Nach Marc Márquez: Wer wird Hondas Fackelträger?
Düstere Honda-Lage: Lichtblick Marc Márquez wird gehen
Wenn man sich in der Finsternis wiederfindet, kann man in der Regel einen Ausweg finden, wenn Kompetenz und Willenskraft gegeben sind. Vorausgesetzt, man findet auch eine Fackel.
Keiner wird bezweifeln, dass der Honda Racing Corporation, die im Moment ganz klar im Dunkeln tappt, Kompetenz oder Willenskraft abgehen würden. Der erfolgreichste Hersteller in der Geschichte des Motorradsports verfügt definitiv über die ingenieurstechnischen Fähigkeiten und die unternehmerische Entschlossenheit, sich selbst aus dieser Finsternis zu befreien. Wer aber wird die Fackel hochhalten?
Honda braucht einen guten Fahrer. Einen mit Können, Hingabe und der nötigen Geduld… Denn diese Dinge brauchen Zeit.
Mit der Bestätigung von Marc Márquez‘ Abgang kamen unweigerlich jede Menge Spekulationen auf. Es gibt einige interessante Möglichkeiten.
Johann Zarco verfügt über viel Erfahrung – und kommt noch dazu von Ducati. Lucio Cecchinello drängte allerdings darauf, den nunmehrigen MotoGP-Sieger in seinen Reihen zu halten. Der Franzose selbst machte in Australien deutlich, er sei kein Lückenfüller für eine Saison und bevorzuge einen Zwei-Jahres-Vertrag mit LCR. Aber könnte HRC beide Parteien mit triftigen Argumenten noch dazu bringen, ihre Meinung zu ändern?
Miguel Oliveiras Name fällt immer wieder. Ein weiterer Fahrer, der das Können eines fünffachen MotoGP-Siegers mit Erfahrung und ausgeprägter Intelligenz kombiniert. Und einer Portion Groll, weil er bei Red Bull KTM seinen Platz für Jack Miller räumen musste, daraufhin trotzig das GASGAS-Tech3-Angebot ausschlug und einen Neustart wagte – mit Aprilia, allerdings auch nur mit Kundenteam-Status. Aus seinem Wunsch, schnellstmöglich wieder in ein Factory Team aufzusteigen, macht er keinen Hehl. Allerdings stellt er hohe Forderungen.
Iker Lecuona durfte als Ersatzmann in dieser Saison fünf Mal MotoGP-Erfahrung sammeln. Der Spanier zeigt zwar Enthusiasmus, hat allerdings keine großartige Erfolgsbilanz vorzuweisen. Er könnte jedoch zumindest viele Runden abspulen, um Teile zu testen. Für ihn spricht der Elan eines Fahrers, der sich unbedingt noch einmal in der MotoGP beweisen will und dafür jede Gelegenheit wahrnimmt.
Theoretisch steht nun auch Pol Espargaró ohne Stammfahrer-Vertrag für 2024 da, weil er bei GASGAS Factory Racing Tech3 für den aufstrebenden Pedro Acosta Platz machen muss. Aber weder Pol noch das Repsol Team sind gewillt, ihrer zweijährigen und von Crashen geprägten Misere ein weiteres Kapitel hinzuzufügen. Niemand würde das noch einmal sehen wollen.
Mit Marcs Wechsel ins Gresini Racing Team gibt es aber einen anderen Kandidaten, der zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt der Saison noch ohne Motorrad für 2024 dasteht: Fabio Di Giannantonio, der zwar in seinen ersten eineinhalb Jahren in der Königsklasse nur wenige Glanzpunkte setzte, dafür aber in den jüngsten Rennen gehörig auftrumpfte. Auf zwei Top-10-Ergebnisse in Indien ließ der 25-jährige Römer in Indonesien Platz 7 im Sprint und einen vierten Rang im Hauptrennen folgen. Am vergangenen Samstag erklomm er auf Phillip Island in einem vorgezogenen Grand Prix nach einer spektakulären letzten Runde dann als Dritter erstmals das MotoGP-Podest. Keine schlechte Visitenkarte für einen arbeitslosen Fahrer.
Es wird also interessant.
Bei Marc Márquez‘ Abschied wird das Honda-Budget einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen (und es wird vielleicht sogar durch eine etwaige Vertragsstrafe aufgepäppelt). Es gibt also mehr als genug für alle oben Genannten, um die Hoffnung auf einen kurzfristigen Erfolg zu opfern und stattdessen Honda dabei zu helfen, wieder zur Form zu finden.
Nicht alle potenziellen Fackelträger sind Fahrer
Marc selbst sprach in diesem Jahr offen darüber, dass Honda die konservative Arbeitsweise ablegen müsse, indem man einige der Talente rekrutiert (das heißt: abwirbt), die den Aufstieg der europäischen Marken vorangetrieben haben.
HRC erkannte das zumindest indirekt an, als Shinichi Kokubu, langjähriger HRC General Manager, seinen Hut nehmen musste. Er hatte seit den 1990er-Jahren führende Rollen inne.
Ducati-Rennchef Gigi Dall‘Igna räumte erst kürzlich in einem Interview mit der italienischen Sporttageszeitung «La Gazzetta dello Sport» ein, dass er ein Angebot aus Japan abgelehnt habe. Nachdem er Ducati schon mühsam an die Spitze geführt hatte, wollte er sich die Herausforderung bei Honda nicht mehr antun. Oder hatte er vielleicht das Gefühl, dass er dort nicht über dieselbe Autorität verfügen würde, wie er sie in Borgo Panigale genießt, wo er so ziemlich alles machen kann, was er will?
Es gibt natürlich auch andere Ingenieure, aber keine so namhaften. Dennoch kann man sicher sein, dass Repsol-Honda-Teammanager Alberto Puig an einige Türen klopft.
Dann ist da noch ein genauso wichtiger Name, auch wenn es sich weder um einen Fahrer, noch um einen Ingenieur handelt: Carmelo Ezpeleta, der Boss der Dorna. Wie immer spielt er eine entscheidende Rolle.
Noch bevor Marcs Transferbombe explodierte, hatte Carmelo die Idee ins Spiel gebracht, den strauchelnden japanischen Herstellern mit besonderen «concessions» unter die Arme zu greifen. Also jene Zugeständnisse wie die Weiterentwicklung des Motors während der Saison und uneingeschränktes Testen, die Ducati, KTM und Aprilia dabei halfen, konkurrenzfähig zu werden.
Ducati ist wenig angetan von der Idee und in der Hersteller-Vereinigung MSMA müssen die Beschlüsse einstimmig gefasst werden. Letztendlich ist aber Ezpeleta der Boss…
Und der wichtigste Kandidat?
Der bleibt Marc Márquez. Er hat nur einen Ein-Jahres-Vertrag mit Gresini vereinbart. Gelingt Honda im nächsten Jahr die Kehrtwende, könnte er zurückkehren – mit Ducati-Input, seiner schieren Entschlossenheit und seinem überragenden Talent.
Es sind schon merkwürdigere Dinge passiert.