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Strafen in der MotoGP-WM: Ticken Stewards richtig?

Von Günther Wiesinger
Franco Morbidelli wurde in Jerez ein Long-Lap-Penalty aufgebrummt. Auch die Strafen für Quartararo und Bagnaia waren umstritten. Die Kritik an Freddie Spencer & Co. wird lauter. Völlig zu recht.

Seit einiger Zeit ärgern sich die Fans und Berichterstatter und nicht zuletzt die betroffenen Teams und Rennfahrer über die vielen Penaltys, die im GP-Sport ausgesprochen werden. Und ausgerechnet der dreifache Weltmeister Freddie Spencer hat als prominenteste Figur des 2022 neu eingeführten «FIM MotoGP Stewards Panel» wegen der oft nicht nachvollziehbaren Strafen viel Kritik einstecken müssen.

In Jerez wurde Spencer assistiert von Andre Somolinos und Tamara Matko. Sie brummten Yamaha-Werksfahrer Franco Morbidelli nach dem Crash in der ersten Runde des Sprintrennens vom Samstag einen Long-Lap-Penalty für den Sonntag auf, weil er ihrer Ansicht nach den Crash mit Alex Márquez und Marco Bezzecchi ausgelöst haben soll.

Das Monster Yamaha Team legte Protest ein und ließ sich diesen 1230 Euro kosten, weil man der Ansicht war, es habe sich um einen normalen Rennunfall gehandelt. Das Geld war rausgeschmissen.

Denn der Deutsche Ralph Bohnhorst, der 1991 den deutschen Seitenwagen-GP in Hockenheim gewann, behandelte nachher den Einspruch und lehnte den Appeal erwartungsgemäss ab.

Wer will schon einem «Fast Freddie» in den Rücken fallen?

Die Begründung für die Ablehnung des Einspruchs: Dank zusätzlicher Video-Analysen seien die Funktionäre zur Ansicht gekommen, Morbidelli sei «zu ambitioniert» ans Werk gegangen.

Damit wird der ganze Sinn des Rennfahrens ad absurdum geführt. Wenn irgendwann alle GP-Fahrer bestraft werden, die ambitioniert ans Werk gehen, müssten die Startplätze eigentlich in allen drei GP-Klassen leer bleiben oder es würde zumindest ein heftiges Getümmel auf der «long lap» stattfinden.

Wenn diese Funktionäre heute keine echten Zweikämpfe mehr sehen wollen, sollen sie schleunigst zum Schachsport, Dart oder zum Golf wechseln.

Die Zuschauer bezahlen bei den Grand Prix keinen Eintritt oder schalten daheim den Fernseher nicht ein, weil sie langweilige Prozessionen beobachten wollen, wie wir sie aus der Formel 1 zu Genüge kennen.

Aber die «long-lap»-Exkursionen mussten ja auf allen Pisten unter erheblichen Aufwand neu installiert werden. Vielleicht haben die Stewards den Auftrag diese kostspieligen neuen Streckenvarianten durch häufige Benutzung innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu amortisieren.  

Freddie Spencer sollte sich gefälligst lieber 40 Jahre zurückerinnern.

Damals kämpfte der Amerikaner in der 500er-WM auf der Werks-Honda um die Weltmeisterschaft gegen Yamaha-Star Kenny Roberts, den 500-ccm-Weltmeister von 1978, 1979 und 1980.

In Jarama siegte «Fast Freddie» mit einem Vorsprung von 0,55 sec vor King Kenny. Roberts sagte damals zu mir: «Freddie hat 120 Prozent riskiert, ich leider nur 110 Prozent.»

Und in Anderstorp 1983 überrumpelte Spencer seinen Rivalen in der Zielkurve innen auf der Grasnarbe unter völliger Missachtung aller «track limits» – er gewann dann mit einem hauchdünnen Vorsprung von 0,16 Sekunden.

Übrigens: Den Titelfight gegen Roberts entschied Spencer 1983 mit 144 zu 142 Punkten denkbar knapp für sich. 

Ohne diese aussergewöhnliche Risikofreudigkeit und Angriffslust wäre «Fast Freddie» nicht dreimal Weltmeister geworden. Und er ist der letzte Rennfahrer, der zwei WM-Titel in einem Jahr gewann: 1985 in der 250er- und 500er-Klasse.

Inzwischen leuchtet sogar den Mitgliedern des Panels ein, dass sie viel zu oft und viel zu leichtfertig Strafen aussprechen, nur weil ihnen die moderne Technik die Handhabe dazu liefert und sie sich gern als gottähnliche Richter aufspielen.

Zu Spencers Zeiten gab es nicht so viele Kamera-Positionen, es konnte nicht jedes kleine Foul anhand einer On-board- oder Schulter-Kamera nachgewiesen werden.

Und allmählich eskaliert die Situation, das Thema wurde schon Ende März in Portimão offenkundig, weil es keine klare Linie gibt und manche Vorkommnisse als Rennunfälle eingestuft werden, sehr ähnliche andere Ereignisse mit anderen Piloten nicht.

Am Sonntag wurde dann in Jerez dem nächsten Yamaha-Star ein Long-Lap-Penalty aufgebrummt, nämlich Fabio Quartararo, aus dem dann sogar ein doppelte lange Runde wurde, weil die erste nicht sauber absolviert wurde. 

Augenzeuge Stefan Bradl: «Das war ein normaler Rennunfall. Ich war direkt dahinter. Fabio ist von innen nach außen gedrängt worden. Ich habe es mir nachher in der Zeitlupe noch einmal angesehen. Fabio versuchte auszuweichen, weil er innen bedrängt war. Ich wusste gar nicht, dass er dafür bestraft worden ist. Ich habe schon am Samstag die Welt nicht mehr verstanden, als Morbidelli eine Long-Lap-Strafe bekommen hat. Das war genauso ein Rennunfall wie am Sonntag bei Fabio. Wenn das so weitergeht, können wir gleich pausenlos die Long-Lap-Runde fahren. Oder wir fahren einen fliegenden Start hintereinander und kurven dann mit Überholverbot wie bei einer Prozession ins Ziel.»

Bradl weiter: «22 oder 23 Piloten fahren los, sie kommen gut durch den Turn 1, dann folgt Turn 2, da geht es zu wie bei einer Ziehharmonika. Es gibt ja keiner einen Zentimeter nach, ist ja logisch. Wenn du vom Gegner das Vorderrad im Augenwinkel siehst, dann machst du die Bremse extra wieder auf und schaust, dass du ihm den Platz wegnimmst.»

KTM-Urgestein Heinz Kinigadner, 250-ccm-Motocross-Weltmeister 1984 und 1985, regte sich sogar über die «drop one position»-Strafe für Ducati-Star Pecco Bagnaia wegen des Duells gegen Jack Miller (KTM) am Sonntag auf. «Dass Bagnaia für sein Überholmanöver gegen Jack eine ‘drop 1 position’-Strafe bekommen hat, ist ein Witz. Wenn jetzt jedes Überholmanöver bestraft wird, hört sich das Rennfahren auf. Dann können wir es gleich sein lassen. So eine Entscheidung ist Oberkacke. Wenn man nimmer überholen darf, müssen sie uns das sagen», wetterte der Tiroler.

KTM-Motorsport-Direktor Pit Beirer pflichtete bei: «Diese Strafe für Pecco fanden wir zu hart. Denn wir wissen, dass so kleine Anklopfversuche beim Überholen die Spannung erhöhen.»

Freddie Spencer: Hat er etwas gegen Yamaha? 

Inzwischen wird sogar die Unabhängigkeit von Richter Freddie Spencer in Frage gestellt, der seine größten Erfolge in der US-Superbike-Meisterschaft und im GP-Sport (drei WM-Titel) als Honda-Werkspilot einfuhr und erst auf Yamaha umstieg, als seine besten Jahre aus gesundheitlichen Gründen vorbei waren. Auch an der «Freddie Spencers High Performance Riding School» in Las Vegas waren nur Honda-Bikes zu sehen. Freddie musste sie 2008 zusperren, weil er wegen der Spielsucht seiner Frau finanziell am Ende war. 

«Fast Freddie» bestritt die 500er-WM bei Yamaha weder 1989 noch 1990 bis zum Saisonende. 1989 enttäuschte Spencer auf der Yamaha 500 beim Belgien-GP mit dem neunten Rang. Im August in Donington Park wurde er durch Luca Cadalora ersetzt.   

«Die ich rief die Geister, werd ich nun nicht los», schrieb Goethe im Zauberlehrling.

Es wird höchste Zeit, dass Freddie Spencer und seine willfährigen Gehilfen endlich mal in sich gehen und über den Sinn des Motorsports nachdenken.

Seinen Künstlernahmen «Fast Freddie» hat der Amerikaner nicht bekommen, weil er auf den GP-Pisten ambitionslos spazieren gefahren ist.  

Der beste, schnellste Rennfahrer soll gewinnen. Aber nicht der friedfertigste, der aus lauter Höflichkeit jedem Rad-an-Rad-Kampf weiträumig aus dem Weg geht und deshalb nie das Risiko einer Bestrafung auf sich nimmt.

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