Senna Agius: Australiens nächster MotoGP-Star?
Senna Agius ist einer von sechs verschiedenen Siegern aus fünf Nationen in den ersten zehn Moto2-Rennen der Saison. Der in Andorra lebende Australier startet 2025 bereits zum zweiten Mal in Folge für das Liqui Moly Dynavolt Intact GP Team und hat sich mit seiner Entwicklung schnell in den Fokus von Rennfans und wichtigen Stimmen im Fahrerlager gefahren.
Beim Saisonfinale 2024 in Barcelona verpasste er nur knapp den Titel «Rookie of the Year» gegen Diogo Moreira, als das Intact-Team noch in Husqvarna-Weiß unterwegs war. «Das hat schon ein bisschen wehgetan, ich will nicht lügen – es wäre schön gewesen, den Titel zu holen, auch wenn es nichts zu gewinnen gab», sagt Agius in der Teamhospitality in Assen. In der laufenden Saison hat er bereits drei Podestplätze erzielt.
Trotz seines Potenzials ist Agius’ Saison 2025 von Inkonstanz geprägt. In Argentinien, Katar, Frankreich und Italien landete er nur knapp in den Punkterängen und liegt aktuell auf Platz 6 der Gesamtwertung. «Ich kann es nicht genau erklären», sagt er über die Eigenheiten der Moto2. «Man kommt in einen Flow – und dann verliert man ein bisschen Gefühl, das wirkt sich sofort auf die Rundenzeit und die Anpassungsfähigkeit aus – und plötzlich ist man weg vom Fenster, und alles fühlt sich so weit entfernt an!»
«Aber ich habe gelernt: Wenn’s gerade nicht läuft, ist es oft gar nicht so weit weg. Es ist seltsam, aber wenn man den Kopf unten behält, reicht manchmal schon eine kleine Veränderung – und man ist wieder dabei. Ich weiß wirklich nicht genau, woran es liegt. Es ist momentan die am engsten umkämpfte Kategorie. Das Niveau ist unglaublich hoch, und wenn wir bei manchen Strecken weichere Reifen hätten, würden wir mit einem Motorrad, das ein Viertel so viel kostet, fast an MotoGP-Zeiten herankommen. Jede kleine Schwäche oder einfach ein schlechter Tag wird in der Moto2 sofort sichtbar.»
Schlaksig, mit wachen Augen und gutem Aussehen, ist Agius auch sprachlich gewandt und bemüht sich ernsthaft, seine Eindrücke beim Fahren und beim Abstimmen der Maschine zu beschreiben. Trotz seines jungen Alters sammelt er bereits viel Moto2-Erfahrung – dank seines EM-Titels 2023 und vier Wildcard-/Ersatz-Einsätzen für das Marc-VDS-Team 2022.
«Das Arbeitsfenster ist definitiv sehr schmal», sagt er über das Triumph-Triebwerk und das Kalex-Chassis. «Man kann nicht drumherum fahren, wenn etwas nicht funktioniert. Man kann das Bike nicht überfahren. Wenn es nicht will, dann geht da nichts. Mehr pushen bringt dich nicht nach vorne – du riskierst nur einen Sturz, oder du stürzt. Wenn du nicht mit dem Bike ‘eins’ bist oder es einfach nicht fließt, dann brauchst du mehr Energie, um schnell zu sein – und bist dabei doch langsamer. Es ist schwierig, die Balance zu finden.»
«Manchmal ringt man so sehr mit dem Motorrad, dass man nur noch durch die Nase atmet!», fügt er hinzu. «Und dann kommen die besten Ergebnisse oft, wenn alles mühelos scheint. Man hat ein total einfaches Wochenende – und beim nächsten fühlt man sich, als wäre man dauernd am Limit, auch körperlich. Da fragt man sich: ‹Wie kann das sein?!› Und man sucht ständig nach Konstanz. Ich habe mittlerweile mehr Erfahrung und kann besser mit solchen Situationen umgehen.»
«Mein Fahrstil hat sich extrem entwickelt», betont Agius. «Mein Team sagt mir immer wieder: Das perfekte Motorrad hast du vielleicht ein- oder zweimal im Jahr. Also wünsch dir das nicht ständig herbei. Du fährst immer um gewisse Schwächen herum – und musst einfach filtern. Letztes Jahr habe ich oft die Ingenieure überfordert. Ich saß zu lange da und habe jedes kleinste Problem analysiert. Dieses Jahr bin ich gezielter in meiner Rückmeldung. Weniger Variablen, mehr Richtung. Das bedeutet aber auch, dass man selbst ausgleichen muss, was man nicht ändern kann.»
Dass er ein guter Stratege ist, zeigte Agius beim Grand Prix von Großbritannien im Mai, als er mit einem cleveren Manöver auf der letzten Runde den Sieg einfuhr – ein weiterer Schritt in Richtung MotoGP. Unterstützt wird er mittlerweile vom ehemaligen Superbike-Sieger und Supersport-Weltmeister Chaz Davies, der ihn über eine neue Talentagentur betreut.
«Ich kenne ihn schon lange, auch abseits der Strecke», erklärt der ebenfalls in Andorra lebende Davies. «Wir haben zusammen trainiert, und ich kenne seinen Charakter, sein Mindset und seine Fähigkeiten – ob im Offroad oder beim Trial. Er hat einen Werkzeugkasten an Fähigkeiten, den er Woche für Woche erweitert – nicht nur technisch, sondern auch im Verständnis für seinen Körper. Das beeindruckt mich besonders bei seinem Alter. Seine Reife liegt deutlich über dem, was ich damals hatte.»
Der einzige Fahrer, der 2025 mehr als drei Moto2-Rennen gewonnen hat, ist Manuel Gonzalez, der aktuelle WM-Leader. Der Spanier durfte überraschend bei einem Aragon-Test die Aprilia RS-GP für Trackhouse fahren, da Ai Ogura (Moto2-Champion 2024) verletzt war – und beeindruckte mit starken Rundenzeiten. Fermin Aldeguer, früherer Rivale und nun MotoGP-Rookie, hat bereits zwei Podestplätze in der Königsklasse für Gresini geholt. Diese Resultate machen Agius und anderen Moto2-Hoffnungen Mut für den Aufstieg – insbesondere im Hinblick auf das nächste Vertragsfenster 2027, wenn das neue technische Reglement kommt.
Auf die Frage, ob er bei einem MotoGP-Test – wie Gonzalez – sofort zugreifen würde, antwortet Agius ohne zu zögern: «Mit beiden Händen.» Er ergänzt: «Ich habe mich ehrlich für ihn gefreut, dass er die Chance bekommen hat. Er hat sie sich verdient. Wenn ich das geschafft hätte, was er dieses Jahr gemacht hat, hätte ich auch so einen Test haben wollen.»
«Wir sind noch nicht mal bei der Hälfte der Saison, aber wenn sich dieses Jahr die Chance auf einen MotoGP-Test ergeben würde – das wäre unglaublich», sagt er weiter. «Ich hoffe, dass mehr Teams sich durch so einen Eintagestest inspirieren lassen, jungen Fahrern eine Chance zu geben.»
In Europa hat Agius seinen Vater Jono an seiner Seite. Seine Reife zeigt sich aber auch darin, wie er die Opferbereitschaft seiner Familie aus New South Wales einschätzt: «Das Opfer, hier drüben zu sein, bedeutet: Ich darf keine Möglichkeit ungenutzt lassen», betont Senna. «Ich bin weit weg von allem, was mir zuhause Komfort bietet. Wenn ich zu Saisonbeginn hier in Europa ankomme, dann fühlt es sich wie ein Job an – und das muss es auch. Ich bin dann im Modus: immer fokussiert, immer bereit. Das macht das Jahr ziemlich intensiv. Es ist ein Job… aber ich liebe es, und erinnere mich ständig daran. Ein schlechtes Wochenende motiviert mich, denn dann habe ich zwei, drei Dinge, an denen ich arbeiten kann – auch auf dem Trainingsbike. Wenn eine Schwäche da ist, dann muss ich sie überwinden. Es ist eine Herausforderung.»
«Er ist sehr fokussiert und spürt genau, was er braucht und was er will», sagt Chaz Davies. «Seine Familie ist extrem unterstützend. Sein Vater muss ihm nicht sagen, was zu tun ist – er ist sehr selbstbestimmt und treibt das Ganze voran. Sie wissen ganz genau, was auf dem Spiel steht. Manchmal macht er sogar zu viel, da muss man ihn eher bremsen.»
«Dieser Ehrgeiz und Wille», lächelt Davies, «erinnert mich an jemanden. Casey [Stoner] hatte das im Übermaß. Die beiden sind sehr unterschiedliche Charaktere… aber diese Entschlossenheit gehört dazu, wenn man so weit von zuhause weg ist.»
Agius hat erst 30 GP-Starts als Vollzeitfahrer auf dem Buckel – doch MotoGP rückt näher. Und die Gerüchte hört er natürlich. «Es ist schon eine Art Schulterklopfen, überhaupt erwähnt zu werden oder wenn es Gerüchte über mich gibt», sagt er mit einem Lächeln. «Es wird aktuell nichts konkret, und ich hatte noch kein Gespräch über nächstes Jahr. Aber ich weiß, dass mein Name im Umlauf ist – und das motiviert mich und ehrt das ganze Team, das hinter mir steht.»
«Das naheliegende Ziel ist 2027», bestätigt Davies. «Da kommen viele Faktoren zusammen – und das Timing wäre wahrscheinlich perfekt für Senna. Man vergisst leicht, dass dies erst seine zweite volle Saison ist und er erst 30 Rennen gefahren ist. Fermin hatte zu dem Zeitpunkt noch keinen Sieg, Gonzalez brauchte 56 Rennen für seinen ersten – und Senna hat es im 27. geschafft. Die Zahlen sprechen für ihn, und was er in dieser kurzen Zeit erreicht hat, ist beeindruckend. Ich glaube, viele kennen seinen Namen noch nicht, weil seine Saison nicht ganz konstant war und Gonzalez dominiert hat – aber der fährt eben auch schon vier Jahre in der Moto2. Letztlich zählt der Antrieb – und Senna will keine Ausrede, dass es erst sein zweites Jahr ist.»
«Wenn man Parallelen zu jemandem wie Casey zieht: Er war ein großartiger Motorradfahrer, egal worauf er saß – er hat es verstanden. Aber man hätte nicht zwingend gesagt, dass er ein brillanter 125er-Pilot war. Er hat in den kleinen Klassen viel gewonnen, aber wenn er Power unter sich hatte. Dieses Talent sehe ich auch in Senna. Es ist breit gefächert und wird sich besonders in 2027 auszahlen, wenn die Bikes wieder mehr Bewegung haben werden. Wenn er so weitermacht, wird sein Name für die Hersteller noch viel interessanter werden.»
«Ich komme definitiv in Fahrt», sagt Agius zum Thema MotoGP. «Ich würde jetzt sofort ein MotoGP-Bike fahren. Aber schon nächstes Jahr dort zu sein? Da würde ich sagen: Noch bin ich nicht ganz bereit. Je konkurrenzfähiger man in der Moto2 ist, desto besser ist der Sprung. Ich habe gesehen, wie manche Fahrer im Formhoch rüber sind – und andere nicht. Bei Fermin hätte ich nicht erwartet, dass er so früh so gut ist. Es ist also machbar, aber es zeigt auch: Je konstanter man in der Moto2 ist, desto besser wird’s wohl.»