Nach Silverstone: Was geht bei Michelin alles schief?

Von Günther Wiesinger
GP-Sieger und Weltmeister wie Bagnaia, Miller, Binder, Rossi und Oliveira klagten in Silverstone über die Michelin-Reifen. Sechs Werke und 22 Fahrer auf allen Pisten zufriedenzustellen, bleibt eine Herkulesaufgabe.

Beim British Motor Cycle Grand Prix in Silverstone geriet der französische Einheitsreifen-Lieferant Michelin wieder einmal ins Kreuzfeuer der Kritik. Die Teams haben zwar unterschrieben, dass den Fahrern bei den Aussagen über die Reifen quasi ein Maulkorb umgehängt wird. Trotzdem kamen einige unmissverständliche Botschaften ans Tageslicht.

Red Bull KTM-Werkspilot Brad Binder erklärte nach Startplatz 12 am Samstag in Bezug auf die Rennreifen: «Am Medium-Hinterreifen habe ich relativ schnell einen ‘big drop’, während ich mit dem Hard-Compound eigentlich keinen Grip finde. Das scheint konstant so der Fall zu sein. Was die Vorderreifen betrifft, habe ich ein größeres Sicherheitsgefühl mit der Soft-Mischung. Aber in Wirklichkeit wird es sogar mit der Medium-Mischung vorne schwer möglich sein, die ganze Renndistanz zu überstehen. Deshalb haben wir für heute am Abend ein sehr ernsthaftes Gespräch mit den Michelin-Leuten anberaumt. Danach werden wir sehen, was wir für den Sonntag machen können.»

Teamkollege Miguel Oliveira beklagte schon am Freitag: «Wir bringen einfach keine Temperatur in die Reifen.» Beim Portugiesen hatten sich in Österreich handflächengrosse Stücke von der Lauffläche gelöst, er musste aufgeben. Joan Mir (Suzuki) rettete sich mit einem ähnlichen Problem in England auf Platz 9. 

Auch bei Ducati war die Unzufriedenheit mit Michelin in England deutlich zu spüren.

Der zweifache Saisonsieger Jack Miller nach dem Qualifying am Samstag: «Es ist nicht befriedigend, wenn man mit neuen Reifen nicht schneller fahren kann als mit gebrauchten. Die neuen Reifen haben nicht funktioniert und das nervt mich. Ich bin nicht glücklich, aber ich kann auch keine Erklärung liefern, wieso das so war.»

Titelanwärter Pecco Bagnaia startete am Sonntag von Platz 2 und kam auf Platz 14 ins Ziel. Bei den Interviews nach diesem Desaster brodelte es richtig im Italiener. Er musste sich zwingen, nicht noch deutlicher zu werden. Denn zum zweiten Mal in drei Grand Prix (Steiermark-GP nach Neustart) hatte er massive Probleme mit dem Hinterradgrip. «Ich weiß nicht, was passiert ist. Wir müssen mit Michelin reden und uns die Daten anschauen», knurrte der Italiener.

Michelin-Rennchef Piero Taramasso verweist in solchen Fällen gern auf Fabio Quartararo, der mit der Werks-Yamaha scheinbar mühelos auf und davon fuhr.

Aber ob das am grandiosen Fahrer oder hauptsächlich an den Reifen lag, lässt sich schwer nachweisen. Zur Erinnerung: Die anderen drei Yamaha-Fahrer kamen im Rennen über die Plätze 17, 18 und 19 nicht hinaus. Crutchlow verlor als 17. immerhin 23,3 sec, Rossi 29,7 sec und Dixon 50,8 sec.

Rossi macht aus seiner Verwunderung über den früh nachlassenden Grip auch kein Geheimnis.

Pol Espargaró fiel nach der Pole-Position im Rennen auf Platz 5 zurück. Die 2022-Honda passt einfach im Renn-Set-up nicht zu den aktuellen Reifen-Konstruktionen aus Frankreich. 

So sieht die Micheln-Allocation pro Grand Prix aus:

Slicks: Bei jedem Grand Prix erhalten die Fahrer 22 Slicks, 10 Vorderreifen, 12 Hinterreifen. Die Auswahl vorne kann aus maximal fünf Reifen von der Spezifikation Soft, Medium oder Hard bestehen.

Die «rear tyre allocation» kann aus maximal sechs Softs, fünf Mediums und vier Hard zusammengesetzt werden.

Jene zwei Fahrer, die vom Q1 ins Q2 aufsteigen, erhalten zusätzlich einen Slick vor vorne und hinten, der Compound kann frei gewählt werden.

Regenreifen: Die Standard-Allocation sieht 13 Reifen vor (sechs Fronts, sieben Rears), es werden Soft und Medium angeboten.

Doch es gibt Ausnahmen. Wegen des neuen Fahrbahnbelags wurden zum Beispiel das FP1 und das FP2 auf dem Sachsenring 2017 am Freitag um je zehn Minuten von 45 auf 55 Minuten verlängert. Michelin stellte den Piloten dazu ausnahmsweise zwei zusätzliche Slickreifen zur Verfügung – nämlich insgesamt 24: Elf Vorderreifen und 13 Hinterreifen. Denn es konnte vorher nicht getestet werden, es gab keine Erfahrungswerte mit dem neuen Belag.

Eine weitere Ausnahme: Wenn vier der fünf freien Trainings und Qualifying-Sessions für nass erklärt werden, wird jeder Fahrer mit einem zusätzlichen Regenreifensatz beliefert (1 Vorder-, 1 Hinterreifen). Und wenn Q1 und Q2 im Nassen stattfinden, wird der zusätzliche Reifensatz für das Q2 auch aus Regenreifen bestehen. Der Fahrer kann zwischen Soft und Medium wählen. Wenn das Q1 und das Q2 bei unterschiedlichen Verhältnissen stattfinden (also ein Quali trocken, eines nass), werden keine zusätzlichen Reifen in die Boxen geliefert.

Damit die Reifen nicht teamintern getauscht werden können, sind sie alle mit einem Strichcode versehen. So können dem Nr.-1-Fahrer keine zusätzlichen Reifen zugeschanzt werden.

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