KTM: Im Werk gingen die Lichter aus

Hervé Poncharal (KTM): «Mugello war der Tiefpunkt»

Von Günther Wiesinger
Das Tech3-KTM-Team hat mit Remy Gardner und Raúl Fernández bisher die erhofften Resultate nur selten erreicht. Aber die Schwachstellen wurden erkannt. KTM-Tech3-Teamchef Poncharal spricht Klartext.

KTM-Tech3-Teambesitzer Hervé Poncharal hat mit seinen MotoGP-Rookies Remy Gardner und Raúl Fernández in dieser Saison einige Enttäuschungen erlebt, aber vor allem Moto2-Weltmeister Remy Gardner hat seit dem Barcelona-Test einen erfreulichen Aufwärtstrend erkennen lassen.

Poncharal hatte vor der Saison gehofft, dass seine Fahrer nach den ersten Rennen in Katar, Indonesien, Argentinien und Texas und bei den Europa-GP um Top-Ten-Plätze fighten und nahe an die Red Bull-KTM-Stars Binder und Oliveira herankommen würden. Denn Gardner und Fernández hatten 2021 gemeinsam 13 Moto2-Rennen gewonnen und im Ajo-KTM-Team für sieben Doppelsiege gesorgt. Aber die Klassenneulinge stürzten oft, das führte zu Verletzungen, außerdem offenbarte die KTM RC16 in diesem Jahr besonders über eine einzelne Runde deutliche Schwächen.

Poncharal, der 2023 in seinem Tech3-Rennstall in der Pierer Mobility-Gruppe mit der Marke GASGAS antreten wird, die Maschinen werden baugleich zur RC16 sein, hat in den letzten Wochen nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er gerne mit Gardner weitermachen würde. Diese Absicht deckt sich auch mit den Plänen von KTM-Motorsport-Direktor Pit Beirer. Und dass den zweiten Platz bei Tech3 der Spanier Pol Espargaró übernehmen wird, ist auch kein echtes Geheimnis mehr.

Als Gardner-Manager Paco Sanchez in einem Interview erklärte, die für 2023 angebotene Fahrergage für Remy sei unzureichend und die Qualität der Tech3-Techniker lasse zu wünschen übrig, war Poncharal menschlich enttäuscht und sichtlich getroffen. Denn immerhin hat Tech3-KTM im Jahr 2020 mit Oliveira zwei MotoGP-Siege (Spielberg und Portimão) errungen. Aber der Franzose hielt sich mit Kommentaren zurück. «Ich wollte mich innerhalb der Pierer-Mobility-Organisation nicht in die erste Reihe stellen», sagt er. «Ich will keinen direkten Kampf mit Managern meiner Fahrer austragen. Diese Freiheit nehme ich mir in meinem Alter. Ich ignoriere solche Vorkommnisse. Vor 20 oder 25 Jahren wäre das wahrscheinlich anderes gewesen. Mein Berufsleben liegt zu Großteil hinter mir. Ich will Spaß haben und es so weit geniessen, wie es möglich ist. Ich habe Freude daran, was ich mache. Und ich arbeite am liebsten mit Menschen zusammen, in deren Gegenwart ich mich gut fühle. Deshalb beteilige ich mich nicht an dummen Polemiken, die zu nichts führen. Ich konzentriere mich auf meinen Job, und mache das Beste daraus.»

Die Aufgabe, Sanchez eine entsprechende Antwort zu übermitteln, übernahm dann Pit Beirer im Mai in einem Interview mit SPEEDWEEK.com. «Manager wie Paco Sanchez sind momentan die größte Seuche neben Covid», attestierte der KTM-Rennchef.

Poncharal möchte aber in aller Sachlichkeit darauf hinweisen, dass ein Rechtsanwalt wie Paco Sanchez ein überschaubares Wissen in Bezug auf die Qualität von Crew-Chiefs und Ingenieuren sowie technischer Entwicklung mitbringt.

«Wie soll ein Fahrer-Manager beurteilen, welcher Techniker gut und welcher schlecht ist», gibt Poncharal zu bedenken. «Wie soll ein Außenstehender das einschätzen, der nie in der Box ist? Auf welcher Basis werden solche Statements erstellt? Auf welcher Grundlage wird die Qualität von Technikern beurteilt? Aber ich werde mich in diese Diskussionen nicht einmischen. Ein Manager wird immer seinen Fahrer verteidigen…»

Poncharal will die Rückschläge aus der ersten Saisonhälfte hinter sich lassen und mit seinen beiden Rookies bei den restlichen neun MotoGP-Rennen noch möglichst viele Achtungserfolge erringen.

Dass es bei Remy Gardner und Raúl Fernández nicht an Fahrkönnen und Talent mangelt, haben sie im Vorjahr deutlich genug unter Beweis gestellt.

Doch die Zielsetzung, mit einem der beiden Fahrer 2022 den Rookie of the Year-Award zu gewinnen, ist in weite Ferne gerückt: Bezzecchi hat schon 55 Punkte eingesammelt, Gardner 9, Fernández 5.

«Unser Tiefpunkt in dieser Saison bisher war Mugello», blickt Poncharal zurück. «Remy war dann in Catalunya eine Woche später recht stark. Er ist auf Platz 11 gelandet und hat nur 5,6 Sekunden auf Miguel Oliveira verloren. Dabei war es ein sehr heisses Rennen, viele Fahrer hatten deshalb Mühe. Remy ist bester Rookie geworden. Am nächsten Tag hatten wir einen wirklich guten Testtag. Ing. Sebastian Risse von KTM war in der Box, Remy hat den Ingenieuren ein sehr gutes Feedback geliefert. Catalunya war sicher das beste MotoGP-Wochenende für Remy. Er hat sich nach Mugello klar gesteigert und eine starke Performance gezeigt. Rául hat dann in Sachsen sein bestes Rennen gezeigt. Auch in den Trainings in Assen waren beide Fahrer näher an den Red-Bull-KTM-Piloten dran als in der Vergangenheit, manchmal haben sie nur 0,3 oder 0,4 Sekunden verloren. Das ist recht akzeptabel. Jetzt sind wir dort ins Mittelfeld vorgestossen.»

«Und wie Red Bull-KTM-Teammanager Guidotti nach dem Deutschland-GP gesagt hat – unsere Schwachstelle ist immer noch die einzelne schnelle Runde», räumt Poncharal ein. «Die Rennpace ist nicht so schlecht. Das sieht man nicht nur bei Brad, sondern auch bei meinen zwei Jungs. Rául hat auf dem Sachsenring zum Beispiel eine schnellere Rennrunde gedreht als Bezzecchi, der dort unmittelbar vor ihm auf Platz 11 gelandet ist. Das will einiges heissen. Aber wir starten am Grid immer zu weit hinten...»

«Aber bei KTM ist allen Beteiligten bewusst, dass wir uns über eine einzelne Runde steigern müssen», ergänzte Poncharal im Interview mit SPEEDWEEK.com. «Unsere Fahrer müssen die Möglichkeit haben, den Soft-Hinterreifen besser zu nutzen. Wenn wir ihn jetzt verwenden, beginnt das Vorderrad wegzurutschen. Deshalb steigern wir uns damit nur um 0,2 sec, die meisten andern um 0,5 sec. und das in einer Zeit, in der die Startposition extrem wichtig ist.»

MotoGP-Ergebnis, Assen (26. Juni):

1. Bagnaia, Ducati, 26 Rdn. in 40:25,205 min
2. Bezzecchi, Ducati, + 0,444 sec
3. Viñales, Aprilia, + 1,209
4. Aleix Espargaró, Aprilia, + 2,585
5. Brad Binder, KTM, + 2,721
6. Miller, Ducati, + 3,045
7. Martin, Ducati, + 4,340
8. Mir, Suzuki, + 8,185
9. Oliveira, KTM, + 8,325
10. Rins, Suzuki, + 8,596
11. Bastianini, Ducati, + 9,783
12. Nakagami, Honda, + 10,617
13. Zarco, Ducati, + 14,405
14. Di Giannantonio, Ducati, + 17,681
15. Alex Márquez, Honda, + 25,866
16. Dovizioso, Yamaha, + 29,711
17. Marini, Ducati, + 30,296
18. Bradl, Honda, + 32,225
19. Gardner, KTM, + 34,947
20. Savadori, Aprilia, + 35,798
– Fernández, KTM, 8 Runden zurück
– Quartararo, Yamaha, 15 Runden zurück
– Darryn Binder, Yamaha, 18 Runden zurück
– Morbidelli, Yamaha, 18 Runden zurück

MotoGP-Fahrer-WM nach 11 von 20 Grand Prix:

1. Quartararo 172 Punkte. 2. Aleix Espargaró 151. 3. Zarco 114. 4. Bagnaia 106. 5. Bastianini 105. 6. Brad Binder 93. 7. Miller 91. 8. Mir 77. 9. Rins 75. 10. Oliveira 71. 11. Martin 70. 12. Viñales 62. 13. Marc Márquez 60. 14. Bezzecchi 55. 15. Marini 52. 16. Nakagami 42. 17. Pol Espargaró 40. 18. Alex Márquez 27. 19. Morbidelli 25. 20. Di Giannantonio 18. 21. Darryn Binder 10. 22. Dovizioso 10. 23. Gardner 9. 24. Raúl Fernández 5.

Konstrukteurs-WM:

1. Ducati 246 Punkte. 2. Yamaha 172. 3. Aprilia 155. 4. KTM 121. 5. Suzuki 101. 6. Honda 85.

Team-WM:

1. Aprilia Racing 213 Punkte. 2. Monster Energy Yamaha 197. 3. Ducati Lenovo Team 197. 4. Prima Pramac Racing 184. 5. Red Bull KTM Factory 164. 6. Suzuki Ecstar 152. 7. Gresini Racing 123. 8. Mooney VR46 Racing 107. 9 Repsol Honda 100. 10. LCR Honda 69. 11. WithU Yamaha RNF 20. 12. Tech3 KTM Factory 14.


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