Avalon Lewis: «Unser Leben ist ein einziges Chaos!»

Avalon Lewis
Avalon Lewis bestreitet 2025 ihre erste volle Saison in der Women's Circuit Racing World Championship (WorldWCR) und konnte bislang einige Top-5-Ergebnisse einfahren. Beim ersten Rennen in Assen wurde sie Vierte, Lauf 2 in Cremona beendete sie auf Platz 5. Zuletzt holte sie auf dem Balaton Park Circuit die Ränge 8 und 7. In der WM-Tabelle liegt die Neuseeländerin derzeit mit 58 Punkten auf Position 9.
Bereits im letzten Jahr hatte Lewis in der WorldWCR einen Wildcard-Einsatz in Cremona. Mit den Rängen 8 und 5 hinterließ sie dort einen guten Eindruck. Davor war die 32-Jährige mehrere Jahre in erste Linie auf nationaler Ebene in Neuseeland aktiv. Zuletzt nahm sie 2017 an der Supersport-WM 300 teil, konnte damals aber keine Punkte einfahren.
Lewis ist eine vielbeschäftigte Mutter, die das Elternsein und einen Job im Marketing mit einer internationalen Rennkarriere unter einen Hut bringt. Geboren und aufgewachsen in Neuseeland, lebt sie heute mit ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn in Brisbane, Australien. «Wir sind erst im Juni letzten Jahres umgezogen, ein großer Schritt, der durch die Arbeit meines Mannes motiviert war. Wir kommen aus Christchurch in Neuseeland, unser jetziger Wohnort ist etwa vier Flugstunden entfernt. Unser Sohn ist noch keine zwei Jahre alt, daher ist unser Leben ein einziges Chaos, absolutes Chaos», sagt Lewis. «Ich glaube, es ist wichtig, flexibel zu sein – das lernt man als Eltern auf jeden Fall! Wenn man versucht, sich an einen festen Tagesablauf zu halten, wird dieser sowieso über den Haufen geworfen. Zu Hause versucht man einfach jeden Tag, das Training unterzubringen. Mit einem Baby aufzustehen und zu trainieren, ist fast unmöglich, deshalb mache ich manchmal nur 20-minütige Einheiten, um wenigstens etwas zu schaffen.»
Avalon Lewis kam mit 19 Jahren zum ersten Mal nach Europa, um an Rennen teilzunehmen, und reiste um die ganze Welt, um ihren Traum vom Rennsport zu verwirklichen. «Nach einem Jahr an der Universität in Neuseeland wurde mir klar, dass ich unbedingt im Ausland Rennen fahren wollte, und so suchte ich nach Sponsoren», erzählt sie. «Ich bin im Grunde genommen von einer 125er-GP auf eine 600er Viertakter umgestiegen und hatte nur ein paar Monate Zeit zum Trainieren, bevor ich in eines der wettbewerbsintensivsten Länder der Welt ging – ja, diesen Weg würde ich niemandem empfehlen! Ich habe drei Jahre lang an der italienischen Meisterschaft und zwei Jahre lang am European Junior Cup teilgenommen. Ich bin in der Supersport-WM 300 gestartet, aber das hat nicht wirklich geklappt, also bin ich danach nach Hause zurückgekehrt. Ich hatte eng mit dem Marketingteam eines Sponsors in Neuseeland zusammengearbeitet und mir gefiel sehr, was sie machten – ich habe dann einen Job im Marketing gefunden. Dann habe ich auch noch mein Studium abgeschlossen, einen Abschluss in Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Marketing. Ich habe immer an der neuseeländischen Meisterschaft teilgenommen, die im Sommer von Dezember bis April stattfindet. Mein Mann und ich fahren beide Rennen, daher ist immer viel los. Manchmal ist es wirklich hart, vor allem finanziell, und man muss einfach am Ball bleiben, um Sponsoren zu finden und solche Dinge zu organisieren. Aber ja, ich hatte das große Glück, über die Jahre viel fahren zu können.»
Lewis spricht die ihrer Meinung nach größten Hindernisse für alle an, die an Rennen teilnehmen möchten, insbesondere für diejenigen, die sich für Meisterschaften im Ausland entscheiden. «Es ist eine so einzigartige Sportart. Zu Hause, in Australien, gibt es viele Leute, die großartige Arbeit leisten, und Neuseeland fängt gerade an, Zeit in die Entwicklung der richtigen Klassen für Junioren zu investieren. Mit dem Oceania Junior Cup und dem Asia Talent Cup sehen wir jetzt einige Australier und junge Neuseeländer, die nachkommen», betont sie. «Die große Herausforderung für alle ist das Geld. Man muss das natürlich finanzieren, und das ist einfach eine riesige Summe. Wenn man logisch darüber nachdenkt, ist das verrückt. Das ist jedes Jahr eine Hausanzahlung, die man für den Rennsport ausgibt! Das andere Problem ist, dass man, wenn man einen Sponsor aus Australien oder Neuseeland sucht, diesem einen Gegenwert bieten muss. Nämlich Marketing und Werbung in Australien und Neuseeland, wo diese Unternehmen ihren Sitz haben, aber dann kommt man nach Europa und fährt dort Rennen. Und dann ist da noch die Herausforderung, in ein gutes Team zu kommen, was leichter gesagt ist, als getan, wenn man vom anderen Ende der Welt kommt. Wenn man hier ankommt, weiß man nicht, mit wem man zusammenarbeiten wird oder ob das Motorrad überhaupt gut ist!»
In der Frauen-Weltmeisterschaft sind alle mit dem gleichen Material unterwegs – der Yamaha R7. «Das ist das Gute an der WorldWCR, denn damit entfällt im Wesentlichen dieser unbekannte Faktor. Die WorldWCR hilft Leuten wie mir, die von außerhalb Europas kommen, diesen Weg zu ebnen. Es ist ziemlich schwer, hierher zu kommen und in einen World Superbike-Paddock oder ähnliches zu gelangen. Deshalb finde ich Meisterschaften wie diese und das, was Yamaha mit seiner Blu-Cru-Initiative macht, so großartig, weil sie uns die Möglichkeit geben, auf ein Motorrad zu steigen, Rennen zu fahren und konkurrenzfähig zu sein. Ich denke, das ist der Weg in die Zukunft für unsere Nachwuchsfahrer. Zu meiner Zeit gab es nichts, wenn man nicht bei den Red Bull Rookies aufgenommen wurde!»
Nach vielen Jahren in von Männern dominierten Rennserien auf der ganzen Welt hat Lewis erkannt, welchen Einfluss die Schaffung einer reinen Frauenserie auf den Sport haben kann. «Ich bin hier, um um die Chance zu kämpfen, Weltmeisterin zu werden – eine Chance, die ich noch nie zuvor hatte. Das ist meine Antriebskraft. Einige Leute haben mich gefragt, was ich tun würde, wenn ich die Meisterschaft gewinnen würde. Denn wir sind nicht hier, um Geld zu verdienen, im Gegenteil, es kostet meine Familie Geld», sagt Lewis. «Deshalb denke ich, dass diese Chance jetzt so wichtig für Frauen ist, und ich glaube, dass wir irgendwann an einen Punkt kommen werden, an dem wir, die Frauen, in dieser Meisterschaft Geld verdienen werden, aber das wird Zeit brauchen. Und die Fahrerinnen können sich weiterhin dafür entscheiden, in anderen Meisterschaften zu fahren oder sich mit den Männern zu messen, wenn sie das wollen. Ana (Carrasco) hat das mit den 300ern zu 100 Prozent bewiesen, aber ich denke, in den größeren Klassen wie den 600ern und Superbikes muss sich das erst noch beweisen.»