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Nakagami zur Honda-Krise: «DNA verloren gegangen»

Von Manuel Pecino
«Es ist wohl die größte Krise für HRC und auch die größte Krise meiner Karriere», hielt Takaaki Nakagami zuletzt fest. Im Interview geht der japanische LCR-Honda-Pilot näher auf die Ursachen dafür ein.

«Ich war direkt hinter Marc [Márquez], als er im Warm-up gestürzt ist», berichtete Takaaki Nakagami nach dem Sachsenring-GP und dem fünften Sturz von Repsol-Honda-Star Marc Márquez innerhalb von rund 40 Stunden. Und die Feststellung eines japanischen Fahrers, dessen Aussagen üblicherweise immer sehr zurückhaltend formuliert sind, ließen in diesem Fall besonders aufhorchen. «Mir ist von hinten nichts Seltsames aufgefallen. Marc hat weder den Scheitelpunkt verpasst noch etwas falsch gemacht. Ihm ist lediglich das Hinterrad weggerutscht und er hatte daraufhin einen heftigen Highsider.»

Marc wurde im Warm-up zum Motorrad Grand Prix Deutschland von seiner Repsol-Honda nach nur zwei Runden in Kurve 7 in die Luft geschleudert, er prallte hart auf und zog sich dabei einen Bruch am linken Daumen, Prellungen am rechten Fußknöchel und eine gebrochene Rippe zu. Verletzungen, die ihn sowohl auf dem Sachsenring als auch in Assen zum Verzicht auf das Hauptrennen zwingen würden. «Ich befinde mich im schwierigsten Moment meiner Karriere», gestand der achtfache Weltmeister daraufhin.

Sein Markenkollege Nakagami räumte ein, dass er selbst Angst vor einem Highsider hatte: «Ich war hinter Marc, als er gestürzt ist. Ich fahre dasselbe Bike und hatte einige Male das Gefühl, dass mir dasselbe passieren könnte. Ich war sehr nahe dran – und das nicht nur in Kurve 7, sondern auch in den Kurven 5, 6, 8 und auch in den Kurven 10 und 11…»

«Das Vorderrad unseres Motorrads klappt ständig ein, das Heck ist sehr instabil, das Bike rüttelt und schüttelt sich. So ist es sehr schwierig. Wenn du in eine Kurve einlenkst, fehlt dir an der Front der Grip und es ist einfach zu stürzen. Und sobald du an das Gas gehst und am Heck kein Grip vorhanden ist, fängt das Hinterrad an durchzudrehen. Ich weiß nicht, ob es ein mechanisches oder ein elektronisches Problem ist, aber es ist in jedem Fall sehr schwierig zu managen», fasste der Japaner zusammen.

«Ich weiß, dass der einzige Ausweg darin besteht, weiter zu arbeiten, aber die Einschränkungen unseres Motorrads sind einfach da», hielt der LCR-Honda-Pilot fest. «Du kannst für eine schnelle Runde die Augen zumachen, aber so kannst du kein ganzes Rennen fahren. In dem Moment, in dem du dieses Limit überschreitest, landest du im Kiesbett.»

SPEEDWEEK.com setzte sich mit «Taka» zusammen, um zu verstehen, wie die Honda-Krise aus der japanischen Mentalität heraus erlebt wird, die sich so stark von der westlichen unterscheidet.

Nakagami bestreitet sein sechstes MotoGP-Jahr, stets mit HRC, aber im Kundenteam von LCR Idemitsu. Zur generellen Lage von Honda sagte der 31-Jährige aus Chiba: «Es war bisher eine sehr harte Saison – viele Stürze und einige Verletzungen. Und die Ergebnisse… Ich war nur dreimal in den Top-10, also ja, es ist eine sehr schwierige Zeit.»

Was auffällt, offenbar hat niemand bei Honda diesen Tsunami kommen sehen, der nun über den über Jahre erfolgsverwöhnten Hersteller hereingebrochen ist. Taka, gab es keine Anzeichen dafür, dass das, was nun passiert ist, kommen könnte?

2022 haben wir angefangen… [Taka hält inne und wählt seine Worte mit Bedacht.] Wir haben angefangen, an einigen Wochenenden zu leiden, wenn auch nicht in jedem Rennen. Als Fahrer glaube ich, dass sich die Situation nicht erst 2023 so ergeben hat, sondern etwas ist, das sich seit 2022 hingezogen hat.

2022 war die Saison, in der HRC auch eigenen Aussagen zufolge ein neues Bike-Konzept gebracht hat. War die 2021er-RC213V von der Entwicklung her an ihre Grenzen gestoßen?

Nein, nein. Das 2021er-Bike war recht gut. In einigen Rennen war es wirklich konkurrenzfähig. Das 2022er-Bike war dann eine komplette Veränderung des Konzepts.

Was hat sich für den Fahrer auf dem Motorrad verändert?

Das Gefühl. Ich bin 2018 in die MotoGP gekommen und mit jedem Jahr haben sie das Motorrad verändert und ein neues Bike gebracht. Das generelle Konzept blieb dabei aber immer unverändert, nur der Charakter des Motors veränderte sich: Der Motor hatte mehr Drehmoment, eine andere Leistungsentfaltung… Das Chassis und das Gefühl zur Front und zum Hinterrad dagegen blieben dasselbe.

Das 2022er-Bike war dann auf allen Ebenen ganz anders. Das Chassis, die Geometrie, das Gefühl zur Front… Das Motorrad hat die Honda-DNA verloren, weshalb ich meinen Fahrstil verändern musste, den ich mir zuvor vier Jahre lang angeeignet hatte.

Anders gesagt: Du musstest neu lernen, wie du dein Bike fährst?

Ja, ehrlich gesagt habe ich das getan. Das 2022er-Motorrad war so anders, dass ich umlernen musste. 2018 und dann 2019, 2020 und 2021 hatte das Motorrad immer den einen Charakter, aber plötzlich hat sich alles verändert: Der Grip am Hinterrad, das Gefühl zur Front… Alles wurde anders.

Ich erinnere mich, dass ich sehr überrascht war. Ich habe es erstmals in Jerez beim Wintertest nach dem letzten GP der Saison 2021 getestet. Schon nach der ersten Runde habe ich mir gedacht: «Oh, das ist ein komplett anderes Bike.»

Der erste Eindruck war nicht negativ. Ich muss gestehen, dass es mir gefallen hat, dass das Motorrad anders war als das, was wir bis dahin gefahren waren. Als dann aber die Saison 2022 begonnen hat… Das größte Problem war, dass wir nicht auf all die Erfahrung zurückgreifen konnten, die wir über die Jahre angesammelt hatten.

Vorher haben wir die gesammelten Daten genutzt, wenn wir an einem Wochenende mit dem Set-up verloren waren, und das hat uns geholfen, wieder auf den richtigen Weg zu finden. 2022 war das aber unmöglich. Wir mussten die Lösung am Rennwochenende selbst finden. Es war schwierig.

Eine Situation, die den für das MotoGP-Projekt verantwortlichen Ingenieur dazu veranlasst hat, jedem Fahrer die Freiheit zu geben, sein Motorrad unabhängig von den anderen zu entwickeln. Das hat zur totalen Verwirrung geführt.

Ja, die vier Fahrer hatten unterschiedliche Chassis und haben andere Strategien für die Entwicklung verfolgt. Jeder Crew-Chief hat andere Ideen angewandt. Wir konnten nichts kopieren, wir konnten keine Daten austauschen, wir konnte nicht einmal unsere Ideen teilen, weil alle vier ihre eigenen hatten.

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