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Marc Márquez: Tut er sich noch eine Honda-Saison an?

Von Günther Wiesinger
Marc Márquez

Marc Márquez

Marc Márquez steht vor einer schwierigen Entscheidung. Soll er sich eine weitere Saison auf der hoffnungslosen Honda antun? Seine Begeisterung an dieser Lösung hält sich in Grenzen. Aber bei KTM gibt es keinen Platz.

Marc Márquez hat sich bei den letzten beiden Grand Prix auf dem Sachsenring und in Assen am Sonntagvormittag entschieden, am Hauptrennen ab 14 Uhr nicht teilzunehmen, weil er nach den vielen Stürzen (5 mal beim Deutschland-GP innerhalb von 40 Stunden) wie gerädert fühlte.

«Wie ihr wisst, bin ich von meiner körperlichen Verfassung her nicht 100- prozentig fit nach Assen gekommen», erklärte Marc. «Neben dem verstauchten Knöchel und dem gebrochenen Finger hatte ich eine gebrochene Rippe, die sehr schmerzte. Ich bin in Assen am Sonntagmorgen mit starken Schmerzen aufgewacht. Nach einer Kontrolle haben wir gemeinsam mit dem Ärzteteam beschlossen, nicht zu fahren. Wir wollten verhindern, dass sich mein Zustand weiter verschlimmert und sicherstellen, dass ich mich in der Sommerpause erholen kann.»

Der Repsol-Honda-Star bezeichnete die Dutch-TT als Tiefpunkt. Er räumte am Sonntag in Assen in überraschender Offenheit ein, er brauche die Pause jetzt nicht nur, um körperlich wieder fit zu werden, sondern auch um «die mentale Seite wieder aufbauen».

Die Sturzserie und besonders der heftige Highsider im Warm-up zum Deutschland-GP («Ein unerwarteter Crash, nach nur zwei Runden, ohne zu pushen. Das ist für einen Fahrer schwer zu verstehen») haben das Vertrauen des Repsol-Honda-Werkspiloten deutlich angeknackst.

Marc Márquez hat sich deshalb in der Sommerpause viele Gedanken über Gegenwart und Zukunft gemacht. Stefan Pierer, der Vorstandsvorsitzende der Pierer Mobility AG mit den Marken KTM, Husqvarna und GASGAS, versicherte vor zwei Wochen gegenüber SPEEDWEEK.com: «Du glaubst nicht, wie oft uns Marc Márquez in den letzten Monaten angeboten worden ist.»

Márquez: 2023 am Sonntag bisher null Punkte

Der 59-fache MotoGP-Sieger hat schon beim November-Test mit dem 2023-Prototyp der Honda RC213V erkannt: «Das ist kein Sieger-Motorrad.» Deshalb verlor er auch bei den weiteren Wintertests in Sepang und Portimão dauernd 0,7 bis 0,8 Sekunden auf die Bestzeit.

Nach seiner bewährten «Alles oder nichts»-Devise donnerte der sechsfache MotoGP-Weltmeister in der Portugal-Quali und im Sprint Race trotzdem auf Platz 3 und in die erste Startreihe. Doch im Sonntag-Rennen rammte Marc nach einem extrem optimistischen Bremsmanöver den Lokalmatador Miguel Oliveira; er erlitt einen Knochenbruch an der rechten Hand und fiel dann für drei weitere Rennen aus.

Nach acht Grand Prix steht Marc Márquez bei den Sonntag-Events mit null Punkten da, dreimal ist er gestürzt, sechsmal gar nicht angetreten.

Seit Assen hat der Honda-Star und WM-Neunzehnte seine Möglichkeiten für die Zukunft abgewogen.

1. Marc könnte den Honda-Vertrag auflösen, aufhören oder zumindest ein Jahr Pause einlegen.

2. Marc könnte in den sauren Apfel beissen und sich ein weiteres Jahr mit der hoffnungslosen RC213V abmühen.

3. Marc könnte zur Pierer-Gruppe wechseln und dort mit einer KTM oder Husqvarna als Werksfahrer auftreten. Aber die Österreicher haben bisher neben dem Red Bull KTM Team (Binder und Miller sind für 2024 fix) und dem GASGAS-Tech3-Rennstall keine zwei zusätzlichen Plätze bekommen. Denn LCR-Honda-Teambesitzer Lucio Cecchinello betonte kürzlich, er werde seinen Vertrag bei Honda bis Ende 2024 erfüllen. Beim Crypto DATA-RNF-Aprilia-Kundenteam bahnt sich keine Trennung von Aprilia an. Und Dorna-Chef Carmelo Ezpeleta versichert: «Die beiden vakanten Suzuki-Slots stehen nicht zur Verfügung.»

Die Pierer Mobility hat aber drei Fahrer für zwei Plätze unter Vertrag: Pol Espargaró, Augusto Fernández und Pedro Acosta sind beim GASGAS-Tech3-Team eingeplant – für zwei Motorräder.

Wenn kein Wunder passiert, wird sich also kein Transfer von Marc Márquez zu KTM verwirklichen lassen, obwohl die HRC-Manager von Alberto Puig bis Koji Watanabe (HRC-Präsident) Ende Juni festgestellt haben: «Wir werden keinen Fahrer zum Bleiben zwingen, der nicht bei uns bleiben will.»

Honda: Auch Rins nimmt Reissaus

Ein Abgang von Marc Márquez hätte verheerende Folgen: Honda verliert bereits Alex Rins an Yamaha und müsste dann womöglich Taka Nakagami (in sechseinhalb Jahren kein Podestplatz) zum Repsol-Honda-Teamkollegen von Joan Mir machen, der wegen seiner Fingerverletzung von Mugello gleich auf drei Grand Prix verzichtete, obwohl ihn der Rennarzt am Freitagnachmittag für «fit to race» erklärte. Iker Lecuona würde wohl bei LCR landen. Und dann braucht Cecchinello noch einen Rins-Ersatz... Moto2-WM-Leader Tony Arbolino könnte ein Kandidat werden. Denn Morbidelli wird wohl bei Gresini Ducati oder Mooney VR46 landen, wenn Bezzecchi ins Pramac Team aufrückt und Zarco dafür zu Gresini geht. 

Da ist Marc Márquez aus einem anderen Holz geschnitzt. Er schwang sich in Jerez 2020 beim zweiten Grand Prix in Andalusien vier Tage nach der ersten Oberarm-Operation wieder auf sein Motorrad.

Wann sich Marc Márquez entscheidet oder wann er die Katze aus dem Sack lässt, weiß niemand. Falls sich unerwarteter Weise doch noch ein Deal mit der Pierer-Gruppe ergibt, würde sich der Österreich-GP (18. bis 20. August) für ein Announcement anbieten.
Sogar die Konkurrenz wünscht sich, dass Marc Márquez dem MotoGP-Spektakel nicht verloren geht. «Man kann ihn mögen oder nicht, aber es steht fest, dass sich Márquez als Fahrer große Verdienste um unseren Sport erworben hat», erklärte Aprilia-Rennchef Massimo Rivola gegenüber SPEEDWEEK.com. «Für die Show ist immer wertvoll, was er aufführt, auch wenn er an manchen Wochenenden mehrmals stürzt.»

Allmählich müssen sich die Honda-Verantwortlichen auch fragen, ob Marc Márquez mit seinem einzigartigen Fahrstil mit starker Belastung des Vorderrads der ideale Mann für die Motorradentwicklung ist. Denn bald nach dem Abgang von Dani Pedrosa bei Honda Ende 2018 ging es bergab.

Auch Honda hat die Orientierung verloren. 2021 wurde aus lauter Verzweiflung für jeden der vier MotoGP-Fahrer ein massgeschneidertes Bike gebaut, aber diese «customized bikes» brachten keinen Durchbruch. Marc Márquez gewann zwar drei Rennen. Doch sein Teamkollege Pol Espargaró brachte in Misano nur ein einziges Podestergebnis zustande.

2022 stürzten die Honda-Fahrer auf die WM-Ränge 13 (M. Márquez), 16 (Pol Espargaró), 17 (A. Márquez) und 18 (Nakagami) ab). Der sechste und letzte Platz in der Konstrukteurs-WM untermalte die trostlose Saison. Der Höhepunkt geschah in Sachsen: Erstmals in 40 Jahren blieb Honda in der Königsklasse ohne Punkte.

Rettung durch Kalex gescheitert?

Danach folgten ein paar Alibihandlungen, um Marc Márquez bei Laune zu halten. Im September wurde in Misano eine Aluschwinge von Kalex getestet. Dann wurden Auspuffanlagen bei Akrapovic bestellt, Technical Director Takeo Yokoyama wurde versetzt; sein Nachfolger Ken Kawauchi fügte sich aber punkto Ratlosigkeit nahtlos in die Reihe der HRC-Ingenieure ein.

SPEEDWEEK.com deckte im März 2023 auf, dass der Acht-Mann-Betrieb Kalex in Bobingen/D für Honda auch noch komplette Alu-Chassis entwickelt.

Marc Márquez setzte den Kalex-Rahmen in Le Mans erstmals im Rennen ein und lobte ihn, weil er damit auch drei Runden vor Schluss so schnell fahren konnte wie am Anfang.

Doch beim nächsten Grand Prix gelang LCR-Honda-Pilot Alex Rins in Mugello mit dem alten TSR-Chassis aus Japan am Freitag die drittbeste Zeit. Marc Márquez kam mit dem Kalex-Gefährt über Rang 8 nicht hinaus.

Nach dem verpfuschten Sachsenring-Weekend und Platz 17 im Assen-Sprint ließ Superstar Márquez für den Sonntag in Assen beide Kalex-Chassis ausbauen.

«Das ist der Nachteil von extrem schnellen Piloten», meint Aprilia-Racing-CEO Massimo Rivola. «Sie übertünchen durch ihre Risikobereitschaft und ihr Fahrkönnen die technischen Probleme ihrer Rennmotorräder, sie überfahren und verstecken sie dadurch.»

Frühestens beim Montag-Test in Misano (11. September) wird Marc Márquez ein erstes Verständnis von der Schlagkraft des 2024-Prototyps von Honda bekommen.

Die Hausaufgaben für die Ingenieure sind umfangreich: Die Leistungsentfaltung des Motors ist zu aggressiv und verschleißt die Hinterreifen zu stark. Das Chassis passt nicht zu den weichen Michelin-Reifenmischungen, deshalb klappen die Zeitenjagden nicht. Das Ergebnis – meist triste Startplätze. Auch bei der Elektronik ist Honda hinter die Konkurrenz zurückgefallen, wie Marcs massiver Highsider im Sachsenring-Warm-up gezeigt hat.

Seit Jerez 2020 fanden 60 Grand-Prix-Rennen statt. Doch Márquez nahm nur an der Hälfte teil und kam nur bei 20 dieser 30 Wettkämpfe ins Ziel. Dennoch schaffte es der Honda-Star fünf Mal aufs Podest, darunter drei Siege in Sachsen, Austin und Misano 2021. Außerdem gelang der Nummer 93 in Portimão 2023 der Sprung auf das Sprint-Podest.

Seither machte der Ausnahmekönner in erster Linie durch Stürze und Verletzungen von sich reden.

Trotzdem wird Marc Márquez auch in England im Mittelpunkt stehen. Freund und Feind wollen wissen, wie es bei ihm weitergeht. 

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