Stefan Bradl: «Wie soll ein Werk heute aufholen?»
Stefan Bradl äusserte zuletzt Kritik an der neuen Bestimmung, wonach 2023 von den MotoGP-Herstellern bei den privaten Tests der Testteams nur noch 200 Reifen pro Saison verheizt werden dürfen, im Vorjahr und den Jahren davor waren es noch 240. Der bayrische Honda-MotoGP-Testfahrer meinte, dadurch könnten seine Kollegen wie Pedrosa, Folger, Crutchlow, Pirro, Savadori und er kaum noch «time attacks» fahren, was aber zur Bewertung der Bikes über eine schnelle Runde wichtig wäre angesichts der eng beisammen liegenden Rundenzeiten. Auch Simulationen der neuen Sprintrennen werden dadurch erschwert, und Wildcard-Fahrer könnten sich wegen dieser geringen Reifenanzahl kaum auf die Wettkämpfe vorbereiten. Das führt auch dazu, dass Testfahrer in den Grand Prix als Ersatzpiloten kaum mehr in die Punkte fahren, wenn kein Sturzfestival stattfindet wie zuletzt in Texas.
«Die GP-Funktionäre müssen sich Gedanken machen. Denn wo und wie soll ein Hersteller aufholen, der ein bisschen ins Hintertreffen geraten ist? Irgendwann wird das Argument kommen, man müsse halt mehr Geld in die Hand nehmen», sagt Bradl. «Aber auch das nützt nur beschränkt, wenn du dann nicht genug Reifen hast, um neue Komponenten dann bei privaten Testfahrten auszuprobieren. Man hat dann auch keine Möglichkeit, das neue MotoGP-Format mit den zwei freien Trainings am Freitag, dem Quali am Samstagvormittag und dem Sprint am Samstag zu simulieren. Denn die ‘time attacks’ sind jetzt an einem GP-Wochenende deutlich mehr und wichtiger geworden. Ein Motorrad und das ganze Set-up verändern sich ja, wenn du statt 25 Runden alten Medium-Reifen für die einzelne schnelle Runde plötzlich weiche, frische Reifen montierst. Das Fahrverhalten ist dann ganz anders als mit gebrauchten Reifen. An einem GP-Wochenende ist die Abstimmung der Bikes explizit auf das Qualifying ausgerichtet worden. Die Aufgabe hat sich stark an eine ‘hot single lap’ angenähert. Es gibt kaum noch Gelegenheit für das Austüfteln einer Rennabstimmung für die lange Distanz am Sonntag.»
«Die Ansprüche und Anforderungen in der MotoGP haben sich in den letzten paar Jahren stark verändert. Das Überholen ist schwieriger geworden, nicht nur weil alle Hersteller heute gewinnen können. Begriffe wie ‘dirty air’, zu hohe Temperatur im Vorderreifen, wenn du einem Gegner nachfährst, die Downforce durch die Winglets, das Bedienen der Devices, die elektronischen Systeme, das sind alles Kleinigkeiten, die sich addieren und dann Probleme bereiten. Wenn du einen dieser komplexen Bausteine nicht unter Kontrolle hast, wird es schwierig, die maximale Kapazität aus dem Motorrad rauszuholen. Und wenn du dann statt 100 nur 95 Prozent aus dem Bike rauskitzelst, fehlte dir eine halbe Sekunde. Dann stehst du je nach Strecke auf Platz 12 oder 15.»