und als er um ein aktuelles Foto bat, wollte sich Go Show zuerst einmal ordentlich rasieren.

Aaron: «Anthony braucht mehr, als ich ihm geben kann. Deshalb haben wir das Fundraising gestartet. Danke an alle, die bisher gespendet haben.»

Am heutigen Samstag klopfte Aaron an der Gold Coast um 7 Uhr früh wieder bei seinem Bruder an die Türe. «Ich konnte sofort eine Veränderung in seinem Wesen beobachten», stellte der kleine Bruder fest. «Nachdem ‚Go Show‘ jetzt etwas Geld für Essen und Bekleidung in der Tasche hatte, fragte er mich ein paarmal ungläubig, ob das real sei. Ich habe ihm eingeschärft, dass sehr viele Menschen Anteil an seinem Schicksal nehmen und ihn wieder in unserer Mitte sehen wollen. Ich sagte ihm, es tue mir leid, aber ich muss am morgigen Sonntag zurück nach Sydney. Ich bin jedenfalls froh, dass ‚Bar‘ mit dem Geld keinen Unsinn angestellt hat, sondern er ist in einen Laden gegangen, hat sich Klamotten gekauft, dann ließ er sich die Haare schneiden, er sieht inzwischen wie ein anderer Mensch aus. Er war wirklich froh, dass er nach langer Zeit wieder ein paar Dollar in der Tasche hatte. Aber er will mir nicht zur Last fallen, deshalb wollte er mich nicht zu einem Frühstück begleiten. Ich habe ihm dann trotzdem etwas mitgebracht. Er will mir finanziell einfach nicht zur Last fallen…»

Nach dem Breakfast lud Aaron seinen Bruder zu einer Fahrt Richtung Strand ein. Dann besuchten die beiden den ehemaligen Indy-Car-Straßenkurs in Surfers Paradise.

«Dort haben wir vor 20 Jahren einen Riesenspaß gehabt», erinnert sich Aaron. «Nach dem Strandbesuch haben wir ein paar Kids mit Scootern beim Herumtoben getroffen. Wir haben ihnen gezeigt, wie man richtig Wheelies und Burn-outs macht. Beim Wegfahren ist mir klar geworden, wie sehr Anthony die Bikes immer noch liebt. Wir haben dann den ganzen Samstag miteinander verbracht, und alle Erzählungen von ‚Go Show‘ hören sich immer noch unglaublich an. Er hat viel mitgemacht. Morgen am Sonntag treffen wir uns noch einmal. Er wird sich in dieser Zeitspanne noch einmal verändern, ich freue mich auf den Unterschied. Sechs Jahre sind eine lange Zeit. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis er mir wieder voll vertrauen wird.»

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