KTM: Im Werk gingen die Lichter aus

MotoGP-Krone 2021: Wer zählt zu den Hauptanwärtern?

Von Mat Oxley
Zumindest beim Katar-Test ließ Jack Miller alle hinter sich

Zumindest beim Katar-Test ließ Jack Miller alle hinter sich

Nur noch eine Woche, dann hat die Warterei ein Ende und das erste MotoGP-Rennen des Jahres steht an. Wer zählt nach den Katar-Tests zu den Favoriten auf die WM-Krone? Und wer ist nur ein Außenseiter?

Jemanden zu fragen, wie die MotoGP-WM 2021 ausgehen wird, nachdem es nur vier Testtage – noch dazu auf ein und derselben Strecke – gegeben hat, ist so, als würde man vorab wissen wollen, welcher Michelin-Reifen auf der nächsten GP-Strecke am besten funktionieren wird.

Losail ist eine ungewöhnliche Piste und die Bedingungen sind einzigartig. Seit dem ersten Katar-GP im Jahr 2004 hat der Losail-Sieger nur fünf Mal den Titel geholt. Anders gesagt: Messen wir den Testfahrten keine allzu große Bedeutung zu. Nicht einmal dem Gewinner des WM-Auftakts am 28. März.

Andrerseits sind die vier Testtage in Losail alles, was wir haben. Was haben wir also daraus gelernt? Wer sind die Titelanwärter und wer die Außenseiter?

Jack Miller war der Schnellste der kombinierten Zeitenliste und einer von nur zwei Fahrern, die unter dem All-Time-Lap-Record blieben. Das bedeutet, dass er den Speed, den er gegen Ende der letztjährigen Saison gefunden hat, auch halten konnte.

Miller war 2020 der einzige konstante Ducati-Pilot. Erst vor ein paar Tagen verriet er, dass er selbst erst drei Rennen vor Schluss verstand, wie die Ducati mit der neuen Michelin-Reifenkonstruktion funktioniere. Es geht darum, wie man den Druck auf den Reifen ausübt – sanfter und konstanter durch die ganze Kurve, wie die Reihenmotoren.

Das Yamaha-Trio: Werksfahrer oder doch Morbidelli?

Maverick Viñales lag am Ende des Tests nur sechs Hundertstel hinter Miller, mit der besten Rennpace des gesamten Feldes. Wir kennen das aber schon – nicht umsonst gilt der Spanier als der Wintertest-Weltmeister, was ihn mehr zum Außenseiter als zum Titelanwärter macht.

Hier gilt es zwei wichtige Faktoren in Betracht zu ziehen: Erstens war die Yamaha immer schon gut, wenn es darum geht, eine schnelle Rundenzeit in Losail zu fahren – das flüssige Layout liegt der M1.

Zweitens fährt man in den Tests allein und nutzt die Linien, die man will. In der Situation sticht Yamaha hervor. Die Rennen sind aber eine andere Sache, vor allem auf einer Strecke wie Losail, mit dem langen Weg bis zur ersten Kurve. Sobald Viñales (oder irgendeine andere M1) schnellere Motorräder vor sich hat, kann er die Linien nicht mehr fahren. Und das passiert oft.

Fabio Quartararo zeigte auch einige sehr schnelle Runden beim Test, aber für ihn gilt dasselbe wie für Viñales. Dazu kommt bei beiden noch der psychologische Aspekt: Viñales hat immer schon schwankende Leistungen gebracht, weil er Mühe hat cool zu bleiben, wenn die Dinge nicht in die richtige Richtung laufen. In ihm steckt viel vergeudetes Potenzial.

Und Quartararo? Er hat zugegeben, dass er in der Saison 2020 mit dem Druck nicht richtig umgehen konnte. Es war aber nicht nur seine Schuld – die letztjährige M1 war von einer Strecke auf die andere fürchterlich inkonstant. Das nagt immer am Selbstvertrauen der Fahrer.

Petronas-Fahrer Franco Morbidelli dürfte in einer besseren Position sein als Viñales und Quartararo – aus drei Gründen. Immer wieder haben wir in den vergangenen Jahren gesehen, dass ein Yamaha-Kundenteam-Fahrer Wunder vollbrachte, während die Werksfahrer sich zwischen einem Chassis und dem anderen verstrickten, anstatt sich einfach darauf zu konzentrieren, alles aus dem herauszuholen, was sie schon hatten.

Morbidelli hat das Problem nicht. Er wird wieder das Chassis einsetzen, mit dem er im Vorjahr als bester Yamaha-Pilot Vizeweltmeister wurde. Die Reifen sind unverändert, Morbidelli kann also zielgenau auf die Daten des Vorjahres zurückgreifen.

«Franky» wird aber nicht die exakt gleiche M1 wie im Vorjahr steuern. Er verfügt jetzt über die neueste Öhlins-Gabel mit Karbon-Innenrohren. Schon 2020 hatten alle Werksfahrer diese Gabel, während ein Großteil der Independent-Fahrer noch mit der älteren Version unterwegs war.

Die Gabel mit den Karbon-Innenrohren bringt eine deutliche Verbesserung, indem sie das Gewicht um 1,6 kg verringert. Dabei handelt es sich um ungefederte Masse, was doppelt wichtig ist. Je leichter die ungefederte Masse an der Front, je besser kann die Aufhängung den Unebenheiten der Strecke folgen und so permanent den Kontakt des Vorderreifens mit dem Asphalt sicherstellen. Es resultiert besserer Grip am Vorderrad und der Fahrer hat ein besseres Gefühl für das Limit des Vorderrads.

Ein weiterer Vorteil ist, dass Öhlins die Gabelsteifigkeit leichter an die Steifigkeit des Chassis und die Vorlieben des Fahrers anpassen kann, ohne den Durchmesser der Tauchrohre ändern zu müssen, was unterschiedliche Gabelbrücken usw. erfordern würde. Karbon bietet die Möglichkeit, die Steifigkeit eines Bauteils durch die Ausrichtung der Karbonfasern und die Winkel der verschiedenen Faserlagen zueinander zu beeinflussen.

Morbidellis dritter Vorteil sitzt neben ihm in der Box: Ramon Forcada. Kein Crew-Chief weiß mehr über die Yamaha als der Spanier, der schon seit 2008 an der M1 arbeitet. Morbidelli und Forcada bilden ein perfektes Duo: cool, ruhig, gesammelt und sehr pragmatisch. Er ist ein heißer Titelanwärter – solange er sich eine gute Qualifying-Position sichert und schnell an die Spitze kommt, damit er die bevorzugten geschwungenen Linien der M1 ungestört fahren kann.

Die Titelverteidiger und der Honda-Neuzugang

Titelverteidiger Joan Mir erklärte sich zu 70 Prozent bereit für das Rennfahren. Der wichtigste Faktor, den es zu beachten gilt: Mir geht erst in seine dritte MotoGP-Saison, somit sollte er zumindest theoretisch ein wesentlich besserer Fahrer sein als 2020. Am meisten muss er seine Qualifying-Performance verbessern, aber hier ist mehr Suzuki gefragt als er. Mir konnte das Testprogramm mit dem neuesten Chassis der GSX-RR nicht durchziehen und wird daher wahrscheinlich mit dem 2020er-Chassis weitermachen. Das könnte sich auch als Vorteil erweisen.

Alex Rins hätte 2020 wohl den MotoGP-Titel gewonnen, wenn er nicht im Qualifying zum Spanien-GP gestürzt wäre und seine Schulter angeschlagen hätte. Wie Mir sitzt er auf dem zu diesem Zeitpunkt besten Motorrad – ein Bike, dass die Michelin-Reifen besser als alle anderen verhätscheln kann. Er hat mehr Erfahrung als Mir und einen sanfteren Fahrstil, vor allem mit dem Gas, was die Reifen noch mehr schont.

Pol Espargaró lieferte die herausragende Performance der Pre-Season ab. In nur vier Tagen war seine Pace auf der Honda RC213V auf dem Level der Besten. Zum Vergleich Jorge Lorenzo auf der Honda: Die beste Rundenzeit des dreifachen MotoGP-Champions war 2019, nach neun Testtagen und einem vollen Rennwochenende, eine 1:54,563 min im Qualifying und eine 1:56,168 min im Rennen von Losail. Espargarós persönliche Bestzeit nach vier Testtagen war eine 1:53,899 min. Dazu fuhr er eine Pace in tiefen 1:55er-Zeiten.

Der ehemalige Moto2-Weltmeister liebt die RC213V aus denselben Gründen, aus denen er auch die KTM RC16 liebte: Er mag es, mit dem Motorrad zu kämpfen. Daher bevorzugt er die Dynamik eines V4-Motors im Gegensatz zum Reihenmotor wie jenem der Yamaha, auf der er vor seiner KTM-Zeit drei Jahre verbracht hat.

Natürlich wird es nicht leicht, in seinem ersten Jahr auf dem neuen Bike konstant auf einem hohen Level zu performen. Speziell der Michelin-Vorderreifen bereitet Espargaró Kopfzerbrechen. Die Honda reagiert sehr sensibel auf die Performance des Vorderreifens, weil sie einen Großteil der Rundenzeit auf der Bremse oder im Kurveneingang herausholt. Bei manchen Rennen wird er einen Vorderreifen haben, der das Beste aus dem Asphalt holt, und bei anderen nicht.

Der «neue Andrea Dovizioso» und der alte Marc Márquez

Miguel Oliveiras Speed aus dem Vorjahr, als er zwei GP gewonnen hat, macht ihn zu einem weiteren Anwärter. Der Sieger des Steiermark- und Portugal-GP ist ein echter Denker – der neue Andrea Dovizioso. Er weiß also, worauf es ankommt und worauf nicht.

Viel wird von KTM abhängen, weil die neuste RC16 bei den Testfahrten in Katar Mühe hatte. Oliveira war als 16. bester KTM-Pilot und 1,3 sec hinter Miller zurück. Probleme bereitete die Front, die RC16 schien den Vorderreifen zu sehr zu beanspruchen, wie es die Honda manchmal tut. Das könnte auch ein Losail-spezifisches Problem sein. Aber wir werden es erst wissen, wenn wir in Portimão oder Jerez sind, wo die KTM im Vorjahr sehr stark war.

Marc Márquez ist der letzte Anwärter auf die MotoGP-Krone, auch wenn er bei den Katar-Tests fehlte und wir immer noch nicht wissen, ob er tatsächlich rechtzeitig bereit sein wird.

Ich habe kaum Zweifel, dass Márquez wieder so schnell sein wird wie eh und je – abgesehen von einer Sache. Er wird eine Zeit lang auf seinen rechten Oberarm achtgeben müssen, daher wird er weniger auf Messers Schneide tanzen als zuvor. Das ist besonders wichtig bei Márquez, weil seine Bereitschaft, mit dem Michelin-Vorderreifen im Training über das Limit zu gehen, ein entscheidender Aspekt seiner Fähigkeit war, mit dem Reifen Dinge zu tun, von denen andere Fahrer nur träumen können.

Seine meisterhafte Kontrolle der Front ist einer der Hauptgründe, warum er jeden Titel gewann, seit Michelin die Einheitsreifen liefert, bis er sich im Juli 2020 verletzte.

Sonst noch jemand? Ich glaube nicht. Aber sicher werden ein paar Fahrer dann glänzen, wenn die Dinge in ihre Richtung laufen.

Wer an guten Tagen zuschlagen kann

Pecco Bagnaia verfügt über enormen Speed, volle Ducati-Werks-Unterstützung und eine Armada an Daten-Ingenieuren, die ihm helfen, seinen Schwachpunkt auszumerzen – über die Front wegzurutschen. Im Winter arbeitete der Moto2-Weltmeister von 2018 hart daran. Erstens, indem er von Miller gelernt hat, von dem Moment an, in dem er die Boxengasse verlässt, den Vorderreifen schnell auf Temperatur zu bringen. Zweitens, indem er seinen Kurvenspeed leicht reduziert und an den von Miller anpasst, für eine weniger risikoreiche Fahrweise.

Johann Zarco ist der lose Schraubenschlüssel in einer Werkzeugkiste. Der zweifache Moto2-Weltmesiter wird manchmal mega schnell sein, vor allem weil es sein zweites Jahr bei Ducati ist und er von Esponsorama zu Pramac befördert wurde und dort ein Bike-Upgrade erhielt.

Valentino Rossi wird sich glücklich schätzen, wenn er es ein oder zwei Mal auf das Podest schafft. Falls er einen guten Start in die Saison erwischt, könnte er 2022 weitermachen. Vorausgesetzt Petronas SRT will ihn auch behalten.

Aleix Espargaró wird auf der neuen RS-GP ein paar Kämpfe liefern, aber ich sehe Aprilia nicht als Herausforderer im Titelkampf. Enea Bastianini («Bestia ist ein Genie auf zwei Rädern», so Davide Tardozzi) wird wahrscheinlich der schnellste Rookie, zumindest als Anfang.

Das ist meine beste Einschätzung, aber wie auch immer, verwendet sie nicht gegen mich.

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