KTM: Im Werk gingen die Lichter aus

MotoGP: Was Honda leistet, spottet jeder Beschreibung

Von Günther Wiesinger
Die Honda-Manager Kuwata und Kawauchi in der Repsol-Box

Die Honda-Manager Kuwata und Kawauchi in der Repsol-Box

Firmengründer Soichiro Honda versprach 1954, er werde alles in seiner Macht Stehende tun, um die Tourist Trophy zu gewinnen. Fast 70 Jahre später blamiert sich Honda bis auf die Knochen.

Es ist kein Wunder, wenn sich die gegnerischen Werksteams, unzählige Fans und Veranstalter langsam Sorgen um die Zukunft des Honda-Werksteams machen. Denn auch Suzuki hatte einen Vertrag mit der Dorna bis Ende 2026 und hat Anfang Mai 2022 den Rückzug per Saisonende angekündigt und durchgezogen.

Tatsache ist: Immer wenn man meint, das MotoGP-Projekt des weltgrößten Zweiradherstellers (es werden 17 Millionen Bikes im Jahr verkauft) habe den Tiefpunkt erreicht, geht es noch weiter bergab.

Das Desaster gipfelte beim Sachsening-GP am Sonntag, als zum zweiten Mal innerhalb von ca. zwei Monaten das Repsol-Team völlig aufgerieben war und wie in Argentinien weder Marc Márquez noch Joan Mir und auch kein Ersatzfahrer auf dem Grid stand.

Das hat seit Beginn der MotoGP-Viertakt-Ära 2002 kein Hersteller mit seinem Factory Team zustande gebracht.

Aber droht der Honda-Ausstieg? Die Experten sagen, die Japaner sind zu stolz und werden die Schlappe nicht auf sich sitzen lassen. Aber dann müssen bald einige Köpfe rollen.

2022 gelangen Honda im ganzen Jahr am Sonntag nur zwei Podestplätze: Pol Espargaró startete als Dritter in Doha in die Saison, Marc Márquez räumte in Phillip Island den zweiten Platz ab.

Die Bilanz 2023 sieht im Vergleich noch viel grauenhafter aus: Marc Márquez hat an den Rennsonntagen noch keinen einzigen Punkt errungen.

Nach dem elften Platz vom Samstag und der Nullnummer vom Sonntag ist der ehemalige «King of The Ring» (bisher elf GP-Siege auf dem Sachsenring!) in der WM wieder vom 18. auf den 19. Platz zurückgefallen. Und Texas-Sieger Alex Rins (Schien- und Wadenbeinbruch im Sprint in Mugello) ist in der Tabelle seit dem Austin-Triumph vom dritten auf den 13. WM-Position abgerutscht. In Assen wird er bei LCR-Honda von Stefan Bradl ersetzt.

Während sich die obersten MotoGP-Manager von Suzuki (zur Zeit von Kenny Roberts junior) und von Yamaha (in Spielberg zu Zeiten von Rossi und Viñales) je einmal für das nicht konkurrenzfähige Material entschuldigt haben, herrscht bei Honda betretenes Schweigen.

Im Herbst wurde zwar MotoGP Technical Director Takeo Yokoyama seines Postens enthoben, aber unter dem neuen Technical Manager Ken Kawauchi (vormals bei Suzuki) hat sich die Situation weiter verschlimmert. Außerdem scheint Shinichi Kokubu mehr technische Befugnisse erhalten zu haben.

Ob sich dies vorteilhaft für die Performance der Honda RC213V ausgewirkt hat, mögen die Fahrer und seine Vorgesetzten beurteilen. Wenn man die nackten Ergebnisse 2023 anschaut, wird jeder Honda-Fan vom Grauen gepackt.

Kokubu ist mir als Moto3-Ingenieur in Erinnerung, der mit der ersten Moto3-Honda mit der Bezeichnung NSF250R Schiffbruch erlitten hat. Obwohl es vor allem die Honda-Techniker waren, die das Ende der 125-ccm-Zweitakt-WM gefordert hatten, weil sie gegen Aprilia, Derbi und KTM auf verlorenem Posten standen und die Viertakter ins Spiel brachten.

Was passierte dann? KTM gewann als belächelte Offroad-Firma mit der hauseigenen WP-Suspension die Moto3-WM 2012 und 2013 mit Cortese und Viñales. Viñales reiste als gescheiterter Titelanwärter und Honda-Fahrer 2012 am Freitag vor dem Training beim Malaysia-GP ab, weil er jeden weiteren Ritt mit der Honda als Zeitverschwendung betrachtete. Die Japaner sträubten sich während der Saison im Gegensatz zu KTM gegen jede Weiterentwicklung, die damals noch erlaubt war.

Aber Honda wusste sich zu helfen. Die Japaner kopierten das Bohrung-Hub-Verhältnis von KTM und die von KTM verwendete Doppel-Auspuffanlage von Akrapovic, baute mit der NSF250RW (W steht steht für «works») eine verkleinerte MotoGP-Kopie und gewann mit diesem Prototyp unter Alex Márquez 2014 die WM.

In den letzten drei Jahren triumphierte freilich jeweils die rot-weiß-rote Pierer-Truppe mit Arenas, Acosta und Guevara in der Moto3-WM. 2023 dominiert neuerlich KTM mit Dani Holgado, der in der WM 41 Punkte voran liegt.

Die Honda-Dilettanten haben auch nach drei tristen Jahren keinen blassen Schimmer, wie sie künftige Blamagen vermeiden und irgendwann wieder aufs Podest kommen können.

Repsol-Honda galt über Jahrzehnte hinweg als beste Adresse in der Königsklasse. Seit 1995 wurden nicht weniger als 13 Fahrer- und 16 Marken-WM-Titel gewonnen. Inzwischen können die Japaner neben Marc Márquez nur noch arbeitslos gewordene Suzuki-Fahrer anlocken.

Inzwischen muss längst auch die Position von Marcs Crew-Chief Santi Hernandez in Frage gestellt werden. Er galt natürlich als unantastbar, als die Nummer 93 in sieben Jahren sechs MotoGP-Titel gewann.

Aber wenn LCR mit Rins gewinnen kann und Marc Márquez in zwei Jahren keinen Sieg zustande bringt, in Mandalika 2022 viermal und auf dem Sachsenring 2023 fünfmal stürzt, dann fehlt es nicht nur im technischen Bereich, sondern auch an einem perfekten Spielplan fürs Wochenende.

Nakagami kommt wenigstens immer ins Ziel und beendete das Warm-up am Sonntag als Sechster, während Marc Márquez das katastrophale Wochenende mit einem Highsider abrundete, dessen Folgen er auch in Assen spüren wird. Und nicht zu vergessen: Rins beendete bei LCR den Freitag in Mugello als Dritter, obwohl er dort kein Kalex-Chassis bekam.

Übrigens: Beim Zählen der Stürze von Marc Márquez verlor auf dem Sachsenring so manches prominente Repsol-Honda-Teammitglied die Übersicht – und sprach von sechs Crashes.

Planlos, ratlos, orientierungslos – man weiß beim besten Willen nicht mehr, wie man die Stimmung bei HRC momentan beschreiben soll.

«Aus diesem Schlamassel kommt Honda nicht so schnell wieder raus», seufzte ein HRC-Techniker schon nach dem Mugello-GP.

Was ist aus dieser Firma geworden, die sich einst zu Recht den Slogan «Honda enters, Honda wins» zu eigen machte?

Soichiro Honda würde sich im Grab umdrehen, wenn er die erbärmliche MotoGP-Performance seiner einst ruhmeichen Mannschaft mitbekommen würde.

Als sich Honda 1954 entschloss, eines Tages an der Tourist Trophy teilzunehmen, schrieb der Firmengründer an seine Mitarbeiter: «Ich sehe, dass Deutschland, obwohl sie sie im Zweiten Weltkrieg wie wir eine Niederlage erlitten haben, viele aufstrebende Industriezweige unterhält. Das bestärkt mich in meinem Gefühl, dass wir uns dem Wettkampf bei der TT auf der Insel Man stellen müssen. Wir müssen den wahren Stellenwert der japanischen Maschinenindustrie herausfinden und ihn auf ein Niveau bringen, das wir stolz vor der gesamten Welt zur Schau stellen können.»

Dann setzte Präsident Soichiro Honda fort: «Ich kündige mit diesem Schreiben meine Entschlossenheit und mein Gelöbnis an, an der TT-Rennen teilzunehmen und sie zu gewinnen – gemeinsam mit Euch! Ich werde dieses Ziel von ganzem Herzen und mit dem Tiefsten meiner Seele unterstützen. Ich werde dieser Aufgabe mit meiner ganzen Kreativität und all meinen Fähigkeiten nachgehen. Das gelobe ich.»

Übrigens: 1961 gewann Honda mit Mike Hailwood bei der TT den 125-ccm-Lauf – vor den vier Markenkollegen Taveri, Phillis, Redman und Shimazaki.  

Wann hören wir ähnlich aufrüttelnde Bekenntnisse der heutigen HRC-Sesselkleber?

Was die aktuelle Honda-Truppe seit drei Jahren in der MotoGP trotz grenzenloser Budgets abliefert, spottet jeder Beschreibung und kann nur als Armutszeugnis bezeichnet werden.

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