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Andres Madrid – der Schatten von Brad Binder

Von Thomas Kuttruf
Eine Woche vor dem Start der MotoGP-Rennsaison sprachen wir exklusiv mit Andres Madrid über seine spezielle und überaus erfolgreiche Arbeit mit WM-Mitfavorit Brad Binder.

In der hochkomplexen MotoGP-Welt kommen selbst top talentierte Rennpiloten nicht ohne perfekt funktionierende Schnittstelle in die Technik-Strukturen ihrer Teams aus. Die Rolle des Übersetzers, Mediators, Zuhörers und Ansagers – oder kurz Crew Chief – ist eines der wichtigsten Elemente innerhalb der Teamstruktur. Erst wenn exakt das, was der Fahrer spürt und ausspricht, den richtigen Weg in die weiteren Technik-Disziplinen (Chassis, Suspension, Engine, Elektronik, Reifen) findet und im Gegenzug die entsprechenden Erkenntnisse zurück an den Mann an den Stummeln fließen, dann ist ein strukturiertes Arbeiten am Rennplatz möglich.Ohne perfektes Teamwork Fahrer-Crew Chief, kein Erfolg.

Schattenmann an der Seite von Red Bull KTM Werksfahrer Brad Binder ist Andres Madrid. Der Spanier zählt längst zu den Routiniers im Fahrerlager. Seit 2013 ist der heute 37-jährige Techniker in der Straßenweltmeisterschaft aktiv. Den überwiegenden Teil seiner Laufbahn bestritt er dabei an der Seite des zum MotoGP-Star gereiften «BB». Ab 2015 erarbeiteten sich die beiden ihr 1:1 Netzwerk mit engsten Maschen. Bei den größten Erfolgen von Brad Binder, dem Moto3-Titelgewinn 2016 und der Vize-Weltmeisterschaft in der Moto2-Kategorie 2019 (Binder verpasste die WM-Krone nach einer unfassbar starken zweiten Saisonhälfte um drei Punkte) hieß der jeweils engste technische vertraute Andres Madrid. Nur 2020 war ein Pausenjahr in der menschlichen und technischen Beziehung zwischen dem Südafrikaner und dem Spanier. Zwar schenkte Brad Binder sich und dem KTM-Projekt in jenem Jahr den ersten MotoGP, Sieg nach einer noch sehr durchwachsenen Saison und vielen Abflügen war es Zeit für ein Comeback des bestens bekannten Fahrer-Techniker-Duos.

Nach den überaus positiv verlaufenen Vorsaison-Testfahrten und vor dem ersten Rennen auf dem Losail Circuit in Doha konnten wir uns exklusiv mit dem Erfolgsfaktor Andres Madrid über seine Zusammenarbeit mit Brad unterhalten.

Hast du mit Brad im Vergleich zu 2023 wichtige Dinge am Arbeitsablauf geändert?

In diesem Stadium von Brads Karriere geht es mehr um die Feinabstimmung. Es gibt Dinge, mit denen er normalerweise nicht klarkommt, deshalb haben wir einige «Checks» in unsere «To-do-Liste» aufgenommen, um seine Entwicklung zu verfolgen und seine Beständigkeit zu fördern. Außerdem haben wir einige Details am Motorrad so verändert, dass wir uns erhoffen, die abzustellen, die ihn in der Vergangenheit manchmal behindert haben.

Wenn du mit Brad nach jeder Sitzung euer Protokoll abarbeitest – wie lautet die erste Frage?

Zunächst einmal müssen wir zwischen einem Boxenstopp während der Sitzung und einer Nachbesprechung im Anschluss einer Session unterscheiden. Unsere Fragen sind nicht dieselben, je nachdem, in welcher Sitzung wir uns befinden. In der Anfangsphase des Wochenendes bitten wir Brad zum Beispiel, zuerst über die Elektronik zu sprechen, damit der Stratege, falls nötig, Zeit hat, die Änderungen für die nächste Sitzung auf der Strecke vorzubereiten. Wenn wir hingegen durch ein Quali gehen und nicht viel Zeit zur Verfügung steht, sind die Fragen kurz; wir können nur die Aussagen des Fahrers in Erinnerung rufen, die wir anhand der Daten und des Sektors gefunden haben. Wir nehmen dann nur schnelle Anpassungen vor, meist an den Federelementen, wenn sie sofort notwendig sind, aber das passiert nur selten, weil Brad sich dann meist darauf konzentriert, dass «ich es kann», als dass er «Hilfe braucht».

Generell gilt: Nach jeder Sitzung spricht Brad über alle Aspekte des Motorrads und wie er fahrerisch damit umgegangen ist. Wenn er etwas vermisst, fragen wir gezielt nach. Die typischen Bereiche sind Elektronik, allgemeines Setup, Getriebe, Höhenverstellung, Reifen, Bremsen und das Startverhalten.

Danach checken wir die Daten des Bikes mit einer kleineren Gruppe von Personen (Dateningenieur, Strategieingenieur, Teamchef und Fahrer). Bei diesen Gesprächen versuchen wir herauszufinden, ob ihm irgendwelche Sorgen im Kopf herumschwirren, und geben ihm die Unterstützung, die wir können. Aber ehrlich gesagt denke ich, dass dies einer von Brads stärksten Punkten ist, er hat ein sehr klares Ziel vor Augen und lässt sich nie von den Dingen ablenken, die außerhalb unserer «Blase» passieren.

Wenn du bemerkst, dass er nicht zufrieden ist, geht ihr direkt zur technischen Bewertung über oder redet ihr zuerst über das Gefühl des Fahrers?

Das ist etwas, das die Menschen, die in der Nähe des Fahrers arbeiten, jeden Tag bewältigen müssen. Wir müssen bedenken, dass diese Jungs unter sehr hoher Belastung stehen, ihre Herzfrequenz und Körpertemperatur sind höher als unsere, wenn sie im Anschluss in der Box sitzen, alles läuft für sie langsam. Das Gehirn arbeitet ganz anders, wenn es «heiß» ist, und zu sagen, dass es «nicht glücklich» ist, ist manchmal eine sehr milde Definition. Es ist unsere Aufgabe, das Gleichgewicht zwischen der technischen und der mentalen Seite zu finden, je nach der Situation in der Box. Manchmal sind risikoreichere Entscheidungen erforderlich, in anderen Fällen hat der Fahrer ein negativeres Bild, als es wirklich ist.

Muss Brad mit der 2024er-Spezifikation der RC16 seinen Fahrstil in gewisser Weise anpassen?

Bis jetzt war das nicht nötig. Aber während der Wintertests gibt es in der Regel eine Menge zu tun; viele Komponenten müssen ausprobiert und kombiniert werden. Obwohl wir ein Motorrad gebaut haben, auf dem sich der Fahrer wohl fühlt, brauchen wir (Techniker und Fahrer) etwas mehr Zeit, um das gesamte Potenzial des Motorrads auszuschöpfen und zu erkennen.

Gab es in irgendeiner Phase der Festlegung der Rennspezifikation für 2024 eine harte Diskussion mit ihm, musstet ihr zu einer früheren Spezifikation zurückgehen? Oder war Brad immer auf einer Linie?

In unserem Fall war es wohl eher das Gegenteil. Es gab ein paar Komponenten, bei denen wir nicht mit der neuesten Variante übereinstimmten. Andere Fahren taten das sehr wohl. Brad weiß sehr gut, dass neu nicht unbedingt besser bedeutet, und wir versuchen, das Motorrad nur dann zu aktualisieren, wenn der Ausgangspunkt mindestens derselbe ist, natürlich mit dem Potenzial, besser zu werden.

Brad Binder gilt als «Renntier» – aber dennoch werden seine Ergebnisse von verbesserten Qualifikationen abhängen. Habt ihr hier speziell mit Brad gearbeitet?

Das ist erst seit der Moto2 ein Thema. In der Moto3 qualifizierte sich Brad 2016 elfmal in der ersten Reihe. In der letzten Saison (2023) haben wir die Freitage/Samstage (also PR/QP) im Schnitt auf Platz 7/8 eingestuft, während Weltmeister Bagnaia auf Platz 7/3 stand. Im Jahr davor (2022) schafften wir am Freitag oft den Sprung ins Q2, wurden aber im FP3 rausgeschmissen. Etwas, das wir vermissen, ist, dass wir uns an den Samstagen weiter verbessern. Das tun wir zwar meistens, nur spiegelt sich das nicht im Qualifying, sondern im Rennen wider. Unsere besten Qualis waren immer die, bei denen Brad in den vorangegangenen Sessions noch etwas in der Tasche hatte. Aber es ist sehr schwer, weitere sieben Zehntel zu finden, wenn man am Freitag alles geben musste. Ich denke, uns fehlt ein bisschen mehr Spielraum, um dieses Extra zu liefern.

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