Marc Marquez: «Das Ende des Albtraums»

Stefan Bradl (HRC): «Ich bin kein Entwicklungsfahrer»

Von Günther Wiesinger
Wegen der jahrelangen Honda-Misere in der MotoGP wird von manchen Besserwisser gemutmasst, Stefan Bradl sei mitschuldig am Desaster. Für SPEEDWEEK.com analysierte er für die Laien die Aufgabe eines Testfahrers.

Wenn man ein paar Interviews von Stefan Bradl aus den letzten sechs bis acht Monaten durchliest, dann schöpfte der Honda-MotoGP-Testfahrer damals Hoffnung auf eine rosigere Zukunft. «Es tut sich was bei Honda», stellte der Bayer im vergangenen Dezember fest, weil er dann im Januar gleich noch einmal in Jerez testete und mit schlagkräftigem neuem Material rechnete. Nach dem Jahreswechsel wettete der siebenfache GP-Sieger sogar, Marc Márquez werde 2023 wieder um den WM-Titel kämpfen. 

Naja, vorläufig könnten die Chancen auf einen Wettgewinn besser sein. Denn nach acht Grand Prix hat der Repsol-Honda-Star in der MotoGP-WM in den Sonntag-Rennen noch keinen Punkt ergattert, er liegt an 19. Stelle der Fahrer-WM. Bei Honda hat sich Ernüchterung breit gemacht und sich die Überzeugung von Marc vom November-Test in Valencia bewahrheitet.

«Dieser 2023-Prototyp ist kein Sieger-Motorrad», lautete Marcs Diagnose damals nach Platz 13.

Trotz der vierten holprigen MotoGP-Saison von Honda machte sich Bradl nie Sorgen um einen neuen Testfahrer-Vertrag. «Denn es standen ja nicht fünf andere Fahrer Schlange», meinte er, ehe HRC im Juni die Option in seinem Zwei-Jahres-Vertrag auf ein drittes Jahr eingelöst hat.

Viele Internet-Posting-Experten schieben Stefan Bradl die Schuld an der Honda-Misere zu. Dabei stellte zum Beispiel Yamaha-Renndirektor Lin Jarvis kürzlich im Gespräch mit SPEEDWEEK.com fest: «Ich glaube nicht, dass unsere gegenwärtigen Probleme mit dem Testfahrer zu tun haben. Wir haben mit Engineering- und Entwicklungs-Angelegenheiten zu kämpfen. Der Testfahrer ist für das Design des Motorrads nicht verantwortlich. Nur Personen, die keinen Einblick haben, können behaupten, der Testfahrer habe einen signifikanten Effekt auf die Entwicklung des Bikes. Es ist wichtig, einen schnellen Testfahrer zu haben, der auf den GP-Pisten eine gute Pace fahren und seine Meinung schildern kann. Doch der Rest muss von den Ingenieuren erledigt werden.»

Marc Márquez stellte Bradl bereits im zweiten Jahr seiner Tätigkeit als HRC-Testfahrer ein gutes Zeugnis aus: «Seit Stefan Bradl bei uns als Testfahrer tätig ist, ist kein Teil mehr in meine Box geliefert worden, das nicht besser war als das vorherige.»

Das bedeutete: Stefan Bradl siebt das brauchbare neue Material aus und lässt die rückschrittlichen Komponenten zu den Akten legen.

SPEEDWEEK.com erkundigte sich beim Moto2-Weltmeister von 2011, ob diese kurze Beschreibung und Sichtweise seines Jobs den Tatsachen entspricht.

«In einfachen Worten sind das die ausschlaggebenden Aspekte. Ja, man kann das so sagen. Wenn ich den Eindruck habe, dass gewisse neue Teile keinen Vorteil bringen, gehen sie sicher nicht weiter ans Werksteam. Denn wenn meine Kommentare negativ ausfallen, sind normalerweise auch auf der Uhr keine Fortschritt zu sehen, also bei den Rundenzeiten», stellte Stefan fest. «Ich bin ja nicht erst seit gestern Testfahrer. Ich arbeite jetzt fünfeinhalb Jahre mit HRC und Marc zusammen. Also wissen wir, wenn mich irgendeine Komponente nicht schneller macht, brauchen wir sie auch Marc nicht zur Beurteilung weitergeben.»

Stefan Bradl hat 2011 in Doha in der Moto2-WM für den ersten Moto2-Sieg von Kalex gesorgt, inzwischen sind es 169 – und dazu zehn Marken-WM-Titel in Serie. Er hat also auch bei der Entwicklung der Kalex zum Sieger-Motorrad einiges beigetragen. Vor ihm wollte kein Topfahrer auf das deutsche Fabrikat steigen.

Wie kann Stefan Bradl seine Aufgabe als Testfahrer am besten beschreiben? «Ich entwickle das Motorrad nicht. Sondern ich teste die neuen Teile, die im Testteam ankommen und bewerte, ob sie das Paket verbessern oder nicht. Wenn mein Kommentar positiv ausfällt, gehen die Teile natürlich so schnell wie möglich ans GP-Team. Wenn das nicht der Fall ist, wird es in der Regel aussortiert oder wieder zurückgeschickt, danach angepasst und verbessert.»

«Der Begriff Entwicklungsfahrer ist falsch», betont Bradl. «Ich bin Test- und Ersatzfahrer. Für die Entwicklung der Rennmotorräder sind die Ingenieure verantwortlich. Sie nehmen meine Informationen und mein Feedback auf, dann ziehen sie ihre Schlüsse. Nachher wird am Computer entwickelt mit CAD-Zeichnungen und so weiter.»

MotoGP-Ergebnisse, Assen (25. Juni):

1. Bagnaia, Ducati, 26 Rdn in 40:37,640 min
2. Bezzecchi, Ducati, + 1,223 sec
3. Aleix Espargaró, Aprilia, + 1,925
4. Brad Binder*, KTM, + 1,528
5. Martin, Ducati, + 1,934
6. Alex Márquez, Ducati, + 12,437
7. Marini, Ducati, + 14,174
8. Nakagami, Honda, + 14,616
9. Morbidelli, Yamaha, + 29,335
10. Augusto Fernández, KTM, + 33,763
11. Savadori, Aprilia, + 35,084
12. Raúl Fernández, Aprilia, + 39,622
13. Bradl, Honda, + 42,504
14. Folger, KTM, + 45,609
– Di Giannantonio, Ducati, 8 Runden zurück
– Lecuona, Honda, 12 Runden zurück
– Oliveira, Aprilia, 14 Runden zurück
– Bastianini, Ducati, 20 Runden zurück
– Viñales, Aprilia, 23 Runden zurück
– Quartararo, Yamaha, 24 Runden zurück
– Zarco, Ducati, 24 Runden zurück
– Miller, KTM, 25 Runden zurück

*= ein Platz zurück («track limits»-Vergehen)

Ergebnisse MotoGP-Sprint Assen (24. Juni):

1. Bezzecchi, Ducati, 13 Rdn in 20:09,174 min
2. Bagnaia, Ducati, +1,294 sec
3. Quartararo, Yamaha, +1,872
4. Aleix Espargaró, Aprilia, +2,245
5. Brad Binder*, KTM, +4,582
6. Martin, Ducati, +5,036
7. Viñales, Aprilia, +5,876
8. Bastianini, Ducati, +10,102
9. Alex Márquez, Ducati, +10,525
10. Marini**, Ducati, +10,556
11. Miller, KTM, +11,191
12. Nakagami, Honda, +11,473
13. Zarco, Ducati, +15,439
14. Augusto Fernández, KTM, +17,754
15. Morbidelli, Yamaha, +19,508
16. Savadori, Aprilia, +19,664
17. Marc Márquez, Honda, +19,916
18. Raúl Fernández, Aprilia, +20,583
19. Oliveira, Aprilia, + 24,269
20. Lecuona, Honda, +24,727
21. Folger, KTM, +32,056
22. Bradl, Honda, +35,372
– Di Giannantonio, Ducati, 10 Runden zurück
*= erhielt 3 sec Strafe
**= erhielt 0,5 sec Strafe

WM-Stand nach 16 von 40 Rennen:

1. Bagnaia, 194 Punkte. 2. Martin 159. 3. Bezzecchi 158. 4. Binder 114. 5. Zarco 109. 6. Marini 98. 7. Miller 79. 8. Aleix Espargaró 77. 9. Quartararo 64. 10. Alex Márquez 63. 11. Morbidelli 57. 12. Viñales 56. 13. Rins 47. 14. Augusto Fernández 42. 15. Nakagami 34. 16. Di Giannantonio 34. 17. Oliveira 27. 18. Bastianini 18. 19. Marc Márquez 15. 20. Pedrosa 13. 21. Savadori 9. 22. Folger 9. 23. Raúl Fernández 8. 24. Pirro 5. 25. Petrucci 5. 26. Mir 5. 27. Bradl 5.

Konstrukteurs-WM:
1. Ducati, 285 Punkte. 2. KTM 153. 3. Aprilia 121. 4. Honda 89. 5. Yamaha 82.

Team-WM:
1. Prima Pramac Racing, 268 Punkte. 2. Mooney VR46 Racing 256. 3. Ducati Lenovo Team 222. 4. Red Bull KTM Factory Racing 193. 5. Aprilia Racing 133. 6. Monster Energy Yamaha 121. 7. Gresini Racing 97. 8. LCR Honda 84. 9. GASGAS Factory Racing Tech3, 51. 10. CryptoDATA RNF 39. 11. Repsol Honda 20.


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