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MotoGP-WM 2015: Welche Legende wird Weltmeister?

Kolumne von Michael Scott
Eigentlich ist der Punktevorsprung von Valentino Rossi beruhigend. Aber wem, wenn nicht Marc Márquez, kann man zutrauen, in acht Rennen 56 Punkte aufzuholen?

Wir leben in legendären Zeiten.

Naja, meistens jedenfalls. Grundsätzlich gibt es immer gerade irgendwo etwas, das legendär ist. Aber zu glauben, dass wir selbst Teil davon sind, hilft unserem Selbstbewusstsein und bestärkt uns in unserer Wichtigkeit als Lebewesen auf diesem Planeten.
Also wiederhole ich mich in feierlichem Ton: Wir leben in legendären Zeiten.

Die Schwierigkeit besteht momentan darin, zu entscheiden, welcher der drei Fahrer auf dem MotoGP-Podium von Indianapolis der legendärste ist. Okay, welche zwei von den drei. Egal wie grossartig er die Kontrolle über das Motorrad hält, wie intelligent und verständlich er sich in Gesprächen benimmt, wie schnell und konstant er gute Rundenzeiten fährt: Jorge Lorenzo (vielleicht willentlich) hat nicht den Charme und das Charisma seines Movistar-Yamaha-Teamkollegen Valentino Rossi. Er ist auch nicht so aufregend wie Marc Márquez, der eigentlich immer noch ein kleiner Junge ist, der noch Zeit hat, seine bisher sehr liebenswerte Art zu entwickeln.

Also muss man zwischen Rossi und Márquez entscheiden. Obwohl Lorenzo auf jeden Fall in der Position ist, beide besiegen zu können, wäre es, was die Legende betrifft, eine Enttäuschung, wenn es passieren würde.

So weit ist es bisher gekommen.

In seiner 20. GP-Saison und nach 322 Grand-Prix-Rennen ist Rossi einfach erstaunlich. Er untermauert seine allgegenwärtigen guten Referenzen mit bisher drei Saisonsiegen und einer prozentigen Podiumsbilanz. Einen der epischen Siege holte er in Assen, wo seine Kreativität, sein Opportunismus und seine schnelle Reaktion Hackfleisch aus Marquez’ zermürbender, aber erfolgreicher Taktik machten. Rossi attackierte in der letzten Kurve.

Der Jüngling Márquez hatte zwei Jahre durchgehend Erfolg und dominierte die MotoGP-WM 2013 und 2014. Im Vergleich dazu hat er dieses Jahr die andere Richtung eingeschlagen. Es sah aus, als erlitte er einen Zusammenbruch. Doch dafür gab es eine verständliche technische Erklärung.

Seine RC213V des Jahrgangs 2015 war ein Präzisionsinstrument, das nicht mit seinem lockeren Fahrstil umgehen konnte. Marquez’ besonderes Talent ist es (und es erinnert an den ehemaligen jüngsten Superstar Freddie Spencer), das Motorrad so weit zu bringen, dass er fast stürzt, und es dann wieder auf die richtige Bahn zu lenken. Mit dem neuen Motorrad war das nicht möglich, so kam es zu einigen Stürzen. Dreimal in der ersten Hälfte des Jahres und einmal davon nicht einmal, als er um den Sieg kämpfte. Dreimal null Punkte.

Dann, kurz vor der Sommerpause, die Erleuchtung. Vor dem Rennen in den Niederlanden – und man wundert sich, warum es so lange dauerte – wechselte er zum letztjährigen Chassis, behielt aber die diesjährigen Schwinge und die hintere Suspension-Linkage. Diese Combo hat er in Aragón getestet, wo er wegen Regens nur eine Handvoll Runden drehen konnte. Aber er fühlte sich sofort wohl.
In Assen kam Mac Márquez wieder dahin, wo er hingehört; er fuhr am Limit, schlicht und locker, und er schaffte es, wieder ganz nach vorne zu kommen. Der Repsol-Honda-Star schlitterte nur knapp am Sieg vorbei, gewann von der Pole-Position aus in Deutschland und nun in Indy.

Acht Rennen stehen noch aus und Márquez liegt 56 Punkte hinter Rossi. Das bedeutet, dass er Rossi bei jedem Rennen im Schnitt mindestens sieben Punkte abnehmen muss, um Gleichstand zu erlangen. Das würde für den Weltmeister die dritte Krone in Folge in der MotoGP-WM bedeuten.

Bei den beiden letzten Rennen hat Marc jeweils neun Punkte auf Vale aufgeholt. Besser hätte er es nicht machen können.

Übrigens: Wenn man den Márquez-Rückstand auf Lorenzos Punktestand betrachtet, muss er pro Rennen 5,9 Punkte aufholen, um an den Landsmann heranzukommen. Im Durchschnitt hat er in den letzten beiden Rennen 8,5 Punkte aufgeholt.

Ich persönlich glaube, dass Márquez dazu imstande ist, Valentino zu überholen. Und es wäre wirklich legendär, wenn es passieren würde. Meine Bewunderung für Rossi kennt keine Grenzen; deshalb wäre ein Comeback wie seines in diesem Jahr etwas sehr Spezielles. Ein Freund von mir meinte, dass es nicht möglich wäre, eine solche Lücke zu schliessen. Er sagte, dass es in der Geschichte der MotoGP noch nie vorgekommen ist, dass jemand so viele Punkte aufgeholt hat.

Das stimmt aber so nicht ganz. Als alter Mann erinnere ich mich gut an die WM 1992. In Assen standen noch sechs (von dreizehn) Rennen bevor und Mick Doohan lag 65 Punkte vor Wayne Rainey. Das hiess, dass Rainey mehr als zehn Punkte pro Rennen aufholen musste. Damals gab es noch weniger Punkte, die nur unter den Top-Ten verteilt wurden. Wenn man das auf das heutige System anwendet, macht das einen Unterschied von 80 Punkten; der Durchschnitt erhöht sich auf 13,3 Punkte.

Wie wir wissen, hat Yamaha-Star Wayne Rainey es geschafft aufzuholen, er gewann 1992 seinen dritten und letzten WM-Titel. Das wurde aber nicht auf der Strecke entschieden, sondern im Krankenhaus. Keiner von beiden startete in Assen. Rainey war zu Hause, schwer angeschlagen.

Mick Doohan (Honda) brach sich im Training das Bein und bekam eine so schlechte medizinische Behandlung, dass er für vier der sechs übrigen Rennen ausfiel. Er kam in Interlagos/Brasilien humpelnd zurück und deshalb war es ihm unmöglich, seinen schwindenden Vorteil zu retten.

Genau dasselbe könnte in der aktuellen Saison passieren. Ein schwerer Sturz für einen der drei potenziellen Sieger würde das natürlich das Aus für die Titelchancen bedeuten.
Ich hoffe, dass wir ohne gröbere Vorfälle nach Valencia kommen. Egal wie die Saison endet, legendär wird sie sowieso sein.

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