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Massimo Rivola (Aprilia): «Mir ist bange vor KTM»

Von Günther Wiesinger
Aprilia Racing hat sich 2022 in der MotoGP-WM vom Außenseiter zum Titelanwärter gemausert. Rennchef Massimo Rivola (50) hat seit 2019 in Noale für neuen Schwung gesorgt.

Als Massimo Rivola im Januar 2019 seinen neuen Job als Aprilia-Renndirektor antrat, war das MotoGP-Projekt des italienischen Herstellers auf dem Tiefpunkt angekommen. Im Paddock stellte man sich die Frage, wie lange Piaggio-Group-Eigentümer Roberto Colaninno dieses Debakel noch finanzieren wolle, das immerhin mindestens 20 bis 25 Millionen Euro im Jahr verschlang.

Doch der am 7. Dezember 1971 in Faenza geborene Rivola, der aus der Formel 1 kam, verschaffte sich zuerst einmal in Ruhe einen Überblick, analysierte die Sachlage und beseitigte eine Schwachstelle nach der andern. Dazu musste er mehr Budget loseisen, denn in erster Linie fehlte es an Manpower, viele Spitzentechniker hatten Aprilia nach 2015 wegen der fehlenden Erfolge und mangelnden Perspektiven verlassen. Für 2022 bekam Aprilia erstmals zwei eigene Startplätze wie alle anderen Werke, das mühsame Joint Venture mit Gresini Racing konnte nach sieben Jahren beendet werden. Rivola hat das ehemalige Trauerspiel in eine Erfolgsgeschichte verwandelt. 

Seitdem ging es bei Aprilia Racing in der MotoGP-WM stetig bergauf. Für 2023 wurde sogar das heiß ersehnte Kundenteam gefunden: WithU-RNF wurde Yamaha abspenstig gemacht.

Doping: Die Schlappe mit der Iannone-Sperre

Massimo Rivola hat eigentlich in den letzten dreieinhalb Jahren mit seiner Mannschaft nur in einem Fall gründlich Schiffbruch erlitten.

Der Rennstall und Andrea Iannone akzeptierten die Dopingsperre des Werksfahrers nicht, doch die Berufungsverhandlungen wurde so dilettantisch vorbereitet, dass die Sperre von 1,5 auf vier Jahre verlängert wurde. Iannone behauptete bis zuletzt, die verbotenen Substanzen (anabole Steroide) seien durch den Verzehr von zu vielen Steaks bei der Übersee-Tournee 2019 in seinen Körper gelangt. Beweise in Form von Restaurant-Rechnungen konnte er offenbar nicht vorlegen.

Iannone versicherte, er habe im Herbst im Oktober und November 2019 bei den vier Grands Prix (Buriram, Motegi, Phillip Island und Sepang) zu viele Steaks gegessen, und man wisse ja, dass in Asien die Rinder gern mit Steroiden präpariert werden. Außerdem: Die Konzentration der verbotenen Substanz sei mit 1,150 Nanogramm pro Milliliter gering gewesen.

Diese Argumente hielten nicht stand, sie waren teilweise lächerlich. Denn Limits sind Limits. Fabio Quartararo hat den Moto2-Sieg in Motegi 2018 wegen 0,05 bar zu geringem Luftdruck im Hinterreifen verloren.

Niki Lauda wurde in Zolder einmal wegen 0,5 kg Untergewicht als Sieger des Formel-1-Rennens disqualifiziert. Wenn nur 20 Liter Sprit erlaubt sind, drückt auch bei einem Tankinhalt von 20,1 Liter niemand ein Auge zu. Und wenn der Hubraum mit 1000 ccm festgesetzt ist, darf niemand mit 1001 ccm um die Wette fahren.

Aber das Iannone-Desaster gehört der Vergangenheit an, und vom menschlichen Standpunkt aus ist es ja begrüßenswert, wenn ein Spitzenfahrer in seiner schwersten Zeit vom Arbeitgeber nicht im Stich gelassen wird.

Tatsache ist: Aprilia hat 2022 bereits mit beiden Fahrern Podestplätze errungen, das ist in diesem Jahr weder Honda noch Yamaha und Suzuki gelungen, nur Ducati und KTM.

Außerdem liegt Argentinien-GP-Sieger Aleix Espargaró in der Tabelle nach 11 von 20 Rennen nur 21 Punkte hinter Leader Fabio Quartararo (Yamaha).

Aprilia hat bisher 54 Weltmeistertitel gewonnen, der letzte liegt allerdings acht Jahre zurück: Sylvain Guintoli wurde damals Superbike-Weltmeister, Max Biaggi hatte das für Aprilia vorher 2010 und 2012 ebenfalls geschafft.

Doch danach wollte Colaninno in der MotoGP-WM beweisen, dass Aprilia in der «premier class» auch ohne den erfolgreichen Renndirektor Gigi Dall’Igna (er folgte im Oktober 2013 dem Lockruf von Ducati Corse) an die Weltspitze vordringen kann. Aprilia ist der Technologie-Vorreiter der Piaggio Group, zu der auch die Marken Derbi, Gilera, Moto Guzzi, Derbi und Vespa gehören. 

«Die Arbeitsweisen in der Formel 1 und in der MotoGP sind total unterschiedlich», hat der 50-jährige Rivola rasch gelernt.

Denn die Budgets sind nicht vergleichbar, auch die Manpower nicht.

Mercedes betreibt den F1-Rennstall laut Toto Wolff mit 2000 Mitarbeitenden (1000 für die Motorenabteilung), bei Aprilia sind für die MotoGP insgesamt ca. 100 Personen beschäftigt.

Während in der Formel 1 die wahren Budgets der Top-Teams trotz des Kostendeckels auf 400 bis 500 Millionen Euro (und mehr) geschätzt werden, liegen sie in der MotoGP bei den Sieger-Teams bei 25 bis 50 Millionen.

Auch die Ansprüche für die Motoren sind vollkommen unterschiedlich: In der MotoGP-Königsklasse gab es schon Strecken wie Shah Alam, wo die Motoren nur während 7 Prozent der Rundenzeit Vollgas liefen; in der Formel 1 sind 70 Prozent Vollgas-Anteil pro Runde an der Tagesordnung.

Die Formel-1-Rennställe arbeiten seit 2021 offiziell unter einem Kostendeckel: Diese Obergrenze wurde für die vergangene Saison auf 145 Millionen US-Dollar angesetzt, 2022 liegt sie bei 140 Millionen, 2023 dann bei 135 Millionen. Es ist vereinbart, dass für jeden WM-Lauf über 20 Grands Prix hinaus zusätzliche 1,2 Millionen US-Dollar ausgeschüttet werden. Die wahre Obergrenze für die Saison 2022 mit ihren geplanten 22 Rennen liegt also bei 142,4 Millionen.

Wer glaubt, dass die kreativen Top-Teams diese Vorgaben einhalten, der glaubt allerdings auch an den Osterhasen und an den Weihnachtsmann.

Denn im Budgetdeckel nicht enthalten sind: Die Kosten für das Marketing, Fahrergagen, Löhne der drei höchstbezahlten Mitarbeiter, Mitarbeiter-Boni, Anmeldegebühren für die Meisterschaft, Motorenliefervertrag, Kosten für Reisen und Hotels, Erwerb von Superlizenzen und nicht zur Formel 1 gehörige Aktivitäten.

Damit liegen bei einem Spitzen-Team die Budgets zwischen 400 und 500 Millionen oder höher… Denn die Schlupflöcher für die Weltkonzerne sind vielfältig.

Aprilia: Klare Fortschritte mit dem 90-Grad-V4-Motor

Aprilia Racing muss im Vergleich zu den meisten anderen MotoGP-Herstellern finanziell kleinere Brötchen backen, denn es fehlt ein zahlungskräftiger Hauptsponsor – wie Repsol, Lenovo, Red Bull oder Monster.

Deshalb wird das Aprilia-MotoGP-Projekt immer von der Sorge begleitet, wie lange der Höhenflug des Werks aus Noale anhalten kann. Denn nicht nur Ducati ist extrem stark, auch Honda wird irgendwann aus dem Schlamassel herausfinden.

Und Massimo Rivola zeigt viel Respekt vor den Kollegen bei KTM. «Wenn ich ehrlich bin, mir ist ein bisschen bange vor KTM, was die Saison 2023 betrifft», räumt der Aprilia-Renndirektor im Interview mit SPEEDWEEK.com ein. «Denn ich glaube, dass sie mit einem super Motor kommen werden. Ich kenne Motoren-Designer Ing. Kurt Trieb nicht persönlich, aber ich bin überzeugt, dass er etwas Besonderes plant. Und KTM verfügt ja bereits über ein ausgezeichnetes Triebwerk.»

Doch auch Aprilia hat mit dem im Januar 2020 präsentierten neuen 90-Grad-V4-1000-ccm-Motor beachtliche Fortschritte gemacht. Die Gegner wundern sich über die vorbildliche Fahrbarkeit, die eindrucksvolle  Beschleunigung und den markanten Top-Speed des RS-GP22-Motors, bei dem auch die Zuverlässigkeit keine Wünsche mehr offen lässt.

Aber nach dem dritten Platz beim Mugello-GP mit der 1 km langen Start-Zielgeraden blickte Aleix Espargaró etwas neidisch auf die vielen schnellen Ducati Desmosedici. «Unser Motorrad war schnell, der Motor ist keine Ausrede», hielt der Spanier fest. «Ich verlor auf der Geraden nichts, überholen konnte ich aber auch nicht. Fabio kam einfacher an den Ducati-Piloten vorbei. Wenn wir auf den ganz schnellen Pisten um Siege kämpfen wollen, muss ich künftig auch bei der Vergabe der Pole-Position ganz vorne dabei sein.»

Aber wie schlagkräftige das Aprilia-Paket ist, stellte Aleix zuletzt bei der Dutch-TT in Assen unter Beweis: Nach der Kollision mit Qartararo fiel er auf Platz 15 zurück, doch in den letzten Kurven preschte er noch auf Platz 4 vor. 

MotoGP-Ergebnis, Assen (26. Juni):

1. Bagnaia, Ducati, 26 Rdn. in 40:25,205 min
2. Bezzecchi, Ducati, + 0,444 sec
3. Viñales, Aprilia, + 1,209
4. Aleix Espargaró, Aprilia, + 2,585
5. Brad Binder, KTM, + 2,721
6. Miller, Ducati, + 3,045
7. Martin, Ducati, + 4,340
8. Mir, Suzuki, + 8,185
9. Oliveira, KTM, + 8,325
10. Rins, Suzuki, + 8,596
11. Bastianini, Ducati, + 9,783
12. Nakagami, Honda, + 10,617
13. Zarco, Ducati, + 14,405
14. Di Giannantonio, Ducati, + 17,681
15. Alex Márquez, Honda, + 25,866
16. Dovizioso, Yamaha, + 29,711
17. Marini, Ducati, + 30,296
18. Bradl, Honda, + 32,225
19. Gardner, KTM, + 34,947
20. Savadori, Aprilia, + 35,798
– Fernández, KTM, 8 Runden zurück
– Quartararo, Yamaha, 15 Runden zurück
– Darryn Binder, Yamaha, 18 Runden zurück
– Morbidelli, Yamaha, 18 Runden zurück

MotoGP-Fahrer-WM nach 11 von 20 Grand Prix:

1. Quartararo 172 Punkte. 2. Aleix Espargaró 151. 3. Zarco 114. 4. Bagnaia 106. 5. Bastianini 105. 6. Brad Binder 93. 7. Miller 91. 8. Mir 77. 9. Rins 75. 10. Oliveira 71. 11. Martin 70. 12. Viñales 62. 13. Marc Márquez 60. 14. Bezzecchi 55. 15. Marini 52. 16. Nakagami 42. 17. Pol Espargaró 40. 18. Alex Márquez 27. 19. Morbidelli 25. 20. Di Giannantonio 18. 21. Darryn Binder 10. 22. Dovizioso 10. 23. Gardner 9. 24. Raúl Fernández 5.

Konstrukteurs-WM:

1. Ducati 246 Punkte. 2. Yamaha 172. 3. Aprilia 155. 4. KTM 121. 5. Suzuki 101. 6. Honda 85.

Team-WM:

1. Aprilia Racing 213 Punkte. 2. Monster Energy Yamaha 197. 3. Ducati Lenovo Team 197. 4. Prima Pramac Racing 184. 5. Red Bull KTM Factory 164. 6. Suzuki Ecstar 152. 7. Gresini Racing 123. 8. Mooney VR46 Racing 107. 9 Repsol Honda 100. 10. LCR Honda 69. 11. WithU Yamaha RNF 20. 12. Tech3 KTM Factory 14.

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